Die Müllmenge steigt und steigt. Berge von Plastik, Folien und Styropor landen in den gelben Tonnen, weil die Bürger sich immer mehr Essen liefern lassen. Auch in den Supermärkten zeichnet sich keine Wende ab.
Essen „to go" liegt im Trend – gerade in diesen Pandemie-Zeiten verdienen sich viele Restaurants damit wenigstens etwas Geld zum Überleben, und die Berliner kochen ohnehin nicht gern. Dafür bleiben sie dann auf einem Berg von Styropor-Schalen, Plastikdöschen für die Soßen, Abdeckfolien und beschichteten Kartons sitzen. Aus den Augen, aus dem Sinn – und ab in die gelbe Tonne? Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) will das nicht länger hinnehmen. Genau wie die vielen Plastikschälchen und Kunststofffolien, die man im Supermarkt immer mitkauft, wenn man eine Packung Sushi oder 150 Gramm Käse mit nach Hause nimmt. Wer hat sich noch nicht darüber geärgert, dass zwischen jeder Schinkenscheibe auch noch Klarsichtfolie ist, dass Bananen, Mohrrüben oder Gurken extra verschweißt sind, und jede Praline noch mal in einer Kunststoffhülle steckt.
„Diese ganze Mentalität – einmal nutzen, weg und hopp – das muss jetzt mal aufhören", sagte Svenja Schulze dem SWR. „Wir brauchen andere Angebote." Sie will Fastfood-Restaurants, Imbisse und auch den Einzelhandel in die Pflicht nehmen. Von 2022 an sollen sie flächendeckend Verbrauchern für die Mitnahme von Speisen und Getränken auch Mehrwegverpackungen anbieten. Der Kunde soll bei jeder Bestellung, bei jedem Kauf wählen können, ob er Mehrweg oder Einweg haben möchte.
Restaurants und Supermärkte sollen die Einwegverpackungen und die wiederverwendbaren Becher und Behälter wieder zurücknehmen – und zwar gegen Pfand, damit die Kunden es auch machen. Ausgenommen sind Geschäfte mit höchstens drei Mitarbeitern und einer Fläche von maximal 50 Quadratmetern. Dann soll es reichen, auf Wunsch den Kunden die Produkte in mitgebrachte Mehrwegbehälter abzufüllen. Der Verkauf von Essen auf Tellern ist ebenso ausgenommen wie Pizza-Kartons. Werden wir also demnächst unsere Burger auf einem Porzellanteller geliefert bekommen?
Wahl zwischen Einweg und Mehrweg
Das Ziel ist in erster Linie die Vermeidung von Plastikmüll. Ein erster, aber mühsamer EU-weiter Schritt war das Verbot von Einwegprodukten aus Plastik. Das gilt ab Juni 2021: Trinkhalme, Besteck, Rühr- und Wattestäbchen aus Plastik müssen dann aus den Regalen verschwunden sein. Schon jetzt findet man zum Beispiel nur noch Trinkhalme aus Bambus, Holz, Glas oder Zellulose.
Dass noch mehr getan werden muss, um die Verpackungsflut einzudämmen, zeigen die aktuellen Zahlen von der Müllverwertung. Jeder Bürger hat allein 2018 im Schnitt 228 Kilo Verpackungsmüll angehäuft, das ist mehr als in den Jahren zuvor. Davon fallen zwar mehr als 50 Prozent zum Beispiel für den Transport bei Industrie und Gewerbe an, aber rund 104 Kilogramm im haushaltsnahen Bereich. Das sei „ernüchternd", erklärte Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth. Und mahnte deutlich höhere Recycling-Quoten an. Die Quoten werden beim dualen System erfasst, das von Industrie und Handel finanziert wird. Zukünftig sollen sie für Kunststoffverpackungen von heute 36 auf 63 Prozent bis zum Jahr 2022 ansteigen. Noch werden nach Berechnungen der Heinrich-Böll-Stiftung 60 Prozent der Kunststoffabfälle verbrannt.
Auch bei den Pfandflaschen tut sich nicht genug. Umweltschützer raten immer wieder, am besten Getränke aus der Region in der Glas-Mehrwegflasche zu kaufen. Trotzdem werden derzeit nur 41 von 100 verkauften Verpackungen für Getränke wieder befüllt. Im Jahr 2010 waren es noch 48. Deswegen will das Bundesumweltministerium auch Ausnahmen bei der Einwegpfandpflicht auf Dosen und PET-Flaschen streichen. Das heißt: Künftig soll auch auf entsprechend abgefüllte Mischgetränke und Saft sowie Wein, Sekt und Spirituosen Pfand erhoben werden. „Dosen und Plastikflaschen haben nichts in der Umwelt zu suchen", sagte Svenja Schulze. „Wenn Sie ein Pfand haben, dann gibt es einen höheren Anreiz, sie zurückzubringen und eben nicht draußen liegen zu lassen." Außerdem soll im Gesetz festgeschrieben werden, dass PET-Flaschen ab 2025 mindestens zu einem Viertel aus recyceltem Plastik bestehen müssen.
Der entsprechende Referentenentwurf ihres Ressorts liegt nun zur Anhörung bei Bundesländern und Verbänden. Den Umweltschützern geht das alles nicht weit genug. So fordern die Grünen im Bundestag mehr Mehrweg, auch bei Versandverpackungen. Von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) wiederum gab es Lob, aber ebenfalls weitere Forderungen: „Es ist ein erster richtiger Schritt, Fast-Food-Ketten und Kaffeeverkaufsstellen zu verpflichten, wiederverwendbare Mehrwegbecher und Essensboxen für To-go-Lebensmittel anzubieten", sagte Vize-Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz. Es brauche aber eine verbindliche Mehrwegquote. „Zudem müssen die negativen Umweltauswirkungen von Einwegbechern durch eine Abgabe im Preis spürbar werden", mahnte sie. Mehrweg werde für die Verbraucher nur Standard, wenn Einweg deutlich teurer sei. Damit die während der Corona-Krise nochmals gestiegenen To-go-Abfallmengen wirklich reduziert würden, brauche es eine verbindliche Mehrwegquote oder ein ambitioniertes Vermeidungsziel.
Reaktionen auf den Entwurf reichen von Lob bis „Zumutung"
Die umweltpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Judith Skudelny, bezeichnete dagegen den Vorstoß der Bundesministerin sogar als „Farce" und kritisierte nicht nur die Anschaffungskosten für Gastronomen: „Auf einmal zählt das Argument der Hygiene-Unsicherheit bei Mehrwegbehältern nicht mehr, was gerade in einer Pandemie äußerst fragwürdig ist." Schulze wisse allerdings ohnehin, dass das Gesetz in dieser Legislaturperiode nicht mehr umgesetzt werde, zeigte sich Skudelny überzeugt.
Auch wenn die neuen Pfandregeln erst 2022 in Kraft treten sollten, komme der Gesetzentwurf zur Unzeit und gehe völlig ohne Not über die Vorgaben der EU-Einwegkunststoffrichtlinie hinaus, kommentiert Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), den Vorstoß. „Die geplanten Regelungen würden für viele Betriebe immense und unverhältnismäßige Kosten und Aufwand bedeuten! Das verpflichtende Vorhalten von Mehrwegbehältnissen inklusive Rücknahme, Logistik, Pfand, Reinigung und so weiter ist für die allermeisten Unternehmen schlicht nicht umsetzbar. Einer Branche, die mit dem Rücken zur Wand steht, jetzt mit einem solchen Vorstoß zu begegnen, ist eine wahre Zumutung."
Hartges plädiert dafür, dass es der freien Entscheidung des Unternehmers überlassen sein muss, ob und in welchem Umfang er Mehrweglösungen im Betrieb anbietet. „Statt immer mehr Verbote aufzutürmen, müsste die Politik bezahlbare Alternativen zu Einwegkunststoffverpackungen fördern, sodass der Umstieg von Einwegplastik auf umweltschonende Alternativen erfolgreich gelingen kann."
Die Ministerin wünscht sich, dass das Gesetz schon im Sommer 2021 in Kraft treten wird. Dazu müssten jedoch das Kabinett und der Bundestag schnell zustimmen. Möglicherweise werden die Restaurants bis dahin aber ihr Essen auch wieder wie gewohnt am Tisch auf echten Mehrweg-Tellern anbieten können.