Über eine Dekade ist es jetzt her, dass sich die steirische Landeshauptstadt Graz selbstbewusst zur Genuss-Hauptstadt Österreichs gekrönt hat. Als Highlight der Region zählt der Trüffel, der im teils verwilderten Stadtwald zu finden ist.
Viele der Traditions-Manufakturen im steirischen Hinterland sind bestens mit den Grazer Gastronomen vernetzt. 16 Bauernmärkte und an die 100 kleine bäuerliche Betriebe sind im Stadtraum verortet. Der pittoreske Wochenmarkt auf dem Kaiser-Josef-Platz ist seit mehr als 100 Jahren eine feste Adresse. Im stadtbekannten Bauernladen in der Landeskammer finden sich 95 Prozent der regionalen Produkte. Vom steirischen Kürbiskernöl über Lupinenkaffee, Käferbohnen oder lokal angebauten Reis ist alles vertreten. Eine noch junge kulinarische Tradition hat sich als neue Königsklasse dazugesellt.
Die Tatsache, dass 25 Prozent der Grazer Stadtfläche bewaldet und aus nachhaltigen Gründen mit viel Totholz teilverwildert ist, bietet beste Voraussetzung für den unterirdisch wachsenden Grazer Trüffel. Der weltweit als Delikatesse geehrte Edelpilz wird eher im Perigord oder Piemont als in Österreichs zweitgrößter Stadt vermutet. In sieben Varietäten schlummert er bis zu 20 Zentimeter tief im kalkigen Erdreich. Mit den Wurzeln von Buchen-, Eichen- oder Haselnussbäumen geht er über ein fadenartiges Sporennetz eine Stoffwechsel-Symbiose ein (Mykorrhiza).
Kleine Hunde erschnüffeln die Kostbarkeiten
Die „Trüffel-Platzerl" im Leechwald am Grazer Stadtrand kennt Marion Weissenbrunner wie ihre Westentasche. Gemeinsam mit der Biologin und Trüffel-Koryphäe Dr. Gabriele Sauseng hat sie seit 2017 „die Lizenz zum Trüffeln" und kartiert den Trüffelf und die Grazer Stadtwälder. Die Grazer Trüffel gehören übrigens der Stadt Graz. Die beiden Frauen werden von vierbeinigen Superspürnasen begleitet. Das sind keineswegs Schweine, sondern drei wuschelig-gelockte, sehr lebendige Italienerinnen und eine sensible Holländerin. Die Lagotto-Romagnolo-Rassehündinnen Iuma, Camou und Riva sind sogenannte „Wasser-Apportierhunde", die in den sumpfigen Talgründen von Comacchio und den Ravenna-Lagunen eingesetzt wurden. Nach Urbarmachung der Ebenen der Romagna wurde die Rasse Ende des 19. Jahrhunderts für die Trüffelsuche trainiert. Die Kooikerhondje-Dame Wakuny – eigentlich ein Enten-Lockjagdhund – mit ihrer kupferrot-weißen Fellzeichnung ist der Star der „Tuffi-Suchtruppe". Weissenbrunner ist seit sieben Jahren Rettungshundetrainerin, züchtet Kooikerhondje-Hunde und gründete 2014 die erste Grazer Schnüffelschule. Ihre Hündin hatte gleich im ersten Einsatzjahr einen 277 Gramm schweren Burgundertrüffel erschnuppert und wird seitdem wie eine Nationalheldin gefeiert. Ein fetter Fund, denn das „Schwarze Gold" wird mit einem Kilopreis von 500 bis 1.000 Euro (etwa ein Euro pro Gramm) gehandelt. Das legendäre Hotel Sacher in Wien hatte die Rarität erstanden. Zuvor wurde die Riesenknolle von einem 3-D-Scanner eins zu eins für die Ewigkeit nachmoduliert und steht seitdem, auf Moos und Gräser gebettet, in einer Schauvitrine der städtischen Waldschule.
Von hier starten während des jährlich stattfindenden Trüffelfestivals die beliebten Trüffelwanderungen im Leechwald. Man wird Zeuge eines lebendigen Spektakels: Sobald ein Hund losläuft, buddelt und sich hinlegt, hechten die Trüffelsammlerinnen ans Erdloch, um den Trüffel erst vorm Hundezahn zu retten und dann vorsichtig mit einer schmalen Schaufel auszubuddeln. Zu kleine Exemplare werden zum Weiterwachsen wieder in der Erde vergraben und das Erdloch gut geschlossen.
Trüffel ist nicht gleich Trüffel
Das eigentliche Interesse der Hunde gelte weniger dem Trüffel selbst, sondern dem Belohnungsleckerli danach, erläutert Gabi. Ihre drei Lagotto-Spürnasen seien auf den Geruch trainiert. Schweine folgen hingegen nur dem Instinkt. Die Schwefelverbindungen im Pilz riechen wie das Ebersexualhormon. Das mache die Sau mit ihren drei Milliarden Riechsinnzellen so kirre, dass sie in ihrer angeregten Paarungsfantasie wie besessen das Erdreich umwühlt und zerstört. So werden diese Spürnasen nur noch zu Showzwecken eingesetzt. In Sardinien sucht man auch mit Ziegen – Käfer, Schnecken und Fliegen kommen mancherorts ebenso zum Einsatz. „Da sind unsere Hunde schon punktgenauer. Sie müssen nur bei Laune gehalten werden", grinst die Expertin.
Nach einer Karriere bei der Nasa mit Projekten über „Mondverschiebungen unter Schwerelosigkeit" bildet die dreifache Mutter Hunde zu Rettungszwecken aus. Ein erdender Berufswechsel. 2013 hatte sie bei einem Einsatz in einem Buchenwald die Initialzündung, sich auf Trüffelsuche zu spezialisieren. „Ich las mir drei Jahre lang Fachwissen an und fuhr mit meinem VW-Kleinbus alle internationalen Trüffelregionen von Perigord bis Neuseeland ab. Da kamen an die 16.000 Kilometer zusammen", resümiert die gebürtige Südsteiermärkerin. Ihr Wissen trägt sie in die Heimat. Jedes österreichische Bundesland vergibt seine Lizenzen autark, auch Grundbesitzer müssen zustimmen. In Kärnten sei Trüffeln verboten, dort steht der Bodenschatz unter Naturschutz.
Im Herbst steigt Trüffelfestival
Ab September bis November wächst das kulinarische Highlight, der schwarze, bei Feinschmeckern sehr beliebte „Tuber uncinatum" (Burgundertrüffel 10-100 mm) mit seinem steinpilzigen Aroma. Bis Dezember wächst der kleinere Wintertrüffel (bis 30 mm). Wegen seines säuerlich, „kernigen" Geschmacks (Meerrettich) und der pfeffrigen Moschusnote wird er gern über Kartoffelpüree gerieben. Ab Mitte Juni wächst der milde Sommertrüffel (eine frühreife Varietät des Burgundertrüffels bis 100 mm) mit leichtem Haselnuss-Champignon-Gusto. Der passt perfekt zu Gnocchi in Ziegenkäse-Schalotten-Weißweinsauce. Je reifer der Trüffel umso dunkler seine Färbung, je einfacher die Speise, desto besser kommen die Aromen zur Geltung. Es empfiehlt sich, unterschiedliche Reifegrade zu verwenden. Der Klassiker: In hauchdünne Scheibchen gehobelt, passen alle Knollen zu Eierspeisen, Pasta und Risotto, gern mit Schlagobers (Sahnesoße) und Parmesan verfeinert. Im Schraubglas mit doppelter Lage Küchenkrepp halten frische Tartufos maximal 14 Tage. 5:1 mit Butter vermischt, halten sie sich portioniert und eingefroren das ganze Jahr. Ungenießbar sind Hohl- oder Holztrüffel, Rot-braune und der Stinktrüffel. Der Teertrüffel schmeckt nach dem Kochen nach Holzkohle und Rosmarin und ist wie ein kräftiger Käse nicht jedermanns Geschmack.
Seit dem zehnjährigen Bestehen der Genusshauptstadt wird den Steiermark-Diamanten ein eigenes Festival gewidmet (Ende Oktober bis Anfang November). Das nächste Trüffelfestival findet vom 27. Oktober bis zum 7. November statt. „Heuer" feierte die Stadt bereits zum dritten Mal und will es den klassischen Festivalstädten San Miniato, Alba (Italien), Livade (Istrien) oder der Provence (Frankreich) gleichtun. Auch internationale Trüffelrepräsentanten bahren ihre Erdschätze wie Trophäen auf. An zwei Dutzend geschmückten Holzstände im Paradieshof verströmen die knolligen Edelpilze ihren erdig-nussigen Duft. Die Region Alba präsentiert ihre wertvollen weißen „Piemont-Juwelen". Das istrische Label „Tartufo Prestige" ist bekannt für seine Trüffel-Schokocreme und Öle. Neuerdings wird auch mit Bier experimentiert.
Trüffelweine sollen ergänzen
„Wir lassen unsere Funde zu Pesto oder feinem Salz verarbeiten", erzählt Andrea Hold-Semlic, die mit ihrem Bruder Rainer und den beiden schneeweißen Lagottos Freccia und Luce seit fünf Jahren das steirische Hinterland durchforstet. Ihre wertvolle Ausbeute veredelt sie unter dem Label „Naturtrüffel" (www.naturtrueffel.at). Ihre Trüffelbutter ist weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Die heimischen Grazer Edelknollen finden sich am Stand des Ehepaars Lorenz und Heike Kumpusch, die die Trüffel exklusiv zu Würsteln, Schafskäse, Blütencremehonig oder Butter unter dem Label „Gaumengut" selbst veredeln dürfen (www.gaumengut.at). Fine-Dining-Koch Lorenz serviert den Waldaromaten auch zu Pannacotta mit weißer Kuvertüre.
Etwa ein Drittel der Grazer Funde dürfen in die Weiterverarbeitung. Gute zwei Kilo werden direkt verkauft, und Teil drei wandert in ausgewählte Grazer Kochschmieden. Die Trüffelei findet sich dann im Mehrgängemenü auf Seesaibling auf Spinat-Nudelbett wie im „Cuisino" – dem Jugendstil-Restaurant im Stadtcasino – oder über dem geschmorten Kalbs-Scherzel mit fluffigem Kartoffel-Selleriepüree im „Schlossberg-Restaurant". Den Panoramablick über die Stadt und auf das Grazer Wahrzeichen, den Uhrenturm, gibt es gratis dazu.
Auch 2020 wurden wieder drei lokale „Trüffelweine" prämiert. Über 100 steirische Winzereien hatten sich mit zumeist roten „Riedenweinen" (ab zwei Jahre) mit Riesling-, Grauburgunder-, Morillon- oder Traminer-Trauben beworben. „Trüffelweine" sind trockene, elegante, harmonisch weiche, reife und strukturierte Weine mit einer fein eingebundenen Säure, einem neutralen Bouquet, einem vollmundigen Körper und wenig Alkohol. Ihre Mission: Den Trüffel ergänzen, ohne ihn zu dominieren. 2021 geht das Festival in sein viertes Jahr – die Trüffel liegen bis Juni im Winterschlaf.