Er hat im Handball fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt: Christian „Blacky" Schwarzer. Der 51-Jährige befürchtet, dass dem Sport durch die Einschränkungen während der Corona-Pandemie eine ganze Generation wegbricht. Eine bestimmte Personengruppe macht er dafür mitverantwortlich.
Christian Schwarzer ist eigentlich ein sehr besonnener, ruhiger Typ. Unterhält man sich mit der Handball-Ikone dieser Tage über das Verhalten unserer Gesellschaft in der Corona-Pandemie, ändert sich das. Man bekommt dabei schnell eine Vorstellung von der Energie, mit der er sich als Kreisläufer der deutschen Nationalmannschaft und des TV Niederwürzbach in der Bundesliga Kultstatus erkämpft hat. „Bei uns reicht es leider nicht, an die Vernunft und die Eigeninitiative zu appellieren, es braucht immer die Holzhammer-Methode", klagt der Weltmeister von 2007 und stellt fest: „Viele Leute haben einfach nicht verstanden, worum es geht. Es ärgert mich, dass darunter im Endeffekt alle leiden müssen. Nicht nur der Sport, auch die Wirtschaft und die Kultur." Viele Menschen hätten sich viele Gedanken gemacht und „richtig Geld investiert in Hygienekonzepte, die ja auch funktioniert haben. Aber dann gibt es leider die Leute, denen das alles einfach egal ist und die weitermachen, als wäre nichts gewesen."
Große Sehnsucht, dass es wieder richtig losgeht
Zusätzlich zu den privaten Auswirkungen der nun wieder verschärften Einschränkungen im Kampf gegen die Corona-Pandemie kommt bei „Blacky" die Sorge um den Nachwuchs im Sport. Nach einigem Hin und Her wurde schließlich auch dem Profisport und den Landeskadern das Trainieren erlaubt. Als Jugendkoordinator des Handball-Verbandes (HV) Saar bekommt er hier die Entwicklung seiner Schützlinge hautnah mit. Immerhin konnte er mit seinen Schülerinnen und Schülern des Sportgymnasiums am Rotenbühl in Saarbrücken seit Sommer nahezu durchtrainieren. „Dabei haben wir den Fokus auf die gelegt, die im Februar und März 2021 zur bundesweiten Leistungssportsichtung gehen", erklärt Schwarzer und berichtet: „Die Kids waren natürlich begeistert. Andererseits habe ich auch aus den Vereinen Stimmen gehört, die fragten, weshalb der HV Saar trainieren darf, die Vereine aber nicht. Da merkt man einfach, wie groß die Sehnsucht ist, dass es endlich wieder richtig losgeht." Und zwar richtig und nicht quasi im Sport-Homeschooling mit Laufeinheiten durch das eigene Viertel und Stabilisationsübungen im Wohnzimmer. „Im Sommer war das ja kein Problem, aber den Kindern jetzt bei fünf Grad und Regen zu sagen, dass sie rausgehen und sich bewegen sollen, ist natürlich ungleich schwieriger", weiß Schwarzer und betont: „Deshalb hat sich die Gesamtsituation nicht wirklich verbessert, sondern sie spitzt sich immer mehr zu."
Christian Schwarzer selbst durfte sich am dritten Advent endlich wieder die Emotionen ins Gedächtnis rufen, die Live-Sportereignisse entfalten können. Eine Anfrage des Privatfernsehsenders Sky, beim Bundesliga-Spitzenspiel zwischen seinem Ex-Verein Rhein Neckar Löwen und der SG Flensburg-Handewitt (Ergebnis: 31:31) in der Mannheimer SAP-Arena als mitkommentierender Experte zu fungieren, nahm er dankend an. „Es hat mich gefreut, endlich mal wieder live Handball zu sehen. Auch, wenn es unter recht traurigen Bedingungen stattgefunden hat", sagt er und erklärt: „Wenn so eine tolle Begegnung in so einer großen Halle ohne Zuschauer stattfindet, ist das etwas, an das man sich nicht gewöhnen will."
Fernab des Profisports und auch des Nachwuchsleistungsbereichs sind solche Erlebnisse derzeit nicht möglich. Nicht wenige Breitensportvereine bangen deshalb um ihre Mitglieder und damit auch um ihre Existenz. „Meine Hoffnung ist, dass wir nach dem Beginn der Impfungen wieder ins Training und, was ich fast noch wichtiger finde, auch wieder in den Wettkampf kommen können", sagt Schwarzer. Er weiß: „Die Kinder wollen sich mit anderen messen, und wenn das auf längere Sicht nicht der Fall ist, tut sich die Frage auf, wie viele von ihnen überhaupt wieder in die Vereine zurückkehren." Den Einfluss des demografischen Wandels spüren die Vereine schon länger. Die Anzahl der Kinder und Jugendlichen ist zurückgegangen, und der Wettbewerb, in dem die Vereine zueinander stehen, ist härter. Nicht zuletzt befeuert durch die Digitalisierung haben sich außerdem weitaus mehr Alternativen für die Freizeitgestaltung aufgetan.
Kritik an finanzieller Förderung für die Gaming-Branche
Für eine hitzige Debatte sorgte in diesem Zusammenhang jüngst die von der saarländischen Landesregierung beschlossene Förderung des E-Sports mit 200.000 Euro. „Da frage ich mich schon, ob das gerade jetzt das richtige Zeichen für den Sport ist", sagt Schwarzer und ergänzt: „Ich weiß nicht, ob gerade die Gaming-Branche, die Milliarden von Euros umsetzt, überhaupt Unterstützung braucht." Am Rande seiner Trainings- und Schulsport-Einheiten bekomme er hin und wieder mit, dass sich insbesondere die Jungs darüber unterhalten, was sie gerade an ihren Konsolen zocken. „Meine Befürchtung ist, dass die irgendwann mitbekommen, dass man damit auch Geld verdienen kann", merkt Schwarzer an. Die Branche nutze für die Eigenwerbung gezielt die Unterstützung sogenannter Influencer, die als Werbeträger großen Einfluss auf die heutige Jugend haben. „Dann entsteht mitunter ein Teufelskreis. Die Kids da wieder raus- und in die Hallen reinzubekommen, wird eine große Herausforderung für die Vereine und den Verband", befürchtet „Blacky". Im Moment hält die Hoffnung auf den baldigen Wiederbeginn der Vereinsaktivitäten, des Trainings und auch der Wettkämpfe, den Nachwuchs bei der Stange. Wie lange dieser Effekt anhält, ist noch völlig unklar. „Die Konsequenzen werden wir erst sehen, wenn es wirklich wieder losgeht und die Trainerinnen und Trainer sehen, was von dieser Hoffnung übriggeblieben ist und ob wieder alle 16 oder doch nur zwölf Jungs und Mädels wiedergekommen sind", sagt Schwarzer.
Und da sind wir wieder bei dem Thema, das den 51-Jährigen zur Weißglut treibt: die Vermeidbarkeit der strengsten Einschränkungen durch mehr Eigenverantwortung. „Wir Sportler lernen alle von der Pike auf, dass Disziplin oberstes Gebot ist. Nicht nur im Sport, auch darüber hinaus. Das spreche ich in jedem Training an und bei uns funktioniert das auch. Die Kids sind sensibilisiert und halten sich an die Regeln", stellt Schwarzer klar und regt sich weiter über jene auf, die das mit ihrem Verhalten zunichtemachen: „In den Großstädten ging das Leben bis zum zweiten Lockdown so weiter, als wäre nichts. Deshalb haben wir die Infektionszahlen nicht in den Griff gekriegt. Dass manche Leute das nicht verstehen oder es ihnen scheißegal ist, will mir einfach nicht in den Kopf."
Nicht nur um des eigenen Blutdrucks willen, sondern um die Zukunft des echten Sports zu sichern, freut er sich, dass die Impfungen jetzt gestartet sind. zunächst immerhin für die am meisten betroffenen Menschen in der Pflege. Die machen einen Wahnsinnsjob und sollen endlich Entlastung und Entspannung in ihr Leben bekommen. Im Vergleich zu denen sind wir erst mal uninteressant", sagte er zum Jahresende.