Geradezu märchenhaft mutete der Aufstieg der vor 50 Jahren verstorbenen Coco Chanel zur größten Mode-Ikone des 20. Jahrhunderts an. Gleich mehrere vermögende Liebhaber hatten ihr den Weg in Fashion-Welt und High Society geebnet.
Allein schon der Ort der Trauerfeier am 13. Januar 1971 bestätigte eindrücklich, dass einer außergewöhnlichen Persönlichkeit die letzte Ehre erwiesen wurde. In der antik-tempelhaften Ruhmeshalle der Madeleine fand sich an diesem Tag alles zusammen, was in der Pariser Modewelt und High Society Rang und Namen hatte, um der drei Tage zuvor im Alter von 87 Jahren in ihrem Bett im Seine-Luxushotel „Ritz" verstorbenen Coco Chanel zu gedenken. Es verstand sich von selbst, dass sämtliche Ladys, von der Baronin Marie-Hélène de Rothschild bis hin zu den zahllosen Models, ihr Defilee in einem angepassten Look absolvierten – nämlich in Kleidern oder Kostümen, die von der Verstorbenen selbst entworfen worden waren. Nur die prominenten Herren wie Yves Saint Laurent, Paco Rabanne, André Courrèges oder Salvador Dalí hatten bei ihren Anzügen freie Couturier-Wahl. Schließlich hatte „Mademoiselle Chanel", die lebenslang auf diese offizielle Anrede bestanden hatte, niemals Männermode schneidern lassen – auch wenn sie ihren frühen Durchbruch in Zeiten des Ersten Weltkriegs vor allem auch Inspirationen aus der Menswear zu verdanken hatte.
Ihr damaliges Markenzeichen, ein schlicht-androgyner Stil mit bequem-sportivem Touch, der von den Charleston tanzenden und das tradierte Frauenbild infrage stellenden Garçonnes der 20er-Jahre präferiert wurde, war modische Revolution und gesellschaftlicher Skandal zugleich. Coco Chanel war zwar nicht die erste Befreierin der Damenwelt von Korsett und Fischbein – dieses Verdienst gebührt ihrem Rivalen Paul Poiret –, aber sie hat quasi im Alleingang den Look der modernen Frau geschaffen, Damenhosen inklusive. Zur Komplettierung lancierte sie mit „Chanel No 5" eine veritable Duft-Innovation, bei der es sich um eines der ersten synthetisch hergestellten Parfums überhaupt handelte, das bis heute weltweit die höchsten Verkaufszahlen hat.
Als die Eltern der am 19. August 1883 in einem Armenhaus des Loire-Städtchens Saumur geborenen Gabrielle Chanel beim örtlichen Standesamt zur Registrierung ihrer Tochter vorsprachen, lief wohl so einiges schief. Zunächst wurde als Familienname fälschlicherweise „Chasnel" eingetragen, zum anderen übersahen die Beamten, dass das Baby als uneheliches Kind auf die Welt gekommen war. Von daher erhielt sie den Nachnamen ihres Vaters Henri-Albert Chanel, einem offenbar wenig erfolgreichen Hausierer, und nicht den Nachnamen ihrer Mutter Eugénie Jeanne Devolle, die als Wäscherin tätig war. Erst ein Jahr später heirateten die Eltern. Die Familie, zu der neben Gabrielle auch noch vier weitere Kinder zählten, war zu diesem Zeitpunkt in der Rue Saint-Jean in Saumur ansässig. Da sich Gabrielle Chanel zeitlebens ihrer niedrigen sozialen Herkunft schämte, war sie erfolgreich bestrebt, diesen Teil ihrer Vita auszulöschen. Es gibt daher keinerlei gesicherte Fakten über ihre Kindheit oder frühe Jugend.
Kaum Informationen zu ihren frühen Jahren
Das für sie einschneidendste Ereignis war der Tod der Mutter im Februar 1895, denn danach fühlte sich der Vater nicht mehr dazu in der Lage, seine Kinder bei sich zu behalten. Nach der gängigen Ansicht wurde Gabrielle mit ihren beiden Schwestern in das von Nonnen geführte Waisenhaus des Klosters Aubazines im Departement Corrèze eingewiesen, wo sie vor allem das Nähen gelernt haben soll. Das passte natürlich perfekt zum späteren Lebenslauf, zumal sich aus dem Nonnenhabit auch ihre künftige Vorliebe für die Farbe Schwarz erklären ließ. Einer vergleichsweise selten aufgegriffenen These zufolge könnte Gabrielle auch bei Verwandten im Städtchen Thiers oder in der Bretagne aufgewachsen sein. Wie gesagt: Nichts genaues weiß man nicht.
Etwas sichereren Boden erreichte die Vita von Gabrielle erst mit ihrem 18. Lebensjahr, als sie im Auvergne-Städtchen Moulins eintraf und dort ihre Fähigkeiten mit Nadel und Zwirn in einem von Stiftsdamen geleiteten Pensionat perfektioniert haben soll. Gleichzeitig hat sie wohl in einem Strickwarenladen gearbeitet und nebenbei auch schon erste private Aufträge als Schneiderin angenommen. Schicksalhaft sollten ihre Bemühungen werden, durch Chanson-Auftritte in diversen Varietés in Moulins oder auch in Vichy einen schnellen gesellschaftlichen Aufstieg zu schaffen. Ihren Spitznamen verdankte sie einem ihrer Lieblingssong „Qui qu’a vu Coco dans le Trocadéro", weil sie beim Singen vom zumeist aus Soldaten bestehenden Publikum mit den Rufen „Coco" angefeuert wurde. Bei einem ihrer Auftritte lernte sie mit dem reichen Offizier und Industriellen-Erben Etienne Balsan den ersten einflussreichen Liebhaber kennen, der sie nicht nur auf sein Schloss nahe Compiègne mitnahm, sondern sie auch in der vornehmen Hauptstadt-Gesellschaft einführte und ihr 1909 seine Pariser Stadtwohnung zur Eröffnung eines Hutateliers zur Verfügung stellte. „Mademoiselle" begann also ihre modische Karriere als Putzmacherin, wofür sie Hüte in den großen Pariser Kaufhäusern erwarb und anschließend durch Entfernung aller damals üblichen üppigen Zierrate wie Federn in schlichte Modelle verwandelte.
Balsan machte sie mit ihrem nächsten vermögenden Liebhaber bekannt, dem britischen Bergwerksbesitzer Arthur „Boy" Capel, dank dessen Geld und Bürgschaft sie zunächst 1910 in der Pariser Rue Cambon ihren ersten richtigen Hutladen sowie 1913 und 1915 in den mondänen Seebädern Deauville und Biarritz ihre ersten beiden Boutiquen etablieren konnte. In diesen wurden neben reichlich Haut zeigenden Badeanzügen auch schon erste bequeme, schnörkellose Kleidungsstücke angeboten. Noch dazu aus Jersey, das bis dahin hauptsächlich für die Herstellung von Herrenunterwäsche benutzt wurde. Da die 1,69 Meter große Coco Chanel zum Bubikopf gerne Klamotten ihrer Liebhaber von Hosen bis Krawatten zu tragen pflegte, begann sie mit dem Entwerfen weiter Segler-Pants, deren komfortablen Schnitt sie von den Arbeitshosen der Fischer oder Handwerker ableitete und deren gestreifte Shirts ebenso in ihren Damenkollektionen als Breton Top auftauchten.
Aufstieg zum Megastar der Haute Couture
Da es Coco gelang, in Biarritz die Baronin Rothschild – damals so etwas wie die weltweite Mode-Influencerin schlechthin und gerade im Streit von ihrem bevorzugten Couturier Poiret geschieden – mit ihrem neuen Stil zu begeistern, wollte bald ganz Paris die Chanel-Klamotten haben. Poiret schäumte denn auch ob dieses von ihm als „Suppenküchenmode" diffamierten Looks. Doch gestärkt durch die „Vogue", die Chanels Mode aus fließend weichen Stoffen und tief sitzende Taillen schon 1916 zum „Inbegriff der Eleganz" deklariert hatte, stieg Coco in den Zwanzigern mit legendären Kreationen wie dem kleinen Schwarzen, frühen Tweed-Jacken oder der Einführung von Modeschmuck in die Fashion-Welt zum Megastar der Haute Couture auf. Zudem war sie die erste Modemacherin, die ihr eigenes Parfum auf den Markt brachte, komponiert von Ernest Beaux, dem Hofparfümeur des russischen Zaren. Der Duft wurde in einem maskulinen Flakon abgefüllt und ab 1924 unter Mithilfe des von der Familie Wertheimer geleiteten Kosmetikkonzerns Bourjois vertrieben.
Unzählige Affären – beispielsweise mit dem Duke von Westminister, dem reichsten Mann Englands – zählten zu Cocos Leben ebenso dazu wie Freundschaften zu Igor Strawinsky, Pablo Picasso oder Jean Cocteau, die die längst vermögende Chanel, zu deren Besitztümern auch eine imposante Mittelmeer-Residenz in Roquebrune-Cap-Martin zählte, als Mäzenin unterstützten. Obwohl sie in der Rue Cambon ganze Häuserreihen erworben und mit eigenen Boutiquen bestückt hatte, wurde Coco Chanel im Lauf der 30er-Jahre mit ihren 4.000 Angestellten durch die avantgardistische Elsa Schiaparelli in den Schatten gestellt. Nach Kriegsbeginn, als man sie aufgefordert hatte, Offiziersuniformen und Krankenschwesternkittel zu produzieren, schloss sie 1939 sämtliche Läden – außer der Parfum-Boutique. Ein dunkles Kapitel waren ihre Kollaboration mit den Nazis und ihre langjährige Liebschaft mit dem Goebbels-Geheimagenten Hans Günther von Dincklage. Beides veranlasste sie im Herbst 1944, nach kurzer Inhaftierung, aus Furcht vor weiterer Verfolgung zur Flucht ins schweizerische Lausanne.
Dunkles Kapitel der Nazi-Kollaboration
Dank finanzieller Unterstützung durch die Familie Wertheimer, die so zum Alleinbesitzer aller Chanel-Unternehmen wurde, konnte sie 1954 im Alter von 70 Jahren ein Comeback in der Rue Cambon feiern und wieder ins „Ritz" einziehen, wo sie auch schon ab 1933 logiert hatte. Der Erfolg war den kauffreudigen Amerikanerinnen zu verdanken, die die Chanel-Kreationen dem von Christian Dior ausgerufenen „New Look" vorzogen und sich um die 1954 präsentierten goldgeknöpften Chanel-Tweed-Kostüme ebenso zu reißen begannen wie um die 1955 vorgestellte Bag „Chanel 2.55" oder die zweifarbigen Slingpumps in Beige mit schwarzer Kappe aus dem Jahr 1957. Im gleichen Jahr wurde das kleine Schwarze endgültig zum berühmtesten Kleidungsstück der Modegeschichte – dank Audrey Hepburns Outfit in „Frühstück bei Tiffany".