40 Jahre ist es her, dass mit John Lennon einer der größten Songschreiber und Musiker unserer Zeit vor seinem Wohnhaus in New York von einem Soziopathen erschossen wurde. Zu einem Zeitpunkt, als Lennon sich nach einer langen schöpferischen Pause gerade wieder eindrucksvoll musikalisch zurückgemeldet hatte.
Der 78 Jahre alte Mann in Jeanshemd und Jeanshose mit den runden Brillengläsern sitzt mit einer dampfenden Tasse Tee vor seinem kleinen, unscheinbaren Häuschen am Strand, blickt aufs Meer hinaus und erzählt seinem jungen Gast zufrieden von seinem erfüllten Leben. Der Name des alten Mannes: John Lennon. Es ist eine surreale Szene aus dem 2019 erschienen Film „Yesterday", der eine Welt beschreibt, in der es die Beat-les nie gegeben hat und John Lennon nur ein einfacher Seemann war, der nun seinen Lebensabend in jenem Häuschen an besagtem Strand verbringt.
Unwillkürlich kommt einem einer der bekanntesten Songs des realen John Lennon ins Gedächtnis: „Imagine". Ein Song, in dem wir aufgefordert werden, uns die Welt vorzustellen. Nicht wie sie ist, sondern wie sie sein könnte. Ein besserer Ort. Was wäre, wenn Lennons Leben an jenem 8. Dezember 1980 nicht jäh durch fünf Schüsse beendet worden wäre? Welche Lieder, welche Ohrwürmer, welche Meisterwerke der Musik hätte uns John Lennon vielleicht in den vergangenen vier Jahrzehnten noch geschenkt? Die Chancen wären sicherlich nicht schlecht gewesen, denn Lennon hatte sich nach fünf Jahren der schöpferischen Pause gerade erst wieder eindrucksvoll musikalisch zurückgemeldet. Drei Wochen vor seinem Tod, am 17. November, war das viel beachtete Album „Double Fantasy" erschienen – ein gemeinsames Projekt mit seiner Frau Yoko Ono, die wie Lennon sieben Songs beisteuerte.
Zwar bemängelten Kritiker, Lennons Texte hätten nicht mehr den Biss von früher, tatsächlich aber erwies sich der Musiker darauf so voller Tatendrang und so inspiriert wie seit vielen Jahren nicht mehr. „Woman", „(Just like) Starting Over" und „Watching The Wheels", die alle auf dem Album zu finden sind, zählen fraglos zu den schönsten und besten Solostücken, die Lennon je geschrieben hat. Er plante ein gemeinsames Projekt mit seinem ehemaligen Beatles-Kollegen Ringo Starr, ab Mai 1981 wollte Lennon auf Welttournee gehen. Es kam nicht mehr dazu.
Lennon hatte jede Menge neue Pläne
Am 8. Dezember 1980 verließen Lennon und Yoko Ono gegen 17 Uhr ihre Wohnung im Dakota-Building in New York, um ins Tonstudio zu fahren. Vor dem Gebäude wartete ein Mann, der sich kurz zuvor ein Exemplar von „Double Fantasy" gekauft hatte. Er bat Lennon, die Platte zu signieren, was dieser bereitwillig tat. Der Fotograf Paul Goresh hielt diesen Moment mit seiner Kamera fest – nichts ahnend, dass es das letzte Foto von John Lennon werden sollte. Knapp fünf Stunden später wartete jener Autogrammjäger auf die Rückkehr Lennons, sprach ihn gegen 22.50 Uhr erneut an – und feuerte fünfmal auf ihn. Während Lennon auf dem Weg in die Klinik verblutete und kurz nach 23 Uhr seinen schweren Verletzungen erlag, wartete der Täter seelenruhig auf seine Verhaftung.
In seiner Jacke trug er ein Exemplar des Romans „Fänger im Roggen" von J.D. Salinger. Später soll er ausgesagt habe, den Roman habe er als Auftrag verstanden, eine berühmte Persönlichkeit zu ermorden, um selbst Berühmtheit zu erlangen. Den Gefallen, dass der Name des Täters für immer mit dem des Opfers verbunden sein soll, will der Autor dieser Zeilen dem Täter aber nicht tun und verzichtet aus diesem Grund ganz bewusst auf die Nennung seines Namens. Nur so viel sei zu ihm an dieser Stelle noch gesagt. Er sitzt seit 1981 im Hochsicherheitsgefängnis von Alden in New York. Bis heute wurden elf Gnadengesuche von ihm abgelehnt, das letzte im August dieses Jahres.
Trauriger Fakt am Rande: Noch bis 12. Dezember läuft aktuell bei Goldin Auctions die Versteigerung genau jener Platte, die Lennon fünf Stunden vor seinem Tod für seinen Mörder signiert hatte. Sie war damals in einer der großen Pflanzen vor dem Dakota-Building entdeckt worden. Neben Lennons Unterschrift zieren das Cover auch Beweismarkierungen der Polizei. Das morbide Fundstück soll für einen Mindestpreis von 400.000 US-Dollar versteigert werden.
Lennons früher Tod ist umso tragischer, als angesichts seiner Herkunft und Kindheit wohl niemand damit gerechnet hätte, dass in ihm ein solches Musikgenie schlummerte. Geboren wurde er am 9. Oktober 1940 im englischen Liverpool. Der Vater war Seemann und ständig unterwegs – was 1945 auch zur Trennung führte. Lennons Mutter Julia war schwanger von einem anderen Mann – zur damaligen Zeit ein undenkbarer Skandal. Der kleine John wuchs von da an bei Julias Schwester Mary Smith, genannt „Mimi", und deren Mann George auf. Seine Tante versuchte den Jungen mit harter Hand zu erziehen. Lange Jahre hatte Lennon kaum Kontakt mehr zu seiner leiblichen Mutter, erst als er etwa 15 Jahre alt war, näherten sich die beiden langsam wieder an.
Sie förderte sein musikalisches Talent, das sich im Gegensatz zu seinem schulischen schon recht früh zeigte. Lennon war ein lausiger Schüler, hatte schlicht keine Lust auf Schule. Julia brachte ihm die Musik von Elvis und Buddy Holly näher, lehrte ihn das Banjospielen, kaufte dem jungen John seine erste Gitarre – bis Lennon seine Mutter durch einen Schicksalsschlag endgültig verlor. Sie wurde unweit seines Wohnhauses überfahren und starb, als John 17 war. „I lost her twice" – „Ich habe sie zweimal verloren", beschrieb er später einmal diese schwierigen und prägenden Erlebnisse.
Wenig kreative Selbstfindungsphase
Er rebellierte fortan, wurde zunehmend zynischer und ging keinem Ärger aus dem Weg. Gleichzeitig setzte er all sein Engagement in die Musik. Sie war sein Zufluchtsort aus den ärmlichen Verhältnissen der Nachkriegsjahre. Mit 15 gründete er seine erste Band, „The Quarrymen", kurze Zeit später lernte er Paul McCartney kennen, der Mitglied der Band wurde und auch George Harrison mit zur Band brachte. Pete Best und Stuart Sutcliffe komplettierten das Quintett. Letzterer verließ 1961 die Band, die sich zwischenzeitlich erst „The Silver Beetles", dann „The Silver Beatles" und schließlich „The Beatles" nannten, Pete Best wurde 1962 durch Ringo Starr ersetzt. Der Rest ist Musikgeschichte.
Nach der Trennung der Beatles am 10. April 1970 konzentrierten sich alle vier Musiker auf eigene Projekte. Faktisch hatten alle bereits vor der Trennung eigenständige Projekte angestoßen. John Lennon widmete sich intensiv den Projekten mit Yoko Ono und feierte große Erfolge mit den Soloalben „John Lennon/Plastic Ono Band" 1970 und „Imagine" 1971. Danach allerdings begann eine neue Selbstfindungsphase. Statt als Musiker machte er vor allem als politischer Aktivist von sich reden – etwa mit sogenannten Bed-ins und anderen pazifistischen Aktion. Er geriet deswegen sogar zusehends ins Visier des FBI, denn damals hatte Lennon noch keine Green Card, engagierte sich also als Ausländer gegen die Politik der Regierung in den USA. Das machte ihn den Behörden verdächtig. Gleichzeitig wurde auch seine Musik immer politischer, experimenteller – und gleichsam schlechter. „Sein Album „Some Time in New York City" dürfte der absolute künstlerische Tiefpunkt seines Schaffens gewesen sein. Es hagelte vernichtende Kritiken.
Fünf Jahre Hausmann und liebender Vater
1975, nach der Geburt seines Sohns Sean, zog sich John Lennon komplett aus dem Musikgeschäft zurück und widmete sich als Hausmann ganz seinem Sohn. Er schien tatsächlich komplett in dieser Rolle aufzugehen. Erst 1980 tauchte er für viele unerwartet musikalisch wieder auf – und meldete sich mit dem Album „Double Fantasy" umso eindrucksvoller zurück.
Schade, dass er keine Gelegenheit bekam, diesen Weg fortzusetzen. Es wäre ihm zu gönnen gewesen, dass er – ähnlich wie im eingangs erwähnten Film –
an seinem 80. Geburtstag vor seinem kleinen Häuschen an einem einsamen Strand säße, eine dampfende Tasse Tee in den Händen, den Blick auf die rauschenden Wellen gerichtet und sinnierend über sein erfülltes Leben. Und uns, weitere Lieder aus seiner Feder zu hören zu bekommen. Leider bleibt stattdessen nur, wieder einmal eine seiner alten Platten rauszukramen und den Klängen von „Imagine" zu lauschen.