Die Künstlerin Leslie Huppert brachte einige hoch geschätzte Projekte auf den Weg, wurde mit Preisen und Stipendien ausgezeichnet. Auch ihr „Corona Projekt" im vergangenen Sommer erfuhr eine große Resonanz. Wichtig ist der gebürtigen Saarländerin vor allem auch ihre Arbeit mit Gefängnisinsassen.
Malerei, Zeichnung, Videos, Performances, Fotos, Objekte; oft in Kombinationen. Alle Mittel sind ihr recht, wenn sie nur ihre Idee umsetzen. „Das Konzept ist schon die Kunst." Die Künstlerin, die an der Hochschule der Bildenden Künste Saar Malerei und Neue Künstlerische Medien studiert hat, arbeitet seriell. „Meine künstlerische Arbeit ist wie eine lebenslange Filmserie." Das gesamte Leben ist es auch, welches ihr die Themen reicht. „Etwas poppt hoch. Es sind die Bezüge zu Menschen, zu Reisen. In diesem Meer an Erfahrungen drücken Dinge nach außen und werden sichtbar."
Bevor Leslie Huppert im Alter von 30 Jahren ein Kunststudium begann, sammelte sie viele, teilweise exzessive Erfahrungen. Ihre Wurzeln hat die Künstlerin im Saarland. 1960 in Hilschbach bei Riegelsberg geboren, lebt sie heute dort, im Haus ihrer Großeltern. Eine weitere Wohnung und Atelier hat sie in Berlin. Nachdem ihre Mutter „ständig" umzog (ihren amerikanischen Vater hat sie nie kennengelernt), besuchte sie zwangsläufig viele verschiedene Schulen. Die Schule verließ sie nach der achten Klasse, um von Hamburg aus zur See zu fahren. Das war kein durchführbarer Plan. Als Au-pair-Mädchen arbeitete sie dann für 150 Mark im Monat in einer „schwierigen" Familie. Weil sie sich dort ausgebeutet fühlte, teilte sie ihrer Mutter mit: „Ich will ins Internat." Abenteurerin und Wissenschaftlerin wollte sie werden. Das bayrische Internat verließ sie, um ihrer Mutter nach Berlin zu folgen, allerdings mit eigener Wohnung. Mit 16 Jahren alleine in Kreuzberg gelandet, „war das eine mittlere Katastrophe", schildert Leslie Huppert ihre damaligen Lebensumstände. Mit Katzen und Hund habe sie sich dazu selbst weiter überfordert. Mit 17 ging sie oft von der Kneipe aus in die Schule. Sie lebte dann gemeinsam mit einem Freund und machte, mit dem Ziel vor Augen zu studieren, mit 20 ihr Abitur.
Lebte und arbeitete in Indien, Singapur und Australien
Nach dem Abitur verbrachte sie mit ihrem Freund acht Monate in Kenia und Uganda. Danach ging es weiter durch Asien, Nepal und Indien. „Ich fühlte mich wie ein Koffer." Es war der Freund, der sämtliche Reisen organisierte und Leslie „mitnahm". „Das kannst du auch selbst", dachte sie sich, und so beschloss sie in Kalkutta die Trennung. Ihr Freund solle die Ostküste weiter bereisen, und sie die Westküste Indiens. Drei Monate verbrachte sie in Indien, arbeitete in Singapur, dann ein paar Jahre in Australien, sie jobbte in einer Fischfabrik und verkaufte Figuren, die sie selbst angefertigt hatte. Nachdem ihr klar war, dass sie nicht Biologie studieren konnte, „denn dort musste man Versuchstiere töten", entschied sie sich für ein Kunststudium.
„Die kräftigen Farben Asiens, Afrikas, das volle Menschsein" hat sie für ihre Kunst von den Reisen mitgenommen. „Etwas erschaffen zu wollen, bewegen wollen, das aber auch technisch hochwertig", vor allem jedoch, ihren Drang nach Freiheit, kann die Kunst mit ihren unbegrenzten Möglichkeiten erfüllen.
Freiheit als intrinsische Motivation bringt Leslie Huppert auch mit hinein, in den „Knast". Ihre Arbeiten mit Gefangenen sind aufsehenerregend. Sie arbeitete mit erwachsenen Männern in der Justizvollzugsanstalt Lerchesflur in Saarbrücken, in der Jugendstrafanstalt Ottweiler und aktuell in der Justizvollzugsanstalt in Zweibrücken mit inhaftierten Frauen. Die zweifache Mutter eines inzwischen erwachsenen Sohnes und einer Tochter, ist grundsätzlich unerschrocken gegenüber erwachsenen und jugendlichen Strafgefangenen. „Zunächst besteht großes Misstrauen gegenüber dem ‚von Draußen‘". Aber dann entwickeln sich teilweise sehr persönliche Beziehungen. „Es ist ein Geben und Nehmen." Auch die Künstlerin nimmt viel aus dieser Zusammenarbeit mit, die „auf Augenhöhe" basiert. „Es wird viel erzählt. Zwischen verschiedenen Religionen und Kulturen ergeben sich Diskussionen auf gutem Niveau." Eine ihrer Intentionen ist es, ihre „persönliche Freiheit hineinzubringen, meine Ideen, Anregungen. Ich gebe gerne ein Thema vor, ganz andere inhaltliche Konzepte." Es gelingt ihr so, den Inhaftierten auch eine neue Ansicht über Kunst zu vermitteln. Bei einigen Projekten in Gefängnissen wird sie durch ihren Assistenten Henri Rohr unterstützt.
„Manche der Teilnehmer haben eine schwierige Kindheit mit Drogen, Alkohol und Gewalterfahrungen. In dem Projekt für Jugendliche in Landau wurden wir vorab informiert, dass die Teilnehmer häufig eine mangelnde Konzentration hätten und nach einer Stunde spätestens aufspringen und etwas anderes machen. Weit gefehlt. Ich habe noch nie so hoch motivierte, interessierte und fast überengagierte jugendliche Männer erlebt. Sie steckten voller Ideen und klebten förmlich an ihren Bildern, um sie möglichst an einem Kurstag fertigzustellen. Die Lebensgeschichten der Jugendlichen in Landau ähnelten sehr dem persönlichen Hintergrund der jungen Strafgefangenen in Ottweiler in unserem vorangegangenen Projekt. Doch sie standen nicht unter Druck, hatten mehr persönliche Freiheit und ein anregendes Umfeld, was ihr Verhalten enorm zum Positiven zu verändern scheint." „Die Zeit in der Jugendstrafanstalt Ottweiler war extrem anstrengend. Ich bin oft schweißgebadet da heraus. Die jungen Männer in der Pubertät, die auf brutale Weise ihre Hierarchien ausmachen, waren eine enorme Herausforderung."
Weltweites Netz- und Kommunikations-Kunstwerk
Leslie Huppert möchte jedoch nicht „nur noch als die Knasttante" wahrgenommen werden. Es sind keine „Sozialprojekte" die sie umsetzt, sondern vielmehr ein Gesamtkunstwerk. Die eindrucksvollen Arbeiten der Inhaftierten wurden ausgestellt und sind in broschierten Kunstbänden dokumentiert. Für ihre Projekte, deren Umsetzung und Weiterentwicklung sowie Dokumentationen und Publikationen generiert sie öffentliche Mittel, Mittel von Stiftungen und privaten Sponsoren. Das erfordert fundierte Kenntnisse der Strukturen und Netze für kulturelle Förderungen, eine hartnäckige, aber auch geduldige Arbeit durch den Dschungel von Anträgen und ein gutes Gespür dafür, welche Projekte für welche Förderungen Erfolg haben könnten. Nach langen Jahren harter Arbeit hat sich Leslie Huppert einen Namen gemacht, einmal wegen der Qualität ihrer Projekte, aber auch aus ihrer Ausnahmestellung als Künstlerin heraus, die ein Gesamtkunstwerk im Netz initiiert, welches sich sowohl in virtuellen Räumen entwickelt, als auch in Auszügen konkret in Ausstellungen zu sehen ist. In diesen Projekten nimmt Leslie Huppert viele mit – und dies weltweit. Protagonisten als Beteiligte ihrer Videos, viele Künstler, die Hupperts Idee aufgreifen und eigene Sichtweisen liefern – ein weltweites Netz- und Kommunikationskunstwerk entsteht. Für Leslie Huppert sind reale Landesgrenzen „immer virtuell". Sie hebt sie auf. Beispielsweise in dem viel beachteten Projekt „Virtual Residency 2006-2007", einem gemeinsamen Medienkunstprojekt der vier Künstlerinnen mit Monika Bohr, Claudia Brieske und Gertrud Riethmüller. In Ländern, in denen Künstler mit Restriktionen arbeiten müssen, wurde dies dankbar angenommen. In „Virtuel Residency" entstand eine vielfältige und lebendige Auseinandersetzung mit dem Gesamtthema Migration. Die Gruppe der Künstlerinnen realisierte von 2006 bis 2007 drei Ausstellungen mit Partnern aus Polen (Lublin), Frankreich (Metz) und Deutschland (Völklinger Hütte). Diese Ausstellungen waren eine Plattform für 41 ausgewählte, von insgesamt 200 beteiligten Künstlern. Das Projekt war ein „Aufruf zur virtuellen Völkerwanderung ins Musterhaus Europa". Europa weitet sich, Europa verschließt sich. Die gewaltigen Transformations- und Migrationsprozesse, die Europa durchlebt, waren Auslöser für das Multimedia- und Ausstellungsprojekt. Die Projektgruppe ging vom Individuum als kleinstem Partikel im kollektiven Migrationsstrom aus. Hoffnung, Angst, Träume, Zwänge, Not, Bedürfnis nach Bewegung oder Wandel als Antrieb kollektiver Wanderbewegungen. Damit waren die Künstlerinnen ihrer Zeit voraus. „Als Künstler ist man immer früher dran, erspürt die Zukunft". Von der Angst, oder vielmehr auch der Ablehnung, populistisch zu wirken, also Kunst zum „richtigen Zeitpunkt" zu liefern, zeugt Hupperts Installation „Moving Identity". Hier hadert Huppert mit ihrem eigens dargestellten aktuellen Thema, und fürchtet um die gewünschte Wirkung, beziehungsweise „Nichtwirkung" wegen „Abnutzung".
Mit Beginn der Corona-Pandemie begann Leslie Huppert „aus Angst vor der Ruhe" viele Projekte anzustoßen. Die Künstlerin, die 2014 den Kunstpreis des Regionalverbandes für engagierte Kunst bekam, engagiert sich auch für die Kunst an sich. Aus der Ausschreibung des Kultusministeriums mit der Anforderung eines digitalen Formates, entwickelte Leslie Huppert das Projekt „Nachtruf – drive in art – die Kunst lebt". Von insgesamt 24 regionalen, nationalen und internationalen Künstlern wurden mit Beginn der Dunkelheit Videos und Bilder an unterschiedlichsten Orten, auf unterschiedlichste Wände im Außenraum projiziert. „Wie vom Staubsauger angezogen" wurde dieses Projekt von saarländischen Städten und Gemeinden. Leslie Huppert war selbst überrascht von der großen Resonanz. Dann kam sogar ein Anruf aus der Staatskanzlei. „Nachtruf" repräsentierte daraufhin bis zum 3. Oktober, 30 Tage lang, das Saarland im Rahmen der Veranstaltung „30 Jahre Wiedervereinigung" in Potsdam. Im Dezember 2020 war das Projekt unter den fünf Preisträgern des Kulturpreises des Kulturraums Großregion, verliehen von der Kultusministerkonferenz der Großregion.
Verbindungen, Vernetzung, Beziehungen, mit psychologischen und politischen Sichtweisen im internationalen Zusammenhang, das sind die Bausteine ihrer Kunstkonzepte, die insgesamt, aber auch einzeln, viele Denkanstöße geben und Perspektiven aufzeigen. „Es gibt viele Aspekte zu einem Aspekt: persönliche, politische und mythologische …" Die Aspekte werden Leslie Huppert nie ausgehen, ihr Gesamtkonzept dauert lebenslang.