Die zweite Welle rollt. Wieder gibt es weniger Kontakte, kaum Freizeitangebote, für viele eine greifbare finanzielle Krise. Doch machen Impfstoffe Hoffnung auf ein baldiges Ende des Zustandes, die Digitalisierung schreitet voran, Unternehmer werden kreativ. Mittendrin der Arbeitnehmer, an dessen Psyche der permanente Ausnahmezustand zerrt.
Ein teuflisches Virus hat die Welt auf den Kopf gestellt. Allen voran die Arbeitswelt. Alltäglich bewährte Arbeitsabläufe mussten binnen kurzer Zeit geändert, neue digitale Kommunikationswege geübt und Arbeitssituationen neu gedacht werden. Oberste Prämisse war immer die Gesundheit, sprich die Eindämmung des Virus. Seit März dieses Jahres befinden sich Unternehmen so gut wie aller Branchen in einer Art Ausnahmezustand, von der kompletten zeitweiligen Schließung über den coronabedingten Regelbetrieb mit Abstandsgeboten bis hin zur völligen Überlastung. Seit März müssen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen mit den Belastungsfaktoren immanente Ansteckungsgefahr, Arbeitsverdichtung, Existenznot durch Kurzarbeit oder Arbeitsplatzverlust, eben eine große allgemeine Unsicherheit leben lernen. Nicht zu unterschätzen ist außerdem die emotionale Inanspruchnahme durch die besonderen Bedürfnisse vieler Menschen in diesem Ausnahmezustand.
Eine Forsa-Umfrage im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums und des Forschungsinstituts IZA (Institut zur Zukunft der Arbeit) vom Oktober kommt zu dem Ergebnis, dass fast 70 Prozent der Befragten durch die Corona-Krise emotional belastet seien, vor allem, weil sie sich um die Gesundheit ihrer Angehörigen sorgen. Mehr als die Hälfe gibt an, dass sie unter der Unsicherheit leide, wie es in den nächsten Wochen und Monaten weitergehe. Auch der Verlust sozialer Kontakte sowie die Einschränkungen des Handlungsspielraums belastet über 50 Prozent der Bevölkerung. 15 Prozent beklagen finanzielle Schwierigkeiten und die fehlende Trennung zwischen Arbeit und Privatleben im Homeoffice immerhin noch zehn Prozent.
Das bleibt nicht folgenlos für die Psyche der Menschen. Der Fachbereich „Psyche und Gesundheit im Betrieb" der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) hat einen Leitfaden entwickelt, wie Betriebe, Unternehmen und Organisationen mit psychischen Belastungen der Beschäftigten in der Corona-Pandemie umgehen können, um die physische und psychische Gesundheit besser zu schützen.
Reaktionen
Die Reaktionen der Beschäftigten sind höchst unterschiedlich und können körperlicher Natur sein wie Kopfschmerzen, Magen-Darm-Probleme, Schlafstörungen, Herzrasen oder erhöhter Blutdruck. Zu den kognitiven Reaktionen zählen zum Beispiel mangelndes Konzentrationsvermögen einhergehend mit Flüchtigkeitsfehlern oder dass sie keinen Abstand zum Arbeitsalltag finden. Emotionale Reaktionen sind oftmals Reizbarkeit, Ungeduld oder ein Ohnmachtsgefühl, seine Aufgaben nicht mehr zu schaffen. Zu guter Letzt zeigen sich verhaltensbezogene Änderungen wie vermehrter Alkohol- und Zigarettenkonsum oder ein verändertes Essverhalten.
Mit gutem Beispiel vorangehen
Wie können Betriebe, Unternehmen und Organisationen die psychische Gesundheit ihrer Beschäftigten stärken? Die Führungskräfte sind hier besonders gefragt. „Menschen bleiben eher gesund, wenn sie ihre Arbeitssituation als verstehbar, handhabbar und sinnvoll begreifen. Erst, wenn die Führungskraft selbst diese drei Aspekte für sich positiv beantworten kann, ist sie in der Lage, dieses auch den Angestellten zu vermitteln", sagt eine der Autorinnen des Leitfadens vom DGUV. Hier einige Beispiele, was Arbeitgeber in Pandemie-Zeiten gezielt tun können.
Information
Ein gezieltes, klares und transparentes Informationsangebot zur Pandemie gilt als wichtiger Schlüssel, zum Beispiel zum Hygienekonzept, Schutzmaßnahmen oder zur wirtschaftlichen Situation des Unternehmens.
Handlungsspielraum
Zur Stärkung des Handlungsspielraums der Mitarbeiter zählen beispielsweise kurzfristige Abstimmungen im Team, selbstständige Prioritätensetzung der Arbeitsinhalte, konstruktiver Umgang mit Fehlern, Rückendeckung durch die Führungsebene oder die regelmäßige Möglichkeit zum kollegialen Austausch.
Verantwortung
Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Stärkung der Verantwortung jedes Einzelnen gegenüber allen anderen Mitarbeitern. Dazu gehören zum Beispiel klare festgelegte Zuständigkeiten, was die Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln im Betrieb betrifft, die Fürsorgepflicht bei Risikogruppen wie ältere Mitarbeiter oder solche mit Vorerkrankungen oder der Umgang bei Verdachtsfällen und Rückkehrern, die als genesen gelten.
Emotionale Inanspruchnahme
Sie gehört zu den schwierigsten Bereichen, da Ängste und Unsicherheiten wie Ansteckungsgefahr, Arbeitsplatzverlust oder Doppelbelastungen durch Homeoffice angesprochen werden. Der Umgang mit Menschen erfordert daher von Führungskräften oftmals Fingerspitzengefühl und das Sich-hineinversetzen in die Lage der Mitarbeiter in einer außergewöhnlichen Belastungssituation. Regelmäßige Gesprächsangebote, auch virtuell, die den Teamgedanken und den Zusammenhalt fördern, Wertschätzung für erbrachte Leistungen, das offene Ansprechen von Ängsten, Rücksichtnahme auf private Umstände, zum Beispiel durch Flexibilisierung der Arbeitszeiten mit früherem oder späterem Beginn, Absprachen zu begrenzter Erreichbarkeit zum Schutz des Privatlebens, aber auch virtuelle Kaffeeecken in der Mittagspause können helfen, Ängste zu überwinden.
Arbeitszeiten und -abläufe
Das verstärkte Arbeiten von zu Hause aus setzt ein gewisses Vertrauen in puncto Arbeitszeit voraus. Die Gefahr, dass Grenzen zwischen Arbeitszeit und privater Zeit verschwimmen, ist im Homeoffice gegeben, auch was das Einhalten von Pausen angeht. Hier ist ein gewisses Maß an Eigenverantwortung gefragt. Auf der anderen Seite sparen Beschäftigte den Weg hin und zurück zur Arbeit, also wertvolle Lebenszeit.
Bei Änderung von Arbeitsabläufen zum Beispiel wegen Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln oder bei Belegung von Büros wegen räumlicher Enge ist es wichtig, die betroffenen Mitarbeiter frühzeitig einzubeziehen und Gründe transparent zu machen. Auch sollte geklärt werden, wie mit den zur Verfügung gestellten Arbeitsmitteln wie PC, Laptop oder Büromöbeln bei der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Homeoffice umgegangen wird.
Fachleute warnen bereits davor, dass sich die Gefahr psychischer Störungen wie Angstzustände, posttraumatische Belastungsstörungen, Schlafstörungen, depressive Verstimmungen oder Anpassungsstörungen erhöht, je länger die Corona-Krise, also der emotionale Ausnahmezustand, dauert. Die Resilienz, sprich Widerstandsfähigkeit der Menschen, ist bei jedem Einzelnen höchst unterschiedlich ausgeprägt. Umso mehr kommt es darauf an, auch nach der Krise auf Symptome zu achten, die auf psychische oder körperliche Erkrankungen hinweisen. Um die Gesundheit der Beschäftigten langfristig vor den Folgen der Pandemie zu schützen, ist es wichtig, ein sogenanntes Kohärenzgefühl bei den Beschäftigten zu erzeugen. Das heißt: In der Auseinandersetzung mit Belastungsfaktoren bleiben Menschen eher gesund, wenn sie ihre Arbeitssituation als verstehbar, handhabbar und sinnvoll begreifen. Dies zu verinnerlichen und weiterzugeben, gehört nach Angaben der DGUV zu den wichtigen Aufgaben von Führungskräften. Somit können die „neuen" Leiden am Arbeitsplatz zumindest reduziert werden.