Viele Monate waren sie getrennt. Nun geht es wieder nach Afrika: Unser Autor träumt vom Treffen mit seiner „Freundin" in Namibia. Das Land ist von Corona kaum betroffen. Deshalb zählt es zu den wenigen Safari-Destinationen, die für Besucher nun wieder erreichbar sind.
Eigentlich hüte ich meine Privatsphäre wie einen Schatz. Doch die Redaktion will, dass ich hier mein Herz ausschütte. Also los: Fernbeziehungen sind Mist! Ich vermisse meine Freundin, die in Namibia lebt und mich schon auf vielen Reisen begleitet hat. Ich kenne sie inzwischen ziemlich gut und weiß: Wenn ich sie nicht jedes Jahr ein paarmal besuche, wird sie zickig. Zuletzt gesehen haben wir uns im März, kurz vor der Schließung der Grenzen. Nun wartet sie schon seit vielen Monaten auf meine Rückkehr. Wegen Corona war das unmöglich. Doch jetzt ist die Reisewarnung aufgehoben: Namibia ist kein Risikogebiet mehr, und weder vor Ort noch nach der Rückkehr muss man in Quarantäne. Es gibt auch wieder Flüge. Bald ist es also wieder so weit: Die nächste gemeinsame Tour steht an. Wir kennen uns, seit ich vor mehr als zehn Jahren einmal auf dem mächtigen Sambesi unterwegs war, 3.000 Flusskilometer im Schlauchboot von der Quelle bis zur Mündung. Es war eine aufwendige Expedition, um für den Kampf gegen Malaria zu werben. Am Ende hatte ich mir zwar nicht den Parasiten eingefangen, mich aber mit dem berüchtigten Afrika-Virus infiziert. Nun geht es mir wie so vielen Besuchern, die immer wieder das dringende Bedürfnis haben, möglichst viel Zeit auf dem Kontinent zu verbringen. So kam das eine zum anderen: Ich lernte meine Freundin in Namibias Hauptstadt Windhuk kennen und konnte sie dort einem deutschstämmigen Architekten abluchsen, dessen Verwandtschaft mich deshalb bis heute als Dieb bezeichnet – im Scherz, aber mit durchaus warnendem Unterton, denn die Familie hat sie nur ungern ziehen lassen. Meine Freundin und ich waren zusammen in Sambia, Simbabwe, Botswana, Mosambik, Südafrika unterwegs – und immer wieder in Namibia. Das Land ist so im Laufe der Jahre zu meiner zweiten Heimat geworden.
Die Dame meines Herzens ist 42 Jahre alt, so wie ich, und hört auf den Namen „White Lady". Um das Geheimnis nun zu lüften: In Namibia haben viele Autos weibliche Kosenamen, so auch meines. Die „White Lady" ist ein Toyota Land Cruiser. Weiß lackiert, mit Ecken und Kanten, ohne Klimaanlage oder Servolenkung oder anderem modernen Schnickschnack – und mit knapp 240.000 Kilometern gerade mal eingefahren. Mit ihren 95 PS fährt man zwar nur ungern schneller als 80 Stundenkilometer. Dafür können zwei Leute, die sich mögen, auf der Ladefläche des Oldtimers übernachten. Und er bringt einen wirklich überall hin. Bald gehen wir also wieder rauf auf die „Pads", wie sie in Namibia die Schotterstraßen nennen. 2.500 Kilometer lang soll die Tour sein, von Windhuk in die Wüsten des Südens, quer durch die Kalahari und die Namib.
„White Lady" heißt das Auto
Zunächst aber geht es hinein in die Realität des Alltags. Wer wissen möchte, wie Namibias Rinderfarmer der Trockenheit trotzen, findet in Marianne und Rainer Seifart die besten Informanten. 5.000 Hektar groß ist ihre Farm-Heimat bei Dordabis, ein paar Stunden entfernt von der Hauptstadt Windhuk. Inzwischen kümmert sich mit Tochter Mareike die vierte Generation ums Vieh. Vom Kampf gegen Brände und Schwarzhakendorn, vom Leben der Arbeiter und von den Fleischpreisen erfährt man bei einer Farmrundfahrt mit einem bald 70 Jahre alten Ford. Auch geländegängige Tiere stehen bereit für Touren: Bevor Rainer den Grill anwirft und die Konstellationen des Sternenhimmels erklärt, geht es mit dem Eselskarren auf eine Anhöhe zum Bestaunen des Sonnenuntergangs. Um die Ecke liegt mitten im Nirgendwo auch das Atelier von Dörte Berner, die aus Naturstein beeindruckende Skulpturen meißelt. Und in Namibias größter Höhle, der viereinhalb Kilometer langen Arnhem Cave, klettert man in die Unterwelt.
Dann geht es in Richtung Morgensonne, ins Herz der Kalahari. Um unterwegs zu sein, gibt es keine schönere Zeit als kurz nach Tagesanbruch: Der Wind ist noch ein sanfter Hauch, die Luft noch kühl, und sie schmeckt leicht aromatisch nach dem blühenden wilden Salbei am Straßenrand. Im weiten Veld üben junge Springböcke meterhohe Prellsprünge. Eines Tages könnte aus dem tollen Spiel der übermütigen Antilopen Ernst werden, wenn sich Geparden anpirschen.
Wunderliche Köcherbäume
Die Grasdecke der Dornstrauchsavanne wird lichter. Das Auto schaukelt wie ein Schiff in der Dünung und erklimmt eine Sandwelle nach der anderen. Es beginnt ein scheinbar endloses Hinauf und Hinab zwischen Dünenkamm und Dünental. Dass der Auob, der Nossob und der Olifants River auf Karten als durchgehende blaue Linien eingezeichnet sind, ist ein Witz: Die Trockenflüsse, die man hier Riviere nennt, laufen nur alle Jubeljahre mehr als nur kurze Strecken. Wie jenseits der Grenze in Südafrika gibt es auch auf der namibischen Seite der Kalahari noch wild lebende Löwen auf riesigen Farmen. Zur Belohnung für eine lange Suche findet der Guide nicht nur ein Rudel mit faulen Jungtieren, sondern auch zwei Männchen. Sie kabbeln sich, stupsen sich an, schlecken sich ab – und posieren fürs Familienfoto mit ihren imposanten schwarzen Mähnen. Weiter im Westen wartet dann Namibias spektakulärstes Naturdenkmal. Viele Hundert Meter tief hat sich der Fischfluss ins Gestein gegraben – die Schlucht ist der größte Canyon Afrikas. Wer will, kann hier durch eineinhalb Milliarden Jahre Erdgeschichte wandern – oder angesichts der Hitze nur einen Blick in den Abgrund werfen. Dann heißt es Kilometer fressen: Es geht an die Küste nach Lüderitz, wo prächtige Gründerzeitvillen aus der deutschen Kolonialzeit dem Zahn der Zeit trotzen und dem Wind, der hier bläst und bläst und bläst. Kolmanskuppe, vor den Toren der Stadt, ist eine Siedlung aus der Zeit des Diamantenrauschs. Nach dem Fund der Glitzersteine vor über 100 Jahren wurde eine moderne Stadt in den Sand gesetzt, mit Eisfabrik und Straßenbahn, dem Kegelclub „Gut Holz" und einer Bäckerei für frische Semmeln. Nun übernimmt wieder die Wüste.
Ein fremdes Land ist dieses Namibia. Mit Giraffen, Straußen und Oryx-Antilopen in den Savannen, dazu im regenreicheren Norden auch den „Big Five": Elefanten und Nashörner, Löwen, Leoparden und Büffel. Viele Stunden kann man hier unterwegs sein, ohne auf der zum flimmernden Horizont führenden Piste einem anderen Fahrzeug zu begegnen. Mitten in einem 3-D-Film fühlt man sich vor allem auf der D 707, der wohl schönsten Straße Namibias. Auf der einen Seite erheben sich die roten Dünen der Namib, auf der anderen die Tirasberge. Wunderliche Köcherbäume wachsen neben mächtigen Granitbrocken, die Riesen beim Murmelspiel zurückgelassen haben müssen. Auch Ureinwohner haben Spuren hinterlassen: Von den Buschleuten stammen Abschläge und Klingen. Felszeichnungen der Jäger und Sammler gibt es auch, darunter eine Rarität: Das Abbild eines weißen Segelschiffs erzählt von der Zeit der ersten Kontakte mit Händlern von der Küste. Abend für Abend, bevor die Sonne den Horizont küsst, explodieren dann ein paar Wimpernschläge lang die Farben. Die Wolken legen Rouge auf. Die Gräser auf den Dünenkämmen schimmern, als seien sie in flüssiges Gold getaucht. Der Sand leuchtet, als bestehe er aus glühenden Kohlen. Am Horizont schimmert das Gestein der Tirasberge rostbraun und violett. Die Panorama-Show ist spektakulär, aber fast lautlos: Es säuselt nur der Wind.
Über 300 Meter hohe Düne „Big Daddy"
Eine Teerstraße – die erste seit vielen Hundert Kilometern – führt weiter im Norden vom Eingang des Namib-Naukluft-Nationalparks mitten in die Namib hinein. Was aber ist der Flickenteppich von tausend kahlen roten Stellen im goldgelben Gras? Wie die sogenannten Feenkreise entstehen, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Kameldornbäume und die Büschel zäher Gräser säumen den Sossusvlei, eine Lehmpfanne. Für die Oase des Lebens in der Wüste sorgt der Trockenfluss Tsauchab. Nur alle Jubeljahre führt er Wasser. Am Sossusvlei und nebenan am Deadvlei, wo vertrocknete Bäume gebleichte Äste ausstrecken wie Spinnenfinger, wachsen die gewaltigsten Dünen der Namib in den Himmel. Über 300 Meter hoch soll „Big Daddy" sein, auch seine Nachbarn können mithalten. Doch den Zauber der Namib erlebt man besser dort, wo kaum Menschen sind. Das grellste Licht, die kräftigsten Farben, vor allem aber die größte Leere und nachts den funkelndsten Sternenhimmel kann man nicht en passant entlang der Hauptstraße erfahren. Um all das zu erleben, muss man das Auto abstellen, die Stiefel schnüren, Wasser einpacken, und auf eine einsame Düne klettern. Die „White Lady" ist glücklicherweise eine treue Seele: Trotz meiner vielen Eskapaden wartet sie stets geduldig auf meine Rückkehr. Damit die Tour weitergehen kann – am liebsten auf immer und ewig.