Spieler, Verantwortliche und vor allem Fans sehnen sich nach vollen Stadien in der Fußball-Bundesliga. Seit Mai rollte der Ball in der höchsten deutschen Spielklasse fast durchgehend. Zeit für einen genauen Blick auf das Hygienekonzept.
Die deutsche Fußball-Bundesliga war immer stolz auf ihre Fans. Sie strömten in Massen ins Stadion, sorgten dort für Stimmung und unterstützten ihre Vereine bei Wind und Wetter, kurz gesagt: Sie gehörten zu der Eventveranstaltung Fußball wie die Spieler. Seit März ist das aber anders. Die Corona-Pandemie sorgte in der Gesellschaft für tiefgreifendere Fragen. Arbeitslosigkeit, Krankheit oder gar der Tod waren bestimmende Themen sowie der Verlust fast aller sozialer Kontakte und der damit einhergehenden fehlenden Nähe zu Freunden und Familie. Als die Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Landesregierungen dann Anfang Mai verkündeten, dass der Ball rollen darf, stellten sich nicht zu Unrecht viele die Frage: Wer braucht in diesen Zeiten Profifußball?
Der Fußball zeigte sich in dieser Phase wie erwartet professionell. Er entwickelte ein Konzept für einen Spielbetrieb ohne Zuschauer, Diskussionen um Testkapazitäten wehrte die DFL erfolgreich ab. Sie gab genauer gesagt ein Versprechen: Kontakt nur auf dem Rasen, desinfizierte Bälle, das Einhalten von Abstandsregeln, keine Fans, sieben Tage Quarantäne vor den Spielen und engmaschige Tests – das waren die Hauptpunkte des ersten Konzepts. Als sich die Infektionszahlen dann Richtung Mai ein wenig nach unten verschoben, wurde der Spielbetrieb wieder aufgenommen. Diese sechs Wochen Sonderspielbetrieb haben gezeigt: Die DFL hat die vergangene Saison sportlich beendet und einige Clubs durch die Erfüllung von Verträgen mit Medien und Sponsoren vor noch größeren finanziellen Problemen bewahrt. Doch dafür wurde vonseiten der Offiziellen auch mal ein Auge zugedrückt.
Der Auftakt verlief holprig
Die Liste an Verstößen hatte allein nach diesen sechs Wochen Sonderspielbetrieb eine ordentliche Länge. Abklatschen während eines Instagram-Live-Videos bei der Hertha aus Berlin sowie ein falscher Abstrich, ein Supermarktbesuch während der siebentägigen Quarantäne von Augsburg-Trainer Heiko Herrlich, Friseurbesuche bei einigen Spielern des BVB zu Hause und eine Klassenerhaltsparty ohne Abstände bei den Spielern von Union Berlin. Die Folge: Zwei Geldstrafen in nicht genannter Höhe waren die einzigen Konsequenzen.
Diese Hygiene-Show, die in den deutschen Stadien abgespielt wurde, wirkte für viele Zuschauer irgendwann zudem ein wenig bizarr. Desinfektionsmittel auf Bällen, ein vierter Offizieller mit Maske und vor allem Spieler, die Masken auf der Tribüne tragen mussten, dann aber in Zweikämpfen auf dem Platz in nächster Nähe natürlich keine mehr. Vor allem zu Beginn raubte dieses Bild dem Geisterspielbetrieb ein wenig die Nachvollziehbarkeit. Gegen Ende der Saison griff die DFL dann fast mit übertriebener Strenge bei Friseurbesuchen oder ähnlichen Vergehen durch. Enger Torjubel oder ausgelassenes Feiern in der Kabine löste Ende Juni nicht mehr das Kopfschütteln aus wie zu Beginn.
Der Hygiene-Aufwand war die politische Rechtfertigung für den Spielbetrieb. Geholfen hätte sicherlich eine unabhängige Instanz, die Verstöße untersucht und passend bestraft hätte. Der Bundestag bemängelte das auch und stellte klar: Die Gesundheitsämter wären mit einer dauerhaften Kontrolle der Profivereine schlichtweg überfordert gewesen. Probleme hatte die DFL in der Zeit und heute noch einige. Eins der größten war der 30. Juni als Stichtag für das Ende vieler Verträge, vor allem mit den Spielern. Ziel war es, die Saison vor diesem Stichtag beenden zu können. Darunter litt am Ende der Zweitligist und spätere Absteiger Dynamo Dresden. Direkt zu Wiederbeginn des Spielbetriebs hatten die Sachsen mehrere positive Corona-Tests, die komplette Mannschaft musste in Quarantäne. Daraus entstand für Dynamo ein fast schon grotesk anmutender Spielplan, in dem das Team logischerweise auf besser ausgeruhte Mannschaften traf. Der Abstieg war letztlich sportlich verdient, einen faden Beigeschmack hatte der Spielplan aber allemal. Dynamos Linksverteidiger Chris Löwe, der in einem emotionalen Interview genau diesen Umstand ansprach, fragte wohl nicht zu Unrecht: „Wäre dasselbe mit Bayern München oder Borussia Dortmund passiert? Oder nur mit uns?"
Der komische Umgang mit Spielern gipfelte dann beim Spieler Birger Verstraete, der beim 1. FC Köln unter Vertrag stand. Der Belgier äußerte bei einem belgischen Fernsehkanal seine Angst darüber, dass seine Freundin zu einer Risikogruppe zählt. Zudem sei er verwundert darüber gewesen, nach einem Kontakt mit infizierten Personen nicht in Quarantäne zu müssen. Abstände wurden nicht immer eingehalten, merkte er an. Später musste Verstraete öffentlich zurückrudern, es schien wie ein Zurückpfeifen des mündigen Spielers. Er wechselte noch vor dem Saisonende zurück nach Belgien.
Spiele ohne Fans gab es seit dem Bundesliga-Start im Jahre 1963 überhaupt noch nicht. Am Ende der Saison 2019/20 waren es dann 82. Nun, am Ende des Jahres 2020, sind noch sehr viele dazugekommen – 2021 wird sich dieses Bild wohl nicht allzu schnell ändern. Das trostlose Gekicke vor leeren Rängen zeigte: Ohne Fans büßt der deutsche Fußball viel Spektakel und Faszination ein. Die Angst vor Menschenansammlungen vor den Stadien erwies sich dagegen als unbegründet. Den Stadien blieben sie zwar fern, in der öffentlichen Diskussion mischten sie aber ordentlich mit. „Unsere Kurve", „Pro Fans" oder „Fanszenen Deutschlands" legten in der Krise immer wieder den Finger in die Wunde. Sie prangerten an, dass im Fußball finanzielle Verhältnisse fernab der Realität herrschen und kritisierten in einem Atemzug, dass Clubs im milliardenschweren Fußballgeschäft innerhalb weniger Tage vor dem Ende ihrer Existenz standen. Eine Forderung war beispielsweise die Umverteilung des Geldes im Fußball, um einen ausgeglichenen Wettbewerb zu gewährleisten. Der DFB und die DFL sicherten Zugeständnisse zu, eine ernsthafte Diskussion blieb bis heute aus. Als besonderes Beispiel hierfür dient die Diskussion um die Neuverteilung der TV-Gelder – die eigentlich keine ist. Die DFL versprach, mehr für die finanzielle Nachhaltigkeit zu tun. In der Krise tat sie aber das Gegenteil: Sie lockerte die Bedingungen des Lizenzierungsverfahrens.
Fans durften nur kurze Zeit ins Stadion
Mit der Zeit und der Gewohnheit sank zudem bis heute die Vorsicht – ungeachtet wieder steigender Infektionszahlen. Zwar waren Fans für kurze Zeit in den Stadien zugelassen, diese wenige Hundert oder manchmal auch Tausend mussten aber schnell wieder vor die heimischen Bildschirme weichen. Die gleichen Bilder wie am Ende der vergangenen Saison wollte die DFL nicht wieder zulassen. Beim Aufstieg von Arminia Bielefeld feierten Fans und Mannschaft den Aufstieg in die Bundesliga gemeinsam. Dynamo Dresden wurde vor dem letzten Spieltag von Tausenden Fans empfangen – ohne Abstand.
Dass die Zeit des Hygienekonzepts noch nicht vorbei ist, lässt sich mittlerweile an jedem Wochenende verfolgen. Mittlerweile wurde es viele Male angepasst. Eine gewisse Normalität hat sich aber auch eingeschlichen. Es wirkt fast schon normal, Fußball in einem leeren Stadion zu spielen. Für Fans gibt es dann die unsägliche Tonoption mit der Möglichkeit, Gesang aus vergangenen Zeiten zuspielen zu lassen. Selbsterklärend ist das mehr ein kläglicher Versuch, den Fernsehzuschauer irgendwie einzufangen und Normalität zu vermitteln. Durch das Hygienekonzept wurde sichergestellt, dass der Lieblingssport der Deutschen weiterlaufen kann, doch gerade dadurch wurde auch deutlich: Die Vereine brauchen Fans, um ihre Kassen ein wenig aufzupolieren und um finanzielle Engpässe zu vermeiden. Für die Leistung brauchen die Spieler sie scheinbar nicht. Ein Ende dieses Konzepts ist auch im kommenden Jahr noch nicht in Sicht. Vor allem die Fans müssen sich wohl noch ein wenig länger gedulden. Beim Champions-League-Finale der Bayern taten die fehlenden Fans den Feierlichkeiten keinen Abbruch – die Spieler posierten für Fotos und freuten sich über das Erreichte. Die Hoffnung, dass sie das im kommenden Jahr wieder gemeinsam mit ihren Fans tun können, bleibt zumindest.