Die Berliner Kampagne „Musiker für Musiker" hilft sozial Benachteiligten und fördert den Zusammenhalt unter Künstlern – in Corona-Zeiten auch mit ungewöhnlichen Formaten und Ideen.
Die Pandemie stellt den Konzertbetrieb auf eine harte Probe. Veranstaltungen fanden in den Sommermonaten allenfalls mit minimaler Besucherzahl und während des Lockdowns gar nicht statt. Und wer eines der raren Tickets ergattern konnte, gehörte zu den wenigen Glücklichen – viele gingen leer aus. Gerade dabei blieb die kulturelle Teilhabe sozial Benachteiligter oft auf der Strecke.
Ein Problem, das dem Verein „KulturLeben Berlin" vertraut ist – hat man sich doch hier bereits vor zehn Jahren zusammengefunden, um Menschen in kulturfernen Milieus oder mit geringem Einkommen den Besuch von Veranstaltungen zu ermöglichen. Die überwiegend ehrenamtlichen Mitarbeiter vermitteln nicht verkaufte Tickets der Opernhäuser, Konzertsäle und Theater.
Dafür kooperieren sie berlinweit mit rund 600 sozialen Einrichtungen; vom Altersheim über die Flüchtlingsunterkunft bis zur Behindertenwerkstatt. „Wir vermitteln Einzelkarten, aber auch Gruppenkontingente, wenn die Bewohner nicht allein ausgehen können", erzählt Miriam Kremer, Pressesprecherin von „KulturLeben Berlin". „Bevor Corona ausbrach, haben wir durchschnittlich 5.000 Tickets im Monat verteilt."
Vermittlung nicht verkaufter Tickets
Die Idee, nach dem Vorbild der Lebensmittel-Tafeln den Zugang zu Kultur zu ermöglichen, stammt von der Marburger Kulturjournalistin Christine Krauskopf. Sie hob die erste „Kulturloge" aus der Taufe, die inzwischen deutschlandweit Nachfolger gefunden hat. Bei einem Kongress traf Krauskopf auf die Kommunikationswissenschaftlerin Angela Meyenburg, die das Modell in der Hauptstadt etablierte und die Geschäftsführung des Vereins übernahm.
Mittlerweile operieren unter dem Dach von „KulturLeben Berlin" vier Projekte, die von der Sozialorganisation Aktion Mensch gefördert werden. Dazu gehört die „Werkstatt Utopia", ein Musikprojekt, in dem Menschen mit und ohne Behinderung zusammen proben und ein Mal im Jahr auftreten. Angeregt wurde das Projekt von dem Dirigenten Mariano Domingo, der in Berlin verschiedene Amateur-Ensembles geleitet hat. Das letzte große Utopia-Konzert fand Ende 2019, am Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung, in der voll besetzten Berliner Gethsemanekirche statt. Auch Vereins-Pressesprecherin Miriam Kremer war als Amateur-Geigerin mit dabei. „Die Musiker sind extrem motiviert", betont sie. „Daher ist es wirklich traurig, dass wir derzeit wegen der Pandemie nicht proben können."
Doch nicht nur die Treffen der Werkstatt Utopia sind derzeit ausgesetzt. Während des Lockdowns im Frühjahr 2020 waren sämtliche Kulturveranstaltungen gestrichen worden, auch das Modell der Ticket-Weitergabe brach somit zusammen. „Wir mussten uns überlegen, wie wir unsere Vereinsarbeit trotzdem fortsetzen können", erzählt Miriam Kremer. „Jetzt vermitteln wir Online-Kulturangebote im persönlichen Telefonat, um mit den Menschen in Kontakt zu bleiben."
Noch im März begann der Verein, klein besetzte Freiluftkonzerte vor Senioren- oder Behinderteneinrichtungen zu organisieren, die von Bewohnern auf ihren Balkons verfolgt wurden. „Von den Menschen, die besonders stark von den Einschränkungen des sozialen Lebens betroffen sind, bekamen wir begeisterte Rückmeldungen", so Miriam Kremer. „Daraufhin entstand die Idee für die Kampagne #MusikerFürMusikerBerlin." Partner dabei ist die Deutsche Orchestervereinigung, die Gewerkschaft für Berufsmusiker.
Die Kampagne #MusikerFürMusikerBerlin will den sozial Benachteiligten auch weiterhin Konzerterlebnisse ermöglichen. Zugleich geht es darum, Berliner freischaffende Musiker zu unterstützen, von denen viele momentan in ihrer beruflichen Existenz bedroht sind.
So stellte der Verein in den letzten Monaten immer wieder mal halbstündige Kammermusik-Auftritte vor und in Heimen und verschiedenen Einrichtungen auf die Beine – unter Einhaltung aller geltenden Hygiene- und Abstandsregeln. Mit dabei waren angestellte Musiker verschiedener Berliner Ensembles beispielsweise vom Rundfunk-Sinfonieorchester, dem Deutschen Symphonie-Orchester oder dem Rias Kammerchor. Im Rahmen der Kampagne fanden etwa Auftritte in einem Mehrgenerationenhaus, einer Reha-Klinik und einer Behindertenwerkstatt statt. Mal sangen vier Mitglieder des Rundfunkchors in einem Stadtteilzentrum. Dann wieder erfreute das Blechbläserquartett des Konzerthauses die Klienten einer psychiatrischen Beratungsstelle.
Endlich mal wieder vor Publikum singen können
Zunächst gastierten fest angestellte Musiker oder Sänger in der entsprechenden Einrichtung. Da sie – trotz eventueller Kurzarbeit – meist finanziell abgesichert sind, spendeten sie ihre Honorare für freischaffende Kollegen, die dann ihrerseits bezahlte Auftritte in anderen Einrichtungen absolvieren konnten.
„In den letzten Monaten mussten allerdings viele unserer Konzerte und Auftritte abgesagt werden, worüber wir sehr traurig sind", sagt Isabelle Voßkühler, Sopranistin im Quartett „Berlin’s 4", das aus Mitgliedern des Rundfunkchors besteht. „Dass wir mit dem Projekt Musiker Für Musiker endlich wieder vor Publikum singen durften – wenn auch im geforderten Sicherheitsabstand – und dabei auch noch unsere freischaffenden Kollegen unterstützen konnten, ist eine wahre Win-win-Situation!"
Mit der Kampagne soll die Solidarität innerhalb der Musikerszene gestärkt werden, denn trotz des gleichen Berufs sind fest angestellte Orchestermusiker und ihre freien Kollegen finanziell höchst unterschiedlich gestellt und abgesichert. Dennoch sei es klar, räumt Miriam Kremer vom Verein „KulturLeben Berlin" ein, dass man bei den organisierten Konzerten auch stets mit bekannten Namen „locken" müsse.
Der Winter nun erschwert die Situation des Vereins. Freiluftauftritte sind bei nasskaltem Wetter für die Streicher unmöglich. Die Hygieneregeln und Kontaktauflagen sind verschärft worden. „Der andauernde zweite Lockdown ist für uns eine riesige Herausforderung. Gerade Menschen in sozialen Einrichtungen leiden besonders unter der Isolation und den harten Einschränkungen. Die Vereinsamung nimmt dort zu", erzählt Miriam Kremer, die sich freut, dass der Verein noch während der Weihnachtszeit zahlreiche Minikonzerte organisieren konnte. Nicht öffentliche Veranstaltungen, die in Absprache mit der Kulturverwaltung des Senats „über die Bühne gingen" – in kleinsten Besetzungen, im Freien, auf privatem Gelände. Mit Publikum in sicherem Abstand, meist auf Balkons.
So viele Einschränkungen – und doch für die Zuhörer in der jeweiligen Einrichtung mit Sicherheit ein kleiner Höhepunkt in einer schwierigen, oft trostlosen Zeit. „Die Menschen sind ausgehungert nach schönen Dingen, Musik macht sie glücklich", sagt Miriam Kremer, die unter anderem eine stimmungsvolle Freiluft-Feier an einem Seniorenheim miterleben konnte; zwei Trompeter der Deutschen Oper spielten da neben einer knisternden Feuerschale.
„KulturLeben Berlin" würde gern weiterhin Konzerte organisieren. Aber angesichts der nun wieder verschärften Corona-Einschränkungen ist noch unklar, ob sich davon etwas realisieren lässt. Eines jedoch steht für Vereinssprecherin Miriam Kremer ebenso wie für die vielen beteiligten Musiker fest – man hofft, so bald wie möglich auch in Konzertsälen und Opernhäusern wieder zu einer Normalität zu finden – egal, wie genau diese aussehen mag.