Viele Aussprüche des einstigen österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky sind zu historischen Zitaten geworden. Jener Journalist, zu dem er einst „Lernen S’ Geschichte, Herr Reporter" sagte, war der heute 82-jährige frühere ORF-Redakteur Ulrich Brunner. Er hat das Zitat zum Titel seines Buches gemacht. Vor 50 Jahren kam Kreisky mit einer SPÖ-Minderheitsregierung an die Macht, vor 30 Jahren starb er. Heute ist Bruno Kreisky für spätere Generationen nur mehr ein Name aus dem Geschichtsbuch. Wer aber in dessen 13-jähriger Regierungszeit aufgewachsen ist, wurde von seiner Politik mitgeprägt: etwa den Gratis-Schulbüchern.
Dem Sozialdemokraten Kreisky waren Schulden lieber als Arbeitslose. Er implementierte in Österreich einen Sozialstaat nach schwedischem Muster, wohin er als Jude während des Kriegs hatte emigrieren müssen. Es überrascht zu lesen, wie oft ihm die Vertreibung später, selbst in der eigenen Partei, vorgeworfen wurde. Ulrich Brunner berichtet von Begebenheiten, Freund- und Feindschaften und Atmosphärischem.
Brunner, selbst sozialdemokratisch und journalistisch bei der einstigen „Arbeiter-Zeitung" sozialisiert, nähert sich der Person Kreisky, dem Freund Willy Brandts, dem Einzelkämpfer, der prägende Kränkungen erlitten hatte, durchaus kritisch: Er erzählt geistreiche und pointierte Äußerungen des SPÖ-Kanzlers, beschreibt ihn aber auch als oft jähzornigen, ungerechten, mitunter boshaften Politiker, der durchaus verletzend sein konnte. Kreisky war ein Narzisst, schreibt der Autor, vom Willen zur Macht durchdrungen und dem eigenen Ego verpflichtet. Er war ein Mann mit mehreren Gesichtern: Ein Bildungsbürger, der sich stets den Benachteiligten verpflichtet fühlte. Gerne lud er in seine Wiener Villa ein, wo er allerdings meist monologisierte, ohne Fragen an andere zu stellen.
Brunner lässt in seinem Buch für die Jüngeren Zeitgeschichte aufleben. Für jene über 55 ruft er eine Lebensepoche ab, die vielfach schon ins Vergessen gerückt ist.