Weltweit nutzen Staaten die automatisierte Gesichtserkennung zur Strafverfolgung – nicht nur China und die USA, sondern auch Deutschland. Doch der Einsatz der Technik gefährdet die Bürgerrechte.
In Corona-Zeiten macht die Gesichtserkennung im Alltag mitunter gewisse Probleme. Da gibt es einerseits das allgemeine Gebot, das Gesicht mit einem Mund-Nasen-Schutz zu bedecken. Andererseits hat die Polizei öfter Schwierigkeiten, so manchen Temposünder dingfest zu machen, der von einem Starenkasten fotografiert wurde. Das erinnert daran, dass das Gesicht der persönlichste Teil des menschlichen Körpers ist. Nicht nur, dass es viel über Personen aussagt. Es identifiziert sie auch eindeutig, wie die Fingerkuppen und die DNA.
Das macht das Gesicht zu einem heiklen Thema des Schutzes der Persönlichkeit und ihrer Grundrechte. Je besser die Auflösung von Kameras – nicht nur in den Smartphones – wird, umso besser werden die technischen Möglichkeiten, Bilder zu scannen und mit einer Datenbank zu vergleichen, um dann damit die Person zu identifizieren, also ihren Namen herauszufinden.
Ist das ein Problem? Wer nichts zu verbergen hat, kann auch nichts dagegen haben, von Kameras in der Öffentlichkeit gefilmt und identifiziert zu werden, redet sich so mancher die Sache schön. Doch was ist mit dem Anspruch des Einzelnen, dass seine persönlichen Daten vom Staat gegen seinen Willen nur dann verarbeitet werden dürfen, wenn es einen konkreten berechtigten Anlass dafür gibt?
Nun hat sich die Technik in den vergangenen Jahren so sehr verbessert, dass der Einsatz der Technik für Behörden verführerisch leicht geworden ist. Zu Beginn des vergangenen Jahres ging die Nachricht über ein Start-up mit Namen Clearview durch die Medien, das angeblich über eine Datenbank mit drei Milliarden Menschen verfügt, mit denen gescannte Bilder verglichen werden können. Bezeichnend ist, dass kleine, unbekannte Start-ups hier voranpreschen, während die großen Konzerne wie Google zurückhaltender agieren. Sie bekommen einfach mehr vom öffentlichen Protest ab.
Das Gesicht ist besonders schützenswert
In China ist der Einsatz sowieso Standard, aber auch in den USA hat die Gesichtserkennung 2020 stark zugenommen – Corona-Masken hin oder her. Über 2.000 US-Polizeibehörden arbeiten bereits mit der automatisierten Gesichtserkennung. Erst im August sorgte die Verhaftung eines Afroamerikaners für Protest, der mithilfe eines Fotos vermeintlich identifiziert wurde.
Aber auch in Deutschland wird die Technik genutzt – ohne wirkliche gesetzliche Grundlage. „Die polizeiliche Nutzung von Gesichtserkennung ist ein sehr heikles Feld, in dem Gesetze mindestens gedehnt, wenn nicht gebrochen werden", sagt Andrej Hunko, Bundestagsabgeordneter der Linken. So habe die Bundespolizei erwogen, „intelligente Videoüberwachung" mit Auswertung biometrischer Daten einzuführen, obwohl §27 des Bundespolizeigesetzes dies gar nicht ermögliche. In Hamburg habe die Polizei nach dem G20-Gipfel eine Datenbank mit Gesichtern Tausender Demonstranten angelegt, ohne dafür eine Rechtsgrundlage zu haben.
Das BKA und die Landeskriminalämter nutzten Gesichtserkennung bereits seit 2008 in Ermittlungen nach vielen Straftaten, so Hunko. Die Inpol-Datei enthalte mittlerweile rund fünf Millionen durchsuchbare Lichtbilder. „Jetzt unterstützt das Bundesinnenministerium den Vorschlag, im Rahmen der Prüm-Beschlüsse allen Schengen-Staaten die gegenseitige Abfrage ihrer polizeilich gesammelten Gesichtsbilder zu erlauben. Ich halte das für äußerst problematisch, denn das Gesicht ist ein Datum, das besonders schützenswert ist", so Hunko. „Wer sein Gesicht bei privaten Verrichtungen im öffentlichen Raum oder bei politischen Versammlungen unvermummt zeigt, darf nicht alltäglich ins Raster polizeilicher Fahndungen geraten."
In den USA ist zudem das Rassismus-Problem ein Thema. Die Technik macht bei Schwarzen öfter Fehler als bei Weißen. Woran das liegt, ist nicht ganz klar. Ohnehin wird der US-Polizei oft vorgeworfen, gegen Schwarze härter durchzugreifen als gegen Weiße. Die biometrische Gesichtserkennungstechnik verstärkt damit das Problem der rassistischen Diskriminierung demnach noch.
Langsam wird nun eine Gegenbewegung aktiv. Einige Städte in den USA haben den Einsatz der Gesichtserkennung nun verboten: Boston in Massachusetts und San Francisco beispielsweise. Die neue Bundesregierung unter Präsident Biden dürfte das Thema vermutlich anpacken. Immerhin hat die neue Vizepräsidentin Kamala Harris in ihrem Wahlkampf für eine Regulierung plädiert. Die drei großen IT-Konzerne IBM, Amazon und Microsoft haben ein Moratorium verkündet und versprachen, ein Jahr lang keine entsprechenden Produkte anzubieten. Google betont, dass es „viele Sorgen teilt", die viele Menschen wegen der Technik haben. Was das konkret bedeutet, ist offen. Immerhin formuliert der Konzern drei Prinzipien für den Umgang mit Gesichtserkennung: Der Einsatz sollte fair sein, wenn er zur Überwachung genutzt wird (also nicht diskriminieren), er sollte nicht internationalen Normen widersprechen, und er sollte die Privatsphäre schützen. Viel ist das nicht. Aber man teilt die Sorgen.
In Europa hat die Debatte erst begonnen. Die EU-Kommission plante Anfang 2020 ein Moratorium, zog die Idee aber zurück. Derzeit läuft ein Großprojekt über eine EU-weite biometrische Datenbank. Ein Weißbuch, also eine Diskussionsgrundlage zu dem Thema wurde erarbeitet, ohne klare Aussagen.
Gefahr, dass Daten in falsche Hände geraten
Ein erster Versuch mit Gesichtserkennung am Berliner S-Bahnhof Südkreuz wurde von der Bundespolizei als „erfolgreich" bewertet, die Technik habe sich „bewährt" – allerdings wurde diese Einschätzung in einer Analyse vom Chaos Computer Club später ziemlich zerrissen. Zudem ist völlig unklar, inwieweit die Technik helfen soll, wenn sie eine hohe Fehlerquote hat, die unendlich viele Fehlalarme erzeugt, für deren Bearbeitung dann das Personal fehlt. Vergangenes Jahr wollte Bundesinnenminister Horst Seehofer dem Einsatz der Technik gesetzlich den Weg freimachen, strich diese Möglichkeit aber wieder, weil offensichtlich der Widerstand zu stark wurde, darunter vom Koalitionspartner SPD.
Nun hat sich eine Bewegung aus Organisationen formiert, die die Gesichtserkennung generell stoppen wollen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber sagt, er sehe den Einsatz der Gesichtserkennung für die Polizeiarbeit kritisch und halte es für fraglich, ob er verfassungsgemäß sei. „Ein Gesicht lässt sich nicht einfach wie ein Passwort auswechseln." Darum sollte die biometrische Gesichtserkennung mit klaren Regeln eingeschränkt werden. Wenn die Daten in die falschen Hände gerieten, sei der Schaden groß.
Für Linken-Politiker Andrej Hunko ist klar: „Aus meiner Sicht darf der Polizei die Gesichtserkennung nicht erlaubt werden – das gilt für den Einsatz in Echtzeit, wie am Berliner Bahnhof Südkreuz, und für die deutschen Kriminalämter, die dies in Strafermittlungen seit über zehn Jahren ausufernd praktizieren."