Real Madrid ist einer der erfolgreichsten Vereine der Fußballgeschichte. Derzeit haben sie aber mit ganz normalen Problemen zu kämpfen. Das Denkmal von Zinedine Zidane ist nicht das einzige, das bröckelt.
Für Fußballfans ist es ungewohnt zu sehen, was derzeit mit Real Madrid passiert. Zinedine Zidane wankt, Real Madrid verliert gegen Außenseiter und der Kader wirkt so unausgewogen wie lange nicht. Um das zu untermauern, reicht ein Blick auf die Darbietungen in dieser Saison. Auf internationaler Ebene gab es die Nicht-Leistung gegen Schachtjor Donezk, in der Liga rangieren sie auf dem vierten Platz – und das nicht, weil Barcelona oder andere große Namen vorneweg marschieren – an der Spitze stehen Real Sociedad und Villareal. Barcelona dümpelt auf dem achten Platz herum. Natürlich sind noch keine zehn Spiele gespielt, doch neben der mageren Punkteausbeute sind es die Auftritte, die Fans sprachlos machen.
Als die Galaktischen in der Halbzeit des Champions-League-Spiels gegen Donezk mit 0:3 zurücklagen schrieb das Hofblatt „Marca" auf seiner Webseite von einem „Skandal" – ohne, dass überhaupt zur Halbzeit gepfiffen wurde. Sonst meinen sie damit eher die Schiedsrichterleistung oder rüde Fouls des Gegners. Aber dieses Mal war es die Leistung der eigenen Mannschaft. Real lieferte einen Auftritt ab, der laut der „As" direkt „ins Horrorkabinett von 118 Jahren Clubgeschichte" eingehen würde. Noch schlimmer wurde die gezeigte Leistung bei einem genauen Blick auf die Aufstellung der Ukrainer: Acht Corona-Ausfälle zwangen sie dazu, teilweise mit Teenagern und ohne Ersatzbank anzutreten. Eine Woche zuvor verloren die Galaktischen gegen Aufsteiger Cadiz schon mit einer Leistung, für die es laut Zidane „keine Entschuldigung" gab. Nur, um dann international einen draufzulegen. Zwar konnten noch zwei Anschlusstreffer gelingen, verloren wurde trotzdem. Ein Gedanke in der Hauptstadt Spaniens wird immer lauter: Die Königlichen haben derzeit nichts Königliches anzubieten. Als Zidane zurückkam war klar, dass etwas anders werden müsse. Nach jeweils 17 und 19 Punkten Rückstand in den Saisons 2017/18 und 2018/19 lautete die Schlussfolgerung: Wir sind nicht mehr die Königlichen, die auch mit geringerer Intensität das leisten können, was andere tun.
Viele Spieler suchen ihre Form
Auf Basis der besten Defensive Europas wurden sie dann wieder Spanischer Meister. Dieser Defensiv-Zauber ging aber schneller verloren, als er aufgebaut wurde. Weltmeister Raphael Varane steht sinnbildlich dafür. Beim Aus in der vergangenen Champions-League-Saison gegen Manchester United spielte er unterirdisch, davon hat er sich bis heute nicht wirklich erholt. Sergio Ramos verletzte sich und Varane war auf sich allein gestellt – und ohne seinen Anführer merklich überfordert. „Die Mannschaft hat nicht so gespielt, wie ich das wollte, und wenn das passiert, hast du die Schuld", sagte Zidane nach dem Spielschluss gegen Donezk. Vor allem fehle das Selbstvertrauen: „Ich sehe mich in der Lage, das zu regeln." Zidane versuchte positiv in die Zukunft zu schauen: „Heute ist alles grau, morgen geht die Sonne wieder auf." Doch ist dem Verein mit Floskeln geholfen?
Die Probleme von Real Madrid sind viel tiefgreifender, als es derzeit den Anschein macht. Es ist nicht nur eine Phase, in der es nicht läuft. Vor allem wurden schwerwiegende Fehler gemacht. Bei einem Blick auf den Kader wird das deutlich. Die meisten Leistungsträger, die für die Titel der vergangenen Jahre verantwortlich waren, sind mittlerweile über 30 Jahre alt. Die meisten Nachrücker dagegen Anfang 20. Dazwischen gibt es nicht wirklich jemanden, der Verantwortung übernehmen kann. Die Einkaufsoffensive aus der Vorsaison, bei der 300 Millionen in neues Personal investiert wurde, verpuffte. Mittelstürmer Luka Jovic wirkt auch in dieser Saison wie ein Fremdkörper, bei dem es scheint, er wäre überall lieber als im Trikot von Real Madrid. Zidanes Königstransfer Eden Hazard, der über 100 Millionen Euro kostete, ist durchgehend verletzt. Teilweise so oft, dass kaum einer weiß, woran der Belgier eigentlich laboriert.
Diesen Sommer gab es keine Transfers, es wurden nur fatale Entscheidungen in Sachen Abgänge getroffen. Insgesamt 15 Spieler verließen die Königlichen im vergangenen Transferfenster. Lediglich die Leihspieler Martin Ödegaard und Alvaro Odriozola kehrten zurück. Der Transferüberschuss von 98 Millionen Euro und die gesparten Gehälter gaben den Verantwortlichen eigentlich Handlungsspielraum – genutzt wurde der allerdings nicht. Anstatt dem Kader eine neue Dynamik zu verleihen, wurden Spieler mit dieser Komponente einfach ziehen gelassen.
Zu nennen sind dabei Achraf Hakimi, der mittlerweile bei Inter Mailand unter Vertrag steht und Sergio Reguilón, der unter José Mourinho bei Tottenham Hotspur aufblüht. Den Blancos geht die Dynamik ab, die sowohl Reguilón als auch vor allem Hakimi hätten einbringen können. Gerade auf der Rechtsverteidiger-Position hat Real nach den Verletzungen von Dani Carvajal und Odriozola zurzeit große Probleme – Hakimi hätte trotz des gesicherten Stammplatzes von Carvajal eine ganz neue Facette in das eingefahrene Spiel gebracht. Bei Linksverteidiger Marcelo ist der Zauber der vergangenen Tage vergangen, das Alter macht auch vor dem Brasilianer nicht halt. Ferland Mendy macht das derzeit ordentlich, Reguilon wäre aber gerade offensiv gefährlicher gewesen.
Neue Impulse wären wünschenswert
Im Mittelfeld wären neue Impulse ebenfalls wünschenswert gewesen. Platzhirsch Casemiro ist auf der Sechs konkurrenzlos und mit 28 Jahren im besten Fußballeralter. Luka Modric ist mittlerweile 35 und hat seinen Zenit überschritten, Isco hat deutliche körperliche Defizite, die ihm schon länger Probleme machen. Gerade Isco ist einer derjenigen, der zwar schon lange dabei ist, aber nie den Einfluss auf das Spiel der Königlichen hatte, den sich die Verantwortlichen und Fans gewünscht hätten. Im Angriff fehlt eine Alternative zu Karim Benzema, der in der vergangenen Saison überragende Leistungen zeigte, in dieser Saison seine Form noch nicht bestätigen konnte. Schwierig ist es mit Neuzugängen vor allem, weil Zidane als wählerisch gilt. Dass er mit dem Golf spielenden Gareth Bale nie auf eine Wellenlänge kam, war irgendwo nachvollziehbar. Doch das Zerwürfnis mit James Rodríguez versteht man schon weniger. Bale und James kosteten einst zusammen 180 Millionen Euro, jetzt musste sie der Verein nach England verschenken. Für Bale zahlt er sogar noch das halbe Gehalt. Und James brilliert bei Everton unter Carlo Ancelotti. „Mir tut es leid für die Spieler, sie verdienen das nicht, sie haben mir viele Titel gewonnen", sagte Zidane, über seine Altstars. Diese Veteranentreue irritiert nicht nur die Fans des Vereins.
Diese Treue zu seinen verdienten Spielern kommt aber nicht von ungefähr. Den Galaktischen fehlt schlichtweg individuelle Klasse, um die fehlende Kreativität und Dynamik auszugleichen. Marco Asensio konnte sein Potenzial nach der schweren Knieverletzung bisher kaum abrufen, die brasilianischen Youngsters Vinícius Júnior und Rodrygo sind in ihrer Entwicklung noch nicht so weit, wie man sich es in Madrid vor der Saison erhofft hatte. Dazu verpasste Superstar Eden Hazard seit seinem Wechsel vom FC Chelsea im Juli vergangenen Jahres wie bereits erwähnt verletzungsbedingt über 50 Prozent aller Pflichtspiele. Wie wollen die Verantwortlichen Abhilfe schaffen?
Eine Strukturänderung oder eine Neuausrichtung soll es nicht geben. Wie so oft lautet die Antwort in Madrid: Transfer-Offensive. Kylian Mbappé soll Ziel Nummer eins sein, ob dieser aber zu einem krisengebeutelten Verein wechseln wird, bleibt abzuwarten. Günstig zu haben ist er ebenfalls nicht. Eduardo Camavinga oder Paul Pogba sind Optionen fürs Mittelfeld – Erling Haaland wird als Alternative zu Mbappé gehandelt. Fraglich ist nur, ob sich die finanzielle Lage und in diesem Zusammenhang vor allem die Corona-Krise so weit entspannt hat, dass solche große Summen investiert werden können. Bis dahin werden die Königlichen mit ihrem bestehenden Kader auskommen müssen. Sollte es so weiter gehen, wird auch Zidane nicht mehr lange im Amt bleiben können – eine komplette Neuausrichtung wäre dann unumgänglich.