Dass die Bayern auch 2020 den DFB-Pokal gewannen, war keine Überraschung. Für die sorgte der 1. FC Saarbrücken, der als erster Amateurverein ins Halbfinale vorstieß.
Keine Chance, keine Spannung, keine Stimmung: Das einzigartige und hochemotionale Fußball-Märchen des 1. FC Saarbrücken fand ein trostloses Ende. Ohne Wettkampf-Praxis seit drei Monaten und ohne Zuschauer war der Viertligaverein im Halbfinale beim 0:3 (0:2) gegen den Bundesliga-Topclub Bayer Leverkusen im Halbfinale des DFB-Pokals nur ein Sparringpartner. Das Völklinger Hermann-Neuberger-Stadion, das im Viertelfinale gegen Düsseldorf noch in seinen Grundfesten gebebt und einen unvergesslichen Pokal-Abend erlebt hatte, glich einem Friedhof. „Wir wollten alle Waffen ziehen und haben mit Wattebällchen geworfen", lautete das bittere Fazit von Saarbrückens Trainer Lukas Kwasniok. Doch Wochen später gestand er ein: „Wenn man es realistisch sieht, war nicht mehr drin. Die Voraussetzungen waren zu ungleich."
Das „größte Fußball-Wunder seit Christi Geburt", wie es FCS-Vizepräsident Dieter Ferner formulierte, endete unwürdig und irgendwie typisch für das Fußball-Corona-Jahr. Während Leverkusen vor dem Halbfinale bereits wieder fünf Ligaspiele nach dem Lockdown bestreiten durfte, hatte Saarbrücken seit 94 Tagen keine einzige Partie gespielt. Die Saison in der Regionalliga Südwest wurde Ende Mai abgebrochen. Seit Mitte März hatte der Ball geruht. „Wir haben überhaupt keine Wettkampfpraxis, diese richtigen Spiele fehlen uns einfach unfassbar", sagte FCS-Keeper Daniel Batz vor der Partie.
Daniel Batz wurde zum Pokal-Helden
Der 29-Jährige wurde im Verlauf der Pokal-Saison von einem Regionalliga-Torhüter zu einem nationalen Medienereignis. Dabei begann alles ganz harmlos. Dass der ambitionierte Regionalligist, der am Ende der Saison vom Südwestverband auch zum „Corona-Meister" gekürt wurde, in der ersten Runde den Zweitligisten Jahn Regensburg aus dem Pokal kegelte – geschenkt. Solche Ergebnisse gibt’s immer wieder. Schon spezieller war die zweite Runde. Der zu diesem Zeitpunkt vom Kölner Dirk Lottner trainierte Viertligist traf auf den 1. FC Köln. Für den Bundesligisten spielte „Lotte" jahrelang, in der Domstadt ist er ein Vereins-Idol. Zudem kam der FC mit dem Saarländer Jonas Hector als Kapitän nach Völklingen. Nach einer durchwachsenen ersten Hälfte ging der Außenseiter durch Christopher Schorch (auch ein Ex-Kölner) und Gillian Jurcher mit 2:0 in Führung. Jonas Hector (welch Zufall) und Simon Terodde glichen aus. Doch in der letzten Spielminute traf Tobias Jänicke für den Regionalliga-Tabellenführer. Ein Märchen. Doch auch in diesen passieren teilweise komische Dinge. Während das Saarland Kopf stand, das Saarbrücker Ausweichstadion in Völklingen plötzlich Kult wurde, war Lottner wenig später seinen Job los. Zwei Auswärtsniederlagen bei den Verfolgern Elversberg und Steinbach ließen die Verantwortlichen die Reißleine ziehen. Lottner ging und Lukas Kwasniok kam. Da passte es wie die Faust aufs Auge, dass der Gegner im Pokal-Achtelfinale der Karlsruher SC sein sollte. Dort hatte Kwasniok jahrelang im Nachwuchsbereich gearbeitet. Als wäre die Konstellation nicht verrückt genug, feuerte der KSC drei Tage vor dem Spiel im Februar seinen Coach Alois Schwartz. Der hatte sich schon auf sein Familienduell mit seinem Stiefsohn, dem FCS-Verteidiger Mario Müller, gefreut. Einen privaten Schlagabtausch gab es trotzdem. Für Schwartz übernahm Christian Eichner, der Schwager des damaligen FCS-Sportdirektors Marcus Mann.
So viel im Vorfeld über die Besonderheiten des Traditionsduells geschrieben wurde, so wenig passierte auf dem Platz. Kaum Torchancen in 120 Minuten, es kam zum Elfmeterschießen. Dort trafen neun von zehn Schützen. Doch den entscheidenden hielt Saarbrückens Torwart Daniel Batz. Der hatte seitdem den Ruf als Elfmeter-Töter weg, dabei hatte er zuvor in zweieinhalb Jahren beim FCS gerade einen halten können. Gut einen Monat später stand das Viertelfinale an. Es wurde zu einem historischen Tag. Nicht nur, dass der Regionalligist am Ende auch Fortuna Düsseldorf ausschaltete. Es war auch der Tag, an dem die erste Corona-Infektion an der Saar nachgewiesen wurde. Doch daran dachte wohl keiner der 6.800 Zuschauer im bitterkalten Völklingen. Der Außenseiter ging mit seinem ersten Torschuss in Führung, der Bundesligist glich mit der letzten Aktion der regulären Spielzeit aus. Minuten zuvor hatte Batz einen Elfmeter gehalten. Nach torloser Verlängerung ging es ins Elfmeterschießen. Dort parierte er gleich fünfmal. Der FCS stand im Halbfinale, Batz tingelte ein paar Tage von Medientermin zu Medientermin. Das folgende Auswärtsspiel bei Astoria Walldorf verlor der FCS mit 0:1. Dann wurde die Saison abgebrochen. Während die Erst- und Zweitligisten längst wieder im Trainingsbetrieb weilten, verhandelten die Saarbrücker Verantwortlichen noch mit der Landesregierung über eine Trainingserlaubnis. So blieb am Ende des Fußball-Märchens ein schaler Beigeschmack. „Aus finanzieller Sicht bleibt die Erkenntnis, dass uns die Pokaleinnahmen sehr geholfen haben, die Folgen der Corona-Krise abzufedern. Aus emotionaler Sicht ist es schade, dass wir den Erfolg nicht richtig auskosten konnten", sagte Vize Ferner, der nach dem Leverkusen-Spiel von „einem Totentanz" sprach.
Die Bayern blieben souverän
Ansonsten war die Pokalsaison 2019/2020 eher arm an Sensationen. Neben dem FCS standen sieben Bundesligisten im Viertelfinale. Für Aufsehen sorgte noch der SC Verl, der es immerhin bis in die Runde der letzten 16 schaffte. Für die Saarländer mag es ein gewisser Trost gewesen sein, dass der Halbfinal-Gegner Leverkusen im Finale gegen die Bayern ähnlich chancenlos war, wie man selbst in der Vorschlussrunde. Das Finale war für den 23. Mai 2020 im Berliner Olympiastadion geplant, wurde aber wegen der Covid-19-Pandemie auf den
4. Juli verschoben. Zuschauer waren, bis auf Delegationen beider Finalisten (je 125 Personen), nicht gestattet. Die Bayern siegten mit 4:2.