Statt regulären Zuschauern feuerten Tennis-Stars auf den Tribünen ihre unten kämpfenden Rivalen an: So sah es in diesem Jahr bei den US Open, bei Last-Minute-Lizenz-Turnieren in Köln und auf anderen Courts aus. Ein wenig anders, mit unterhaltsamem Tennis trotz Turnier-Absagen und mit zwei Grand-Slam-Titeln für deutsche Spieler.
Tennis-Fans wissen nach diesem Jahr, dass Rafael Nadal auch kochen kann. Und dass er seine Kochkenntnisse gemütlich perfektionieren konnte. In den vielen Monaten mit seiner Gattin Xisca Perello zu Hause, in denen der Sandplatzkönig aus Spanien nicht wie sonst auf der Tennistour rund um die Welt unterwegs war. Auf eine Reise ins coronageplagte New York verzichtete der 34-Jährige Ende August, als offizielle Profi-Turniere teilweise und unter Einschränkungen wieder erlaubt waren. Damit ersparte er sich zumindest in den USA eine mehrwöchige Isolation in einer Bubble, wie sie für die Spieler nach dem Ende des Frühjahrs- und Sommer-Corona-Lockdowns im Profi-Tennis zur pflichtschuldigen Routine wurde.
In einem Jahr, in dem es ab dem 12. März Turnier-Absagen hagelte, fokussierte sich der Spanier aufs Asche-Training und feierte im stürmischen Oktober in Paris bei den French Open seinen 20. Grand-Slam-Sieg – ohne einen einzigen Satzverlust während des Turniers. Das bedeutete Titel-Gleichstand mit Roger Federer und eine neue Nuance im Rennen um den inoffiziellen Titel des „Greatest of All Time" (GOAT). Nadal beteuerte: „Roland Garros ist das Wichtigste für mich. Mich verbindet eine Lovestory mit dieser Stadt."
Aufsteiger und Gewinner
Für „Rafa" wird auf dem Centre Court des Pariser Stadions „Roland Garros" nun eine Statue des Sandplatzkönigs aufgestellt. Diego Schwartzman hatte ihn augenzwinkernd den „Besitzer des Courts" genannt. Obwohl der Argentinier nach einem dramatischen Fünf-Satz-Sieg über Dominic Thiem im Viertelfinale und im Halbfinale der French Open dem 13-maligen Turniersieger Nadal unterlag, rückte er nach zehn Profi-Jahren endlich in die Top Ten vor. Im römischen Vorbereitungsturnier hatte der 28-Jährige Ende September sogar den Sandplatzkönig besiegt und unterlag lediglich Novak Djokovic im italienischen Masters-Finale. Auch Andrey Rublev zog 2020 erstmals in die Top Ten ein: Der 23-jährige Russe errang Siege bei fünf ATP-World-Tour-Turnieren, obwohl die Tour fünf Monate ruhte.
Victoria Azarenka beklagte sich zitternd, im Thermo-Outfit und eingewickelt in Handtücher, auf ihrem Stühlchen bei den frösteligen French Open: „Mir ist kalt, ich lebe in Florida." „Vika" hatte sich zuvor in den USA um 46 Plätze auf Rang 13 der Weltrangliste hochgearbeitet. Literweise Schweiß tränkte wenige Wochen vor den French Open, die vom Frühling in den Herbst verlagert wurden, die Hartplatz-Courts in New York, brachte die Spieler zum Ausrutschen und das Hygienekonzept zum Erbeben. „Sascha" Zverevs Schuhe sorgten quietschend und überlaufend für Unterhaltung. Trotzdem schaffte es der Weltranglisten-Siebte bei den US Open erstmals in ein Grand-Slam-Finale, ausgerechnet gegen seinen Freund Dominic Thiem. Der Wiener Neustädter ist eindeutig ein Gewinner des Jahres. Im Tiebreak eines hochklassigen Endspiels gegen Zverev gewann Thiem im September seinen ersten Grand-Slam-Titel und nahm im November mit seinem starken Auftritt bei den ATP Finals in London Nadal fast den zweiten Weltranglisten-Platz ab. Bei den Australian Open hatte der 27-Jährige schon im Januar im Finale gestanden. Knapp unterlag Thiem in London im November doch noch dem Russen Daniil Medvedev. Vom vermutlich „besten Sieg" seines Lebens sprach Medvedev anschließend, ohne dass die Nummer vier der Welt große Emotionen wegen seines Weltmeister-Titels zeigte.
Naomi Osaka trat bei den US Open und im Vorturnier am gleichen Ort couragiert für die „Black Lives Matter"-Bewegung ein. Die Japanerin sagte sogar ihr Halbfinale beim WTA-Turnier in New York, das an einem symbolischen Sportler-Streik-Tag angesetzt war, ab. Wie viele andere lebte sie wochenlang in der „Bubble" zwischen Hotel und Stadion. Unbeirrt gewann Osaka zum zweiten Mal den Grand-Slam-Titel in New York. Im Finale besiegte die 23-jährige Nummer drei der Welt die 31-jährige Victoria Azarenka.
„Ich bin sicher, sie ist die Zukunft des Tennis", sagte Barbara Rittner über Iga Swiatek, die mit 19 Jahren als erste Polin ein Grand-Slam-Turnier gewann. Im Finale der French Open hatte selbst das amerikanische „Wunderkind", die 22-jährige Sofia Kenin, gegen die junge Aufsteigerin keine Chance. Doch auch Kenin hatte ein grandioses Jahr, das sie als Weltranglisten-Vierte beendete: Finale in Paris am Saisonende und Siegerin bei den Australian Open am Saisonanfang.
Ins Staunen brachte der Kempener Daniel Altmaier die Tenniswelt, als sich der Qualifikant bis ins Achtelfinale im Stadion Roland Garros spielte. Selbstbewusst resümierte der 22-Jährige: „Ich habe gelernt, dass ich jeden schlagen kann."
Grand-Slam-Doppelsiege für deutsche Spieler
Laura Siegemund spielte sich mit langen Kniestrümpfen im Einzel bis ins Viertelfinale der French Open. Im Doppel holte die 32-Jährige aus dem Raum Stuttgart mit Vera Zvonareva sogar den Grand-Slam-Titel bei den US Open.
Im Frühjahr füllte der gebürtige Franke Kevin Krawietz noch als Aushilfe in München Supermarkt-Regale auf. Im Herbst gewann er zusammen mit dem Kölner Andreas Mies zum zweiten Mal in Folge den Doppel-Titel bei den French Open. Damit nicht genug, die beiden wollen noch mehr Grand-Slam-Titel, auch in Paris. „Wir geben Gas. Wir sehen uns wieder!", versprach Krawietz. Vielleicht werden die Deutschen die Ablöse für die Brian-
Brothers: Nach 439 gemeinsamen Wochen auf Platz eins der Doppel-Weltrangliste, 919 Turniersiegen, 16 Grand-Slam-Titeln und Gold bei Olympia ist das erfolgreichste Duo aller Zeiten leise und ohne Würdigung von der Tennis-Bühne gegangen. Doch die Zeremonie soll für die amerikanischen Zwillinge im kommenden Jahr bei den US Open nachgeholt werden. Wenn die Welt wieder ein wenig freier funktioniert.
Rücktritte und Versäumnisse
Eine erfolglos gewordene Maria Sharapova trat kurz vor Corona zurück. Die Neu-Regensburgerin Julia Görges folgte ihr überraschend nach dem letzten Grand-Slam-Event des durcheinandergeratenen Ballsport-Jahres: Die French Open, sonst im Frühling beheimatet, wirbelten 2020 im herbstlich-stürmischen Paris den Saison-Kalender durcheinander und setzten für die ehemalige Top-Ten-Spielerin Görges den Karriere-Schlusspunkt. Viele Turniere, wie das Sandplatzturnier von Madrid, wurden zunächst passend zu den French Open verschoben. Einige fielen schließlich ganz aus, so auch die BMW Open und die ganze Asien-Tour der Frauen. Extrem mager gestaltete sich die WTA-Tour der Frauen in diesem pandemiegeprägten Jahr, sodass die Tour wesentlich zwischen Ende August und Anfang Oktober angesiedelt war. Beispielsweise Barbara Rittner wunderte sich als Turnierdirektorin, dass die WTA die Chance, eines der kurzfristig lizenzierten Turniere in Köln in der zweiten Oktober-Hälfte für die weiblichen Profis zu nutzen, verstreichen ließ. Deshalb gab es zwei Männer-Turniere nacheinander, die beide Alexander „Sascha" Zverev gewann. Der Weltranglisten-Siebte trainierte während des fünfmonatigen Saison-Shutdowns fleißig in Florida und Monaco, fiel aber immer wieder durch Leichtsinn auf. Auch als die offizielle ATP-Tour neu gestartet wurde, produzierte Deutschlands Nummer eins diverse Schlagzeilen mit einer Mischung aus Turnier-Erfolgen, Management-Problemen und Privatem. So wird der 23-Jährige Vater und bilanzierte sein 2020 mit vielerlei Facetten als „filmreif". „Das im Sommer war nicht okay", sagte er beispielsweise gegenüber dem „Spiegel" zu den Party-Bildern aus einem Beach-Club bei Monte Carlo, in einer Zeit, die er nach den Adria-Tour-Torheiten in freiwilliger Quarantäne verbringen wollte.
Novak Djokovic ließ sich während des Frühjahrs-Lockdowns regelkonform die Haare von seiner Frau schneiden, bevor er manch Fragwürdiges inszenierte. Mit einem großen Einladungs-Tennisturnier, viel (Be-)Rührung, reichlich Party und Show, hatte der „Djoker" im Frühsommer die Pandemie-Pause im Profitennis auflockern wollen. Das ging gründlich daneben, denn er selbst sowie andere Spieler und Beteiligte steckten sich mit Covid-19 an. Das Fatale: Djokovic fühlte sich zu Unrecht in der Kritik. Ebenso bei den US Open. Die Offiziellen schickten den Serben heim, nachdem er wutentbrannt einen Ball zur Seite geschmettert hatte – auf eine Linienrichterin, die daraufhin zu Boden ging.
Roger Federer pausierte in diesem Jahr verletzungsbedingt: Das Knie, die Gelenke, OP und Regeneration bestimmten sein Tagesgeschäft. Das Tennis-Idol meldete sich aber ab und zu auf den sozialen Medien: Es gab reichlich Diskussionsbedarf rund um die Spielerorganisationen. Der Schweizer schlug eine gemeinsame Vereinigung von Männern und Frauen mit gleichberechtigten Verfahren vor.
Boris Becker legte im November sein Ehrenamt als „Head" im deutschen Herrentennis nieder und sagte in einer neuen Podcast-Reihe mit Johannes B. Kerner zu seinem bisherigen Leben: „Dass ich mit 53 Jahren immer noch so interessant bin, das überrascht mich eigentlich. Wie kann ich den Stecker ziehen?" Das Problem des Wahl-Briten: „Der 17-jährige Boris Becker hat erst mal für sich gewonnen und nicht für Deutschland. Dass ich dann umarmt wurde, war schön. Aber dass ich aus dieser Umarmung nicht mehr rauskomme, das erdrückt mich." Andererseits braucht der 53-Jährige weiter die Öffentlichkeit. Auch wenn er Tennis kommentiert. Etwa das Grand Slam von Wimbledon auf BBC. Doch die Veranstalter von Beckers „Wohnzimmer" gaben schon am 1. April eine Info heraus, die kein Scherz war und die vielen nicht gefiel: „Das Turnier in Wimbledon wird aufgrund der Corona-Krise 2020 nicht stattfinden."