Das Projekt „Gaia X" verspricht nicht weniger als ein „digitales Ökosystem". Dahinter steht die Idee, ein sicheres, vertrauenswürdiges und wettbewerbsÂfähiges Datennetz für Europa zu schaffen.
Europa ist mit dem Airbus bei Flugzeugen auf Augenhöhe mit den USA. Mit den Ariane-Raketen und den Galileo-Satelliten können wir auch im Weltraum mithalten. Ganz anders sieht es bei Verfügungsgewalt über unsere Daten aus. Alles vom Handy, Tablet oder Computer landet auf den Servern der großen Tech-Konzerne Google, Facebook oder Amazon in den USA, mehr und mehr auch Servern asiatischer Unternehmen, allen voran aus China. Daten sind der Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Wer die Daten besitzt, hat Macht. US-Konzerne nutzen diese Macht kommerziell und werden reich und reicher. In China kann die kommunistische Regierung jederzeit alle Daten abgreifen und für politische Zwecke nutzen.
Mit der Dominanz soll bald Schluss sein. Die EU will eine ‚strategische Souveränität‘ bei der Nutzung von Daten von europäischen Firmen und Bürgerinnen und Bürger erreichen. Europa will nicht nur der erste klimaneutrale Kontinent werden, sondern auch der erste transparente Datenkontinent auf dem Globus. Die EU will von der Zuschauerbühne in der digitalen Welt auf das digitale Spielfeld und das Spiel mit europäischen Regeln gewinnen.
Auf der Agenda in Brüssel stehen mehrere Initiativen, um europäische Werte und Interessen im Internetzeitalter zur Geltung zu bringen. Die deutsch-französische Initiative ‚Gaia-X‘ will eine europäische Cloud in die Wege leiten. Künftig sollen die europäischen Datenströme nicht mehr über Konzerne in Amerika und Asien geleitet werden, sondern über die Gaia-X-Institution mit Sitz in der EU. Diese Europäische Datenagentur verfolgt keine eigenen wirtschaftlichen Interessen, sondern dient als Treuhänder und auch Aufsichtsbehörde für einen Datenaustausch ohne Diskriminierung und ist offen für gemeinnützige Zwecke, wie etwa für das Gesundheitssystem. Frei von den undurchsichtigen Manövern der Internet-Konzerne könnten sich so auch kleine und mittlere Unternehmen besser des Internets bedienen. Europäische Start-ups und Innovationen bei Produkten und Dienstleistungen sind ebenfalls eher möglich.
Datenagentur als Treuhänder
Für die europäische Cloud soll demnächst ein eigener Rechtsrahmen mit dem Data-Governance-Act geschaffen werden. Die Macht der amerikanischen Tech-Konzerne würde damit begrenzt, was viele aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft schon lange fordern.
Mitte Dezember wird die Europäische Kommission ein weiteres Gesetz vorstellen, mit dem europäische Regeln für digitale Dienste aufgestellt werden. Das Europäische Parlament hat hierfür schon grünes Licht und Unterstützung signalisiert. Worum geht es? Die Dienste der Tech-Konzerne Google, Facebook und Amazon sind allesamt profitgetrieben. Je länger sie jemanden auf ihrer Plattform halten können, desto mehr Gewinn wird durch Werbung erzielt. Mit personalisiertem Microtargeting werden bestimmte Inhalte zugespielt, bei denen die Konzerne aus den gesammelten Daten wissen oder vermuten, dass sie Nutzer auf der Plattform halten. Algorithmen bestimmen, was wir zu sehen und zu hören bekommen. Diese Praxis ist das am meisten gefährliche Element der derzeitigen Internetwirtschaft. Die Konzerne beeinflussen so Meinungen und Einstellungen, Menschen werden in Echokammern gehalten, ein Leben in gleichförmigen Inhalten kann leichter und schneller zu Selbstradikalisierungen beitragen.
Mit dem neuen Digital Services Act, der Mitte Dezember präsentiert wird, soll ein Europäisches Grundgesetz für digitale Dienste entstehen und die heutigen Fehlentwicklungen korrigiert werden. Es gibt bald europaweit einheitliche Regeln für die Nutzung des Internets. Ein wesentliches Element: Die Algorithmen der Tech-Konzerne sollen transparent werden. Es wird ein Verbot der Diskriminierung anderer Anbieter geben. Die Plattformen werden verpflichtet, illegale Inhalte wie Hass und Hetze rechtzeitig zu entfernen. Zudem soll endlich eine Interoperabilität gewährleistet werden. Wer auf Whatsapp unterwegs ist, soll gleichzeitig auch mit Freundinnen und Freunden, die andere Plattformen nutzen, wie zum Beispiel Signal oder Telegram, kommunizieren können. Was beim Telefon seit Jahren gilt, nämlich nicht nur Nutzer des eigenen Anbieters, sondern die aller anderen anwählen zu können, soll jetzt auch beim Internet kommen.
Europäische Cloud und Bezahlsystem
Digitale Souveränität muss Europa auch auf weiteren Gebieten gewinnen. Das Internet ist ein Tummelplatz für Kriminelle aller Art. Private Hacker bedrohen Firmen mit Netzausfällen, mehr noch, staatlich beorderte Hacker versuchen die öffentliche Infrastruktur und Institutionen zu stören, wie nicht nur verschiedene Attacken auf das IT-Netz der Deutschen Bundestages zeigen. Die EU-Kommission hat eine neue Strategie für Cybersicherheit angekündigt. Erhebliche Forschungsmittel sollen in die Entwicklung von Techniken zum Schutz der Daten und der Netze investiert werden. Das Saarbrücker Cispa-Helmholtz-Institut soll ein europäisches Kompetenzzentrum für Cybersicherheit werden. Das Internet der Dinge, das Geräte untereinander vernetzt, kann zu einer Unsicherheit in allen Lebensbereichen führen. Deshalb müssen in Zukunft alle Geräte ein europäisches Sicherheitszertifikat nachweisen.
Die digitale Revolution macht auch vor dem Geld nicht halt. Internet-Bezahldienste sind auf dem Vormarsch. In China hat Alibaba mit Alipay eine umfassende Finanzarchitektur auf den Markt gebracht. Facebook aus dem Silicon Valley zieht mit der digitalen Währung Libra nach. Einkaufen, Verkaufen, Kredite und Finanzgeschäfte werden aus einer Hand angeboten. Nun hat auch die Europäische Zentralbank in Frankfurt reagiert. Ein digitales europäisches Bezahlsystem mit europäischer Cloud zum Nutzen der Kunden ist in Vorbereitung.
Fazit: Europa war in Gefahr, im Internetzeitalter abgehängt zu werden und auf Akteure aus anderen Kontinenten angewiesen zu sein. Spät, aber vielleicht noch nicht zu spät, ist der alte Kontinent aufgewacht. Das digitale Europa ist ein Flaggschiff der neuen Europäischen Kommission. So schnell mögen hier keine Internetriesen wie in den USA und China entstehen. Die EU ist jedoch eine Weltmacht im Setzen von Standards und Regeln. Das gilt bereits im Umwelt- und Verbraucherschutz. Das muss jetzt auch beim Datenschutz im Internet erreicht werden. Europa muss eine globale Datenmacht werden, zum Schutz seiner Menschen und seiner Wirtschaft. Die Anfänge sind gemacht.