Der „X-Berg Duck" flattert per Lieferdienst auf Pizza, als Burger und Donut zu den Gästen nach Hause. Chef Philipp Vogel widmete die beliebte Peking-Ente à la „Orania" zum couchkompatiblen Asia-Soulfood mit Kreuzberg-Touch um.
Pizza mit Ente, das ist doch keine Pizza!", empört sich der Feinschmeckerfotograf. Der heilige Ernst eines jeden Italieners beim Essen, geschweige denn bei Pizza, ist nicht zu unterschätzen! „Sag’s aber nicht dem Küchenchef, sonst kann ich mich im ‚Orania‘ nicht mehr blicken lassen." Philipp Vogel, Geschäftsführer und Küchenchef im gleichnamigen Kreuzberger Restaurant und Hotel, nimmt’s mit Humor: „Die X-Berg-Duck-Pizza ist streng genommen ein belegtes Naan-Brot." Mit Entenfleisch, Koriander, Frühlingszwiebeln und der krossen Haut einer Peking-Ente getoppt. Die „im normalen Leben" vom gegrillten Tier geschnitten und mit Hoisin-Sauce und Gurke in kleine Pfannkuchen gewickelt wird.
Der X-Berg-Duck, die Peking-Ente im Kreuzberg-Style, hat ihre ganz eigene Geschichte im „Orania". Sie war die wilde Idee und das erste Vorweihnachtsspecial im Winter 2017. Chef Philipp Vogel hatte zwei Jahre in Shanghai gelebt und sich vom Pekingenten-König „Da Dong" inspirieren lassen. Der Ofen im „Orania" wurde im Januar wieder abgebaut und ganz rasch wieder aufgestellt. Denn die Gäste verlangten rasch wieder nach Peking-Ente. Seit Sommer 2018 gibt es sie als viergängiges X-Berg-Duck-Menü à la Philipp Vogel – auch bei 34 Grad im Schatten, in einem Restaurant ohne jegliche Terrasse. In dem aus China importierten Ofen brutzeln täglich so einige reinrassige Pekingenten aus Irland ihrer X-Berg-Duck-Werdung entgegen. Sei es als Füllung für Dim Sum oder als gezupftes Entenbein in gebratenem Reis.
Pulled-Burger mit gezupfter Ente
Philipp Vogel bürstete die chinesische Abfolge gegen den Strich: Die Suppe mit Dumpling wird zuerst gereicht, dann die krosse Haut. Gang drei ist Brustfleisch mit Pak Choi. Zum Abschluss gibt’s Keule mit Reis. Das würde mit ein und derselben Ente so nicht funktionieren: Zuerst werden Haut und Fleisch abgelöst und verzehrt, damit in der Zwischenzeit die Köche von der Karkasse eine Suppe zum Abschluss zubereiten können. Ob klassische Enten-Folge oder Kreuzberger Menü – alltagstauglich für den Lockdown ist beides nicht. Das X-Berg-Duck-Menü war aber für die Fans in der Adventszeit erstmals in einer Sonderedition, der „Dinner at home"-Box, zum Selbst-Fertigstellen zu haben.
„Zwischen den beiden Lockdowns konnten wir bis zu 60 Gäste im Restaurant haben", sagt Philipp Vogel. Das Restaurant kann sich in den Lounge-Bereich vor der Bar erweitern. „50 Gäste bestellten das Enten-Menü, zehn etwas anderes." Ob’s am unverwechselbaren Design des Vogels von Martin Schmidt liegt? Das befreundete Büro Kaluza+Schmidt gab dem X-Berg-Duck seine comichafte Gestalt: ein rundliches, weißes Federvieh mit Kreuz auf dem Bauch, mit schicksalsergebenem wie widerspenstigem Ausdruck. Mal trägt der Duck eine Box vom Lieferdienst auf dem Rücken, mal eine blaue Maske als Schnabelschutz – nur echt mit roughem Kreuzberger „Ey Alter"-Charme im Blick.
Ein Burger und eine ordentliche Portion Pommes kommen im „Orania" für mich in die Tüte und kurz darauf auf den heimischen Teller. Ich bestelle das Street Food de luxe und hole es im Restaurant-Eingangsbereich ab. Die goldbraunen, unterschiedlich langen und angenehm dicken Kartoffelstäbchen werden in Entenfett frittiert und in einer offenen Rollkragen-Papiertüte ausgereicht. Sehr angenehm – lieber ein bisschen angekühlte als labberige Pommes! Die stattliche Menge für sechs Euro ist definitiv eine Beilage für zwei oder ein eigenes Pommes-Mahl mit „Hoichup" und „Asiayo". Zumindest, falls Pizza, Burger oder Entenkeule als Hauptgericht auf dem Plan stehen, sollten sie maßvoll mitbestellt werden. Der Pulled-X-Berg-Duck-Burger trägt weiches, gezupftes Fleisch in sich, das sich mit Salat und Frühlingszwiebeln wohlig verbindet.
Pizza wird aus Naan-Teig gebacken
Wo sind Sessel, Screen und Serie? Burger und Pommes lassen sich prima beim abendlichen Lümmeln und Chillen essen. Genau so war’s gedacht: „Unsere Gäste wollten das unbedingt so haben. Wir mussten nur noch die Geschmacksrichtungen der Ente sofatauglich machen", sagt Philipp Vogel. Lieblingsgericht und Hingucker Nummer eins, die X-Berg-Duck-Pizza, gab es schon seit November 2019. Wieder einmal wurde gewitzelt und überlegt, welche Gerichte sich als Bar Food oder für den nicht mehr ganz so großen abendlichen Entenhunger der Hotelgäste eignen würden. Stammgast, Freund und Pizza-Produzent Ermano Gianni gab den entscheidenden Tipp: „Er fragte mich, ob wir nicht Entenpizza versuchen wollten." So geschah es. Die Pizza wurde entwickelt und verfeinert. So manches Mal wurde sie schließlich sogar als Vorspeise vor einem ganzen Menü bestellt. Ich warne davor: Schachtel und Pizza sind zwar eher im Format eines mittleren Esstellers. Aber der an den Rändern beinah keksige, ausgebackene Naan-Teig mit Joghurt hat es auf sich: Entenhack mit Würfelchen aus gelbem Rettich in einem Mix aus Sauerrahm und Crème fraîche, ein üppiges Bett von Koriander und Frühlingszwiebeln sowie krosse Entenhaut-Späne.
Ich hatte bereits zuvor einen Dumpling in Entenbrühe zu mir genommen. Wer diesen intensiven „Tee" mit leichter Ingwer-Schärfe zur Einstimmung wegschlürft und sich an der eher ins Süße tendierenden Füllung der Dim-Sum-Blume aus Leber und Entenfleisch erfreuen kann, sollte sich das nicht entgehen lassen! Eine ebenso gute Wahl war der Gurkensalat mit Knoblauch und Erdnüssen als Side Dish. Sehr schön sauer und ziemlich scharf klopft er an die noch nicht übermäßig beanspruchten Rezeptoren für diese Geschmacksrichtungen an. Dashi und Leber spielen mit der Süß-Scharf-Kombi, die Pizza mit dem Umami. So werden beinah alle Geschmacksknospen angesprochen.
„Machen’s auch für unsere Mitarbeiter"
Doch mein Menü ist noch nicht beendet. Es gibt ja noch den Crème-brûlée-Krapfen, der sogar ganz ohne Ente auskommt. Der Transport der Eier-Sahne-Creme in einem „Berliner", „Pfannkuchen" oder „Krapfen" ist ebenso elegant wie gehaltvoll. Abgefackelt und karamellisiert wird der Zucker auf der oberen Hälfte. „Ich habe das mal in Island gegessen, und das hat mich sehr begeistert", sagt Vogel. „Da wollten wir dranbleiben und etwas daraus machen." Es wurde und blieb ganz einfach: Creme innen, ausgebackener Hefeteig außen, Zuckerkruste obenauf. Drei schnickschnackfreie Komponenten, die Vogel eigentlich immer reichen.
Tatsächlich gibt es ebenfalls ein Gebäck-Dessert mit Ente: Entenhaut im Bacon-Style bedeckt einen länglichen, mit Maple-Sirup-Creme angereicherten Donut. Die Spielfreude von Philipp Vogel und dem „Orania"-Team ist jeder Kreation anzusehen und anzuschmecken. Heraus kommt Soulfood mit fein und präzise abgestimmten Aromen, couchtauglich und transportabel gedacht und gemacht. Die Preise sind angemessen: Fünf Euro kostet der Knoblauch-Gurken-Salat, 14 Euro die X-Berg-Duck-Pizza. Wer nichts zu trinken im Kühlschrank hat, kann Kaltgetränke mitbestellen. Cola, Orangina, Brło-Craftbeere oder Wein etwa.
Nik Weis’ St. Urbans-Hof Schiefer Riesling ist mit seinen terroirbedingten Rauch- und Salz-Anklängen sowie mit tropischen Fruchtnoten ein standhafter wie an die asiatischen Aromen anpassungsfähiger Begleiter. Es gibt diesen Weißwein für 49 Euro je Flasche. Selbst auf Qualitätsdrinks von der „Orania"-Bar muss niemand verzichten: Ein „Superfood Negroni" mit Amaro und Uhudler vom Freimeister Kollektiv sowie eine whiskeylastige „Clara" mit Vanille-Zitronenzucker und Zitronenwasser sind für 22 und 20 Euro je 200 Milliliter erhältlich.
Was die Restaurant- und Bargäste im @home-Modus erfreut, tut dem Team ebenfalls gut. „Wir machen das auch für unsere Mitarbeiter", sagt Philipp Vogel. „Wir arbeiten abwechselnd, sodass immer jemand ein bisschen was zu tun hat." Und die Stimmung ist gut. Es gibt für jeden, der kommt und seine Bestellung selbst abholt, freundliche Worte. Man kennt sich und scherzt miteinander. Der Pass in der Küche sieht gar nicht mal so leer aus – der „X-Berg-Duck to fly", wie ich ihn für mich nenne, hat offenbar zahlreiche Freundinnen und Freunde gefunden. Auch wenn’s anders, im täglichen Kontakt mit Hotel- und Restaurantgästen vor Ort, schöner und besser wäre, sieht Philipp Vogel keinen Grund den Kopf in den Sand zu stecken: „Ich würde behaupten, wir Gastronomen sind prädestiniert, auf immer wieder unterschiedliche Situationen flexibel zu reagieren." Wie das unter Corona-Prämissen in diesem Winter funktionieren kann, ist am Kreuzberger Oranienplatz zu besichtigen und zu Hause zu schmecken.