Kinder und ihre Kuscheltiere sind oft unzertrennlich. Doch nicht nur sie: auch viele Erwachsene besitzen einen Seelentröster aus Plüsch. Aber nur die wenigsten geben es zu.
Lukas hat ein Geheimnis. Seine Freunde wissen nichts davon, seine Eltern auch nicht und seine Arbeitskollegen schon gar nicht. Lukas kann ohne sein Kuscheltier nicht einschlafen. Der kleine braune Teddybär, genannt Racco, liegt jeden Abend neben ihm auf dem Kopfkissen, immer in Griffweite mit seinem flauschigen, an manchen Stellen schon ziemlich abgegriffenen Fell. Für Lukas ist das ganz normal, aber ein bisschen peinlich ist es ihm schon. Lukas ist 35 Jahre alt.
Der junge Mann aus dem Rheinland steht mitten im Leben. Beruflich laufe es gut, sagt er, und auch sonst könne er nicht klagen: „Eigentlich bin ich ganz normal. Ich bin viel unter Leuten, mache gerne Party und führe eine glückliche Ehe." Nur diese Sache mit dem Kuscheltier, die solle bloß keiner erfahren. „Im Freundeskreis bin ich eher der coole Typ", sagt Lukas. „Ich glaube, die würden sich über mich schlapplachen." Sein Name bleibt in diesem Text deshalb anonym. Erzählen möchte er seine Liebe zu Racco trotzdem. „Weil es garantiert nicht nur mir so geht", sagt er. „Ist ja auch gar nichts Schlimmes dabei."
Der Teddybär, der für Lukas so wichtig ist, hat schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel. Geschenkt bekam er ihn von seinen Eltern im Alter von vier oder fünf Jahren – ganz sicher ist er sich da nicht mehr. „Wir waren einfach unzertrennlich", sagt er, und zählt auf, wohin er Racco damals mitgenommen hat: auf den Spielplatz, zum Kindergarten, zu den Großeltern und zur Tante ins Sauerland. So geht es vielen Kindern. Doch während bei den meisten spätestens in der Pubertät der Teddy in den Keller wandert, war es bei Lukas anders: „Natürlich habe ich ihn irgendwann nicht mehr mit nach draußen genommen", sagt er. „Aber wenn ich nach Hause komme, ist er immer noch da, so wie früher."
Nach einem stressigen Arbeitstag spricht Lukas mit seinem Kuscheltier. Er nimmt es in den Arm, streichelt ihm übers Fell und setzt es danach wieder aufs Kopfkissen. „Andere haben eine Katze, ich habe Racco", sagt Lukas. Er findet das selbst ein wenig lustig und kann darüber lachen. Ist der Teddybär für ihn so etwas wie ein Kinder-Ersatz? „Gute Frage", entgegnet er. „Darüber habe ich ehrlich gesagt noch nie nachgedacht. Ich würde es aber gar nicht so hoch aufhängen. Ich mag einfach meinen Teddy, das ist alles." Nur weil man eine besondere Hinwendung zu etwas habe, müsse man damit ja nicht gleich etwas kompensieren.
Jede fünfte Frau und jeder neunte Mann reisen nur mit Teddy
Dass viele Menschen sich nicht trauen, offen über ihre mit Watte gefütterten Freunde zu sprechen, könnte auch mit der Populärkultur zusammenhängen. Wenn Erwachsene mit Kuscheltieren in Filmen zu sehen sind, ist die Handlung meist so absurd, dass man darüber nur noch den Kopf schütteln kann. Aktuell am bekanntesten dürfte die „Ted"-Kinoreihe sein, bei der ein Teddybär lebendig wird und einen Jungen bis ins Erwachsenenalter begleitet – um dann mit ihm Bier zu trinken, zu kiffen und Frauen anzubaggern. Schon in den 1990er-Jahren verließ Mr. Bean, der schräge Typ aus der gleichnamigen britischen Comedy-Serie, nie ohne seinen Teddy das Haus.
Über all das mag man sich herzlich amüsieren – sind ja Komödien! –, doch ganz so weit hergeholt sind die zugespitzten TV-Szenarien nun auch wieder nicht. So fand die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in einer repräsentativen Umfrage heraus, dass jede fünfte Frau (19 Prozent) und jeder neunte Mann (11 Prozent) beim Reisen nicht auf das eigene Stofftier verzichtet. Von ihnen wiederum gaben 41 Prozent an, der Teddy sei für sie eine Art Glücksbringer. 14 Prozent räumten ein, ohne ihn nicht einschlafen zu können und neun Prozent wollten am Urlaubsziel Fotos mit ihren Lieblingen machen.
Man mag das schrullig finden – aus psychologischer Sicht ist die Liebe zu Kuscheltieren aber ein durchaus nachvollziehbarer Vorgang. „Wir alle sind Beziehungstiere", sagt Sascha Belkadi, Vorstandsmitglied der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) in Nordrhein-Westfalen. In unserer Gesellschaft würden Beziehungen zu Freunden und Partnern am meisten akzeptiert, sagt der Therapeut. Trotzdem tendierten viele Menschen dazu, gedanklich etwas Totes zu beleben. „Das fängt schon an, wenn man sich am Stuhl den Fuß stößt und ihn als ,blödes Ding‘ beschimpft", erklärt Belkadi. „Andere geben ihren Autos Namen oder sprechen mit ihrem Hund, als wäre er ein Mensch." Warum also nicht auch mit einem Teddybären?!
Natürlich gibt es Grenzen, das weiß auch der Therapeut. „Wenn ein Patient ausschließlich ein Kuscheltier als Freund hat, sonst nicht beziehungsfähig ist und deshalb Leidensdruck verspürt, sprechen wir von einer Störung", sagt Belkadi. Ansonsten hätten Menschen, die mit ihren Kuscheltieren sprechen, einfach eine rege Fantasie. „Wann etwas pathologisch wird, ist eine schwimmende Grenze", sagt Belkadi. „Darüber bestimmt letztendlich auch die Kultur. Bei uns sind Kuscheltiere eben meist nur bei Kindern sozial angesehen."
„Unagi Travel" schickt Teddys auf Reisen
Wie eng die Bindung aber auch zwischen Erwachsenen und ihren Teddys sein kann, lässt sich daran erkennen, dass sich dafür inzwischen ein eigener Markt aufgetan hat. So lassen sich etwa über die japanische Reiseagentur „Unagi Travel" die eigenen Stoffgefährten weltweit verschicken. Am Urlaubsort angekommen, werden sie fotografiert und als Postkarte oder digitales Foto an die daheimgebliebenen Besitzer gesendet – gegen Gebühr, versteht sich. Hersteller von Stofftieren wiederum richten sich mittlerweile nicht nur an Kinder und deren Eltern, sondern auch an gut betuchte ältere Klientel. Der Plüschtier-Produzent Steiner hat sogar eine spezielle Kollektion für Erwachsene im Angebot, handgenäht und veredelt mit Swarovski-Kristallen.
Die meisten Erwachsenen aber hängen schlicht an ihren Kindheitsteddys. „Da steckt ganz viel Liebe und Erinnerung drin", sagt Marianne Reinhardt, die sich auf die Reparatur kaputter Kuscheltiere spezialisiert hat. In ihrem Ladenlokal „Teddymanien" in Bochum sieht es aus wie in einer Werkstatt: Stoffballen, Gelenke, Augen, Garn und Füllwatte stapeln sich in den Regalen. 200 bis 300 verschiedene Fälle hat die Expertin auf Lager. „Manche Teddys sind so abgeliebt, dass sich der Stoff richtig auflöst", sagt Reinhardt. „Manchmal kann ich die Stellen stopfen, aber oft hilft es nur noch, Fell zu transplantieren." Die Stofftier-Reparateurin ist sich sicher: „Fast alle Erwachsenen kuscheln. Aber nur die wenigsten geben es zu."
Reinhardt berichtet von Kunden, die mehrere Hundert Kilometer anreisen, um ihren Stoffbär, -hund oder -pinguin vorbeizubringen. „Sie haben Angst, ihr Liebstes zu verschicken", sagt sie, und wenn es erst mal da sei, müsse es mit der Reparatur ganz schnell gehen. „Die Leute können nicht lange ohne ihr Kuscheltier sein. Am liebsten möchten sie es gleich wieder mitnehmen." Ihr Kundenkreis bestehe aus allen Altersgruppen, wobei die Männer knapp überwögen: „Manche schicken ihre Frauen vor, weil es ihnen unangenehm ist", sagt sie. Die meisten aber seien ehrlich: „Heute Morgen erst hat ein Mann seinen Plüschhund abgeholt", sagt Reinhardt. „Er war sehr glücklich, ihn in einem Stück zurückzubekommen." Denn auch das sei wichtig: Die Stofftiere dürften keineswegs anders aussehen als zuvor. „Niemand will einen nagelneuen Teddy", sagt Reinhardt. „Die müssen unbedingt ihren Charme behalten."
Doch woher rührt nun diese Zuneigung, die bis ins hohe Lebensalter reicht? Laut Reinhardt gibt es nicht den einen alleserklärenden Grund. Sie erzählt von Kunden, die ihre Teddys von ihren Partnern geschenkt bekommen haben. Von Frauen und Männern, deren Stofftiere schon den eigenen Eltern gehörten. Von 80-jährigen Senioren, die dem vertrauten Kindheitsduft nachhängen, den ihr Stofftier noch immer verströmt. „Viele sind total gerührt und weinen, wenn sie ihre Teddys wieder abholen", sagt Reinhardt. Die gehörten zum Leben einfach dazu.
So sieht es auch Lukas, der seinen Racco ebenfalls auf fast alle Reisen mitnimmt. Das sieht man dem braunen Teddybären inzwischen auch an. „An den Armen und am Hals ist er schon ziemlich dünn", sagt Lukas und lacht. „Wird wohl Zeit, dass er allmählich in den Ruhestand geht." Zu einem Reparaturshop möchte er ihn trotzdem nicht bringen. „Dann wäre er nicht mehr derselbe", sagt er. „Wir Menschen werden doch auch älter, und man sieht es uns an." Mit Angeboten wie dem Reisebüro-Service kann Lukas derweil nur wenig anfangen. Das sei „reine Geldmacherei", findet er. „Da nehme ich Racco doch lieber selbst mit."
Trost spenden, Geborgenheit erfahren, Erinnerungen wecken: Wer als Erwachsener ein Kuscheltier besitzt, scheint am Ende die gleichen Gründe dafür zu haben wie ein Kind. Und dennoch scheint es für viele ein Tabu zu sein, fast schon ein größeres, als über Geld oder Sex zu sprechen. „Wenn ich beruflich unterwegs bin, verstecke ich Racco im Koffer, bevor das Hotelzimmer geputzt wird", gesteht Lukas. „Abends hole ich ihn dann wieder hervor." Seine Frau beklage sich oft darüber, dass er beruflich zu viel unterwegs sei, erzählt der junge Mann. Zum Glück ist sie nicht komplett einsam, wenn er nicht zu Hause ist: Auch sie besitzt ein Kuscheltier – wie so viele.