Rund 100 Jahre war Haute Couture die alleinige Gralshüterin der Mode, bis sie in den 1960er-Jahren von der tragefertigen Kleidung abgelöst wurde. Eine kleine Geschichte vom beschwerlichen Aufstieg der Konfektionsmode und ihren kreativsten Schöpfern.
Welche zentrale Rolle die Mode seit über 350 Jahren in Frankreich spielt, lässt sich bereits an einem Zitat ablesen, das man Finanzminister Jean-Baptiste Colbert zuschreibt, der unter dem Sonnenkönig Ludwig XIV. wirkte: „Die Mode hat für Frankreich die gleiche Bedeutung wie Perus Goldminen für Spanien." Kein Wunder daher, dass sie von Anfang an staatlich gefördert und gegen ausländische Konkurrenz geschützt wurde, wie etwa durch die Einführung hoher Importzölle auf fremde Textilien. Schließlich galt es, die heimische, in Lyon ansässige, Seiden-Produktion zu erhalten. Seit 1675 pflegte dann auch die französische Presse über die gerade angesagten Looks von Versailles zu berichten, darunter auch das erste Mode-Journal „Cabinet des Modes". Denen galt natürlich auch in den höchsten Kreisen sämtlicher europäischer Nachbarländer alle Aufmerksamkeit, und zur Nachahmung wurden keine Mühen und Kosten gescheut.
Da Französisch im Adelsmilieu lange Zeit die gängige Sprache bleiben sollte, war es nur selbstverständlich, dass sie auch die Modewelt maßgeblich dominierte. Bis heute bleiben Begriffe wie Haute Couture oder Prêt-à-Porter die treffendsten Bezeichnungen für luxuriöse und tragfähige Mode. Prêt-à-Porter wurde übrigens erst in den 60er-Jahren so richtig mit Leben gefüllt.
USA befreit sich als erstes Land aus dem Pariser Mode-Diktat
In dieser Zeit entstand vieles bis dahin Unbekanntes, wie etwa der Berufstand des Designers oder der Label-Name, der mit der Zeit eine immer größere Rolle spielen sollte. Dass die Bezeichnung Prêt-à-Porter dem älteren amerikanischen Terminus ready-to-wear nachempfunden wurde, lässt darauf schließen, dass sich die USA als erstes Land ab Ende des 19. Jahrhunderts nach und nach vom Pariser Mode-Diktat befreien konnten. So waren in den Staaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts Frühformen und die ersten Vorläufer der konfektionierten, in Serie hergestellten, Kleidung anzutreffen.
Dennoch war es ausgerechnet der gebürtige Brite Charles Frederick Worth, der 1845 seinen Wohnsitz nach Paris verlegte, um dort in seinem Couturier-Atelier die Haute Couture zu erschaffen. Vor Worth war Kreativität im Schneiderberuf absolut nicht gefragt gewesen. Vielmehr haben vermögende Frauen den Näh-Handwerkern genaue Vorgaben oder Vorlagen für das gewünschte Kleidungsstück an die Hand gegeben und zusätzlich meist auch noch das Material zur Verfügung gestellt. Danach wurde das jeweilige Kleidungsstück von Hand für die Dame maßgefertigt. Außerdem war Worth der erste Couturier, der nicht erst auf Anfrage tätig wurde, sondern die Ladys der Nobelklasse in seinen Salon einlud, um ihnen mehrmals im Jahr kleine Kollektionen eigener Kleidungsentwürfe vorzuführen, die bei Gefallen den kauffreudigen Kundinnen passgenau auf den Leib geschneidert wurden. Worth war auch der erste Couturier, der so etwas wie ein Big-Mode-Business inklusive Beifügung von Etiketten mit eingewebtem Firmen-Logo aufbaute, von dem die anderen Pariser Modeschöpfer zunächst nur träumen konnten. Gerade deshalb machte sein Konzept schnell Schule. Bereits zehn Jahre später – im Jahr 1868 – wurde in der französischen Hauptstadt unter der Ägide von seinem Sohn Gaston die Chambre Syndicale de la Haute Couture gegründet. Damit erschaffte der kreative Sprössling eine Innung, die bis auf den heutigen Tag über die Einhaltung der strengen Haute-Couture-Qualitätsregeln wacht. Neben erlesensten Stoffen zählte vor allem die aufwendigste Handarbeit in Form von filigranen Stickereien oder kühnen Drapierungen zu den Hauptkennzeichen der Innung.
Halbe Million für eine Haute-Couture-Robe
In der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts, als das Unternehmen von Charles Frederick Worth in Paris zunehmend Konkurrenz durch prominente Couturiers wie Jacques Doucet, Jeanne Paquin – die erste berühmte weibliche Modeschöpferin –, den Schwestern Callot oder ab 1903 auch durch den legendären Paul Poiret erhielt, konnten sich viele reiche Damen Haute Couture noch leisten. Heute wird die weltweite Zahl der Frauen, die für ein Abendroben-Unikat locker 500.000 Euro hinblättern wollen und können, auf lediglich 200 bis 400 geschätzt. Für die Herstellung der Kostbarkeiten können bis zu 1.000 Arbeitsstunden anfallen, was erklären mag, dass sich heute nur noch wenige Modehäuser eine Haute-Couture-Abteilung leisten können.
Zählte die Chambre Syndicale nach dem Zweiten Weltkrieg mehr als 100 Mitglieder, so sind es heute nur noch ein gutes Dutzend. Zu deren medienwirksamen und imagefördernden Shows werden inzwischen saisonal wechselnde interessante Designer eingeladen. Auch wenn seit den 60er-Jahren mit dem Siegeszug der Prêt-à-Porter regelmäßig der Tod der Haute Couture ausgerufen worden war, so hat sich diese bis zum heutigen Tag doch stabilisieren und sogar wieder wirtschaftlich lukrativere Zonen anpeilen können.
Die Pariser Haute Couture in Europa sollte in Sachen Damenmode bis in die 50er-Jahre hinein maßgeblich bleiben. Für die Herren- und Kindermode hatte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts schon so etwas wie eine Prêt-à-Porter in Serienproduktion mit fixen Größentabellen und zu erschwinglichen Preisen herausgebildet. Die USA hatten sich ab Anfang des 20. Jahrhunderts bei der Frauen-Bekleidung zu einem eigenständigen Weg entschlossen. Es waren Kaufhaus-Ketten und frühe Versandhäuser wie Sears oder Roebuck & Company, die ihren Kundinnen günstige Klamotten mit einem gewissen modischen Anspruch angeboten hatten, um damit schnell eine bezahlbare Alternative zu den mithilfe der heimischen Nähmaschinen hergestellten Alltags-Teilen auf den Markt zu bringen. Departement Stores wie Marshall Fields in Chicago, der Vorgänger der heutigen Warenhauskette Macy’s, hatten schon ab 1902 preiswerte Kopien bewunderter Haute-Couture-Stücke zum Kauf angeboten. Im New Yorker Store der Ehrlich Brothers wurde sogar 1903 so etwas wie die erste Fashion Show der Geschichte abgehalten, indem die Betreiber die begehrtesten Roben aus Paris für reiseunwillige Gutbetuchte hatten besorgen lassen. Neben den Originalen wurden bald auf vergleichbaren Schauen in Warenhäusern wie Wanamaker’s in New York oder Philadelphia auch günstige Nachahmungen offeriert.
Labels werden zunehmend wichtiger
Dem US-Beispiel folgend, wurden ab 1918 auch in Paris erste Haute-Couture-Runway-Shows von führenden Modehäusern organisiert. Die wurden nun nicht mehr in den Ateliers abgehalten, sondern zweimal jährlich in Hotels oder Kaufhäusern, womit vor allem die zahlungskräftige, in Europa weilende Klientel aus Übersee angesprochen werden sollte. Die Models trugen bei ihren Defilees eine Identifikationsnummer und konnten von interessierten Kundinnen zur genaueren Begutachtung der Robe zum kurzen Verweilen aufgefordert werden. 1945 sollten alle diese Einzelevents durch die Chambre Syndicale de la Haute Couture in einer veritablen Fashion Week gebündelt werden. Erst 1958 sollte Mailand mit einer vergleichbaren, von der Camera Nazionale della Moda initiierten Veranstaltung für Haute Couture folgen. Doch die erste Fashion Week der Historie fand schon 1943 in New York statt, wobei dort schon nicht mehr nur französische Luxus-Roben gezeigt, sondern auch amerikanische Couturiers mit ihren Kreationen einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt wurden. London, der letzte noch fehlende Location-Standort der heutigen „Fab Four Fashion Weeks", sollte übrigens erst 1983 hinzukommen.
Abseits der Haute Couture züngelten bis zu den 1950er-Jahren nur ganz winzige Pflänzchen in der Damenmode Richtung Prêt-à-Porter. Ein Beispiel dafür war Coco Chanel, die 1913 in Deauville und 1915 in Biarritz erste Boutiquen eröffnet hatte. In denen hatte sie sportive Mode, wie sie selbst sie gern trug, ohne Haute-Couture-Ambitionen zum Kauf angeboten. Kaum bekannt ist, dass auch Sonia Delaunay neben ihren abstrakten Kunstwerken anspruchsvoll-farbenfrohe Alltagskleidung entworfen und ab 1917 in Madrid in ihrer eigenen Boutique offeriert hatte. Der Begriff Prêt-à-Porter tauchte in Paris erstmals 1948 auf und wurde vor allem von Couturier Jean-Claude Weill propagiert, der sich zuvor bei einem Aufenthalt in den USA vom dort schon gebräuchlichen ready-to-wear hatte inspirieren lassen. Er ließ in seinen Ateliers Kleidung in Serie produzieren und in jedes Kleidungsstück sein Namensetikett einnähen. Seinem Vorbild sollten in den frühen 1950er-Jahren schnell weitere Edel-Schneider wie Jacques Fath, Marcel Rochas, Jacques Heim oder auch Elisa Schiaparelli folgen.
Bei ihr war Pierre Cardin einige Monate in die Lehre gegangen, um schließlich 1950 sein eigenes Modehaus zu eröffnen. Dort sollte neben Haute Couture auch die erste hochwertige Konfektionskleidung, sprich Prêt-à-Porter, für den Weltmarkt auftauchen. Trotz aller Eleganz waren seine Kreationen eher einfach und alltagstauglich gehalten, um sie preisgünstig anbieten zu können, was auch dadurch möglich wurde, dass Cardin die Klamotten nicht selbst produzierte, sondern sie durch Lizenzvergabe von Fremdfirmen herstellen ließ. Sehr zum Missfallen der Haute-Couture-Gralshüterin, der Chambre Syndicale, die Cardin daher aus ihrem Mitgliederverzeichnis gestrichen hatte.
Alltagstaugliche und elegante Kleidung
Doch die von Cardin angezündete Lunte ließ sich nicht mehr einfach löschen. Denn in Paris sprangen Gaby Aghion für das neue Haus Chloé, Hubert de Givenchy für das nach ihm benannte Label, Carmen de Tommaso für ihre Marke Carven oder auch der künftige Mode-Zar Yves Saint Laurent ebenfalls auf den Konfektionszug auf. Wobei Letztgenannter es als erster französischer Couturier wagen sollte, im Rahmen seiner Haute-Couture-Show Alltagsmode wie Lederjacken oder Jeans zu präsentieren. Das sollte zwar zunächst einen allgemeinen Aufschrei der Empörung nach sich ziehen, konnte aber Saint Laurent nicht davon abhalten, im Jahr 1966 die Konfektionslinie „Rive Gauce" zu lancieren, die in einer eigenen Boutiquenkette zum Verkauf angeboten wurde.
Abseits von Paris war die Prêt-à-Porter auch in Italien, wo sich gerade erst die Haute Couture unter der Bezeichnung „Alta Moda" mit Vorreitern wie Fontana, Emilio Schuberth, Alma Marie Lamy oder Valentino so richtig etabliert hatte, auf dem Vormarsch gewesen. Modedesigner Emilio Pucci präsentierte in seiner in Capri eröffneten Boutique nicht nur seine berühmten Caprihosen, sondern beispielsweise auch bunt gemusterte Kleider und Blusen gewissermaßen von der Stange. In Deutschland zählten Bessie Becker oder Willy Bogner zu den Vorreitern der Konfektionsmode. In den 1960er-Jahren begannen immer mehr Pariser Nobelhäuser, beispielsweise André Courrèges, dem Beispiel von Saint Laurent folgend, neben ihrer Haute Couture-Linie parallel auch eine Prêt-à-Porter-Kollektion aufzubauen. Auf Konfektionsmode spezialisierte Newcomer wie Emmanuelle und Christiane Bailly, Michèle Rosier – die schwarze Vinyl-Mäntel entworfen hatte – Daniel Hechter, Emmanuelle Khanh, Jean Bousquets Label Cacharel oder Dorothée Bis verweigerte die Chambre Syndicale die Aufnahme, weil sie diesen Trend für qualitativ minderwertig ansah.
Doch spätestens seit in London junge Designer wie Mary Quant, Laura Ashley oder Barbara Hulanicki mit ihren frechen, auf ein jugendliches Publikum abzielenden Kollektionen für Furore gesorgt hatten, schwappte der Youthquake auch in die Seine-Metropole über. Die Pariser Designer der Prêt-à-Porter konnten sich nunmehr dank ihrer erschwinglicheren Klamotten endlich ein gutes Stück vom Absatz-Kuchen abschneiden. Den hatten sich bis dahin kleinere No-Name-Unternehmen mit einfachen Kleidungsstücken für die Hauptumschlagsplätze der Kaufhäuser Prisunic oder Galeries Lafayette für sich beansprucht. 1965 sollte in Paris erstmals eine Ausstellung Salon du Prêt-à-Porter abgehalten werden, 1973 sollte die Gründung der Chambre Syndicale du Prêt-à-Porter des Couturiers et Créateurs de Mode folgen. Die Entwicklung in Italien lief seit 1966 mit der Organisation von „Alta Moda Pronto"-Schauen einen ähnlichen Weg, wodurch dank Labels wie Armani, Laura Biagiotti, Gianni Versace oder Salvatore Ferragamo das Fundament für das heutige Renomee der italienischen Luxus-Labels gelegt werden konnte. Im deutschsprachigen Raum zählten Jil Sander, Helmut Lang oder Caren Pfleger zu den Vorreitern der Konfektionsmode, die in den 1980er-Jahren in Paris durch Designer wie Jean Paul Gaultier, Claude Montana, Azzedine Alaïa oder Thierry Mugler repräsentiert werden sollte.