Mit Janet Yellen wird eine Frau US-Finanzministerin, die mit den besten akademischen Voraussetzungen langjährige Erfahrungen in der Geldpolitik mitbringt. Links ist sie sicher nicht.
Dass mit Janet Yellen zum ersten Mal in der über 200-jährigen Geschichte der Institution eine Frau das US-Schatzamt führt, ist immerhin unstrittig. Das allein ist für viele schon bemerkenswert. Dann aber wird es schon weniger klar: Wer ist und was will die 74-jährige Yellen, wenn sie denn in Kürze erwartungsgemäß zur ersten Finanzministerin der USA ernannt werden wird? Da sie dann wohl den wichtigsten wirtschaftspolitischen Posten der US-Administration innehat, läuft das wohl auf die viel wichtigere Frage hinaus: Wohin steuern die USA wirtschaftspolitisch in den kommenden vier (oder mehr) Jahren?
2014 bis 2017 Chefin der US-Notenbank Fed
„An der Spitze der US-Notenbank galt Yellen zu Recht als Taube", schreibt Holger Schmieding, Volkswirt bei der Hamburger Berenberg Bank. Mit „Taube" meint der ökonomische Jargon solche Wirtschaftspolitiker oder Notenbanker, die wenig Angst vor Inflation haben und tendenziell im Zweifel eher mehr Geld „drucken" wollen. In Zeiten, in denen seit Jahren, oder besser Jahrzehnten, keine nennenswerte Inflation mehr gesehen wurde und sich kaum jemand noch um die Geldentwertung Sorgen macht, ist das jedoch eine wenig hilfreiche Beschreibung. Immerhin hatte Yellen als 2014 von Barack Obama ernannte Chefin der US-Notenbank Fed die Leitzinsen nach ihrem Amtsantritt etwa drei Jahre lang bei praktisch null gelassen, dann jedoch ab Dezember 2017 mit langsamen Erhöhungen begonnen, die sie Schritt für Schritt während der Amtszeit von Präsident Trump weiter erhöhte – bis sie 2018 dann von Trump aus dem Amt gedrängt wurde.
Yellen hatte sich dessen Aufforderung, die Zinsen zu senken, um seinen Aufschwung nicht zu gefährden, widersetzt, was ihre Aufgabe als Chefin einer unabhängigen Notenbank ist, aber Trump natürlich nicht akzeptieren wollte. Yellens Nachfolger Powell senkte die Zinsen nach einer Höflichkeits- (sprich Glaubwürdigkeits-) Pause von einem Jahr ab August 2019 folgerichtig doch wieder auf zuletzt praktisch null. Da sind sie nun und bleiben es angesichts von Corona bestimmt eine ganze Weile. Längst sind die Leitzinsen auch gar nicht mehr das entscheidende Instrument einer Notenbank, sondern vielmehr die massiven Wertpapierkäufe.
Deutsche Kommentatoren schreiben oft, Yellen sei Keynesianerin, also „Anhängerin" des britischen Ökonomen John Maynard Keynes, der in der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre gefordert hatte, die Depression mit schuldenfinanzierten staatlichen Ausgabenprogrammen zu bekämpfen. Das war damals wissenschaftlich revolutionär, ist heute jedoch weltweit anerkannt. In den USA gibt es unter den Ökonomen mit wissenschaftlicher Karriere kaum welche, die eine Rezession nicht mit Keynes’ Rezepten bekämpfen würden. Das taugt also zur Unterscheidung der Ökonomen wenig. Schwerer wiegt, dass Yellen von zwei der bekanntesten „keynesianischen" Ökonomen der USA promoviert wurde, den beiden Nobelpreisträgern James Tobin und Joseph Stiglitz. Verheiratet ist sie mit einem weiteren keynesianischen Nobelpreisträger, George Akerlof. Wessen Karriere so unter Nobelpreisträgern abläuft, muss gut sein. Wenn Yellen immer wieder als brillant beschrieben wird, hat das wohl seine Gründe. Ihre wissenschaftliche Karriere war glänzend, bevor sie viele Jahre in der Notenbank der USA gearbeitet hat und dort 2014 dann Chefin wurde.
Was aber nun das angeblich Keynesianische an Yellens Politik ausmacht, ist völlig unklar. Das Anheben der Zinsen mit dem Versuch, Normalität zu erreichen, ist es jedenfalls nicht. Für deutsche Verhältnisse ist Yellen mit Sicherheit nicht „links" oder gewerkschaftsnah. Dazu muss man nur einmal einen wissenschaftlichen Artikel aus dem Jahr 1991 lesen, in dem sie zusammen mit ihrem Mann George Akerlof die ostdeutsche Wirtschaft nach dem Fall der Mauer analysiert hat – mit dem Ergebnis, dass die Löhne viel zu hoch gewesen seien. Die Abwanderung in den Westen geschehe nicht wegen den unterschiedlich hohen Löhnen in Ost und West, sondern wegen der drohenden Arbeitslosigkeit. Eine solche Position entsprach in etwa der von Hans-Werner Sinn, für deutsche Verhältnisse wahrlich kein Keynesianer. Apropos: Der Unterschied zwischen den USA und Deutschland wird deutlich, wenn man sich vorstellt, Hans-Werner Sinn würde zum Finanzminister ernannt. Sinn ist zwei Jahre jünger als Yellen und auch ein brillanter Ökonom.
Sie hat das „Vertrauen der Finanzmärkte"
Yellen ist demnach ganz offensichtlich nicht dem linken Flügel der Demokraten zuzuordnen. Sie gehört zu dem kleinen elitären geld- und finanzpolitischen Zirkel, der seit Jahrzehnten die Politik der USA bestimmt. Ihre professionelle Erfahrung wird als Garant für „solide" Haushaltspolitik gewertet, man weiß, sie macht keine Dummheiten, sie hat das „Vertrauen der Finanzmärkte". Da sie auch bereits den demokratischen Präsidenten Bill Clinton offiziell beraten hat, kann man sich daran orientieren. Der Clinton-Aufschwung war, etwa im Gegenteil zum Reagan- oder Trump-Aufschwung, durch sparsames Haushalten und die Rückführung des Staatsdefizits gekennzeichnet. Man kann vermuten, dass Yellen gern etwas Ähnliches wiederholen würde.
Dennoch scheint klar, dass sie einen sogenannten Stimulus befürworten wird, eines der wichtigsten wirtschaftspolitischen Versprechen des Kandidaten Biden. Ein solches Konjunkturprogramm bedarf der Zustimmung des Kongresses, was nun realistisch erscheint. Es wird in der Größenordnung von ein bis zwei Billionen Dollar für einen Zeitraum von zehn Jahren liegen.
In jedem Fall wird es für Anhänger des linken Flügels der Demokraten, die sich im Vorwahlkampf zu Beginn um Senator Bernie Sanders geschart hatten, enttäuschend ausfallen. Konjunkturprogramme und große Infrastrukturausgaben unter dem Label „Klimaschutz" gelten in den linken Teilen der Demokraten als Schlüssel zu einer Konjunkturerholung der US-Wirtschaft nach der Corona-Krise. Dagegen spricht allerdings, dass die Krise keine mit einer zu geringen Nachfrage ist. Sobald die Menschen wieder ausgehen und ausgeben können, werden sie das tun.
Yellen dürfte eine Politik machen, die Geld vorsichtiger zusammenhält als es progressive Kräfte in ihrer Partei wünschen. Aber der Druck zu handeln ist in den USA ähnlich groß wie hier. Ein Ausgabenprogramm lässt sich gut rechtfertigen, wenn man es als notwendige Antwort auf eine Misere begründen kann, die man nicht selbst zu verantworten hat. Das war 2008 die Finanz- und Bankenkrise, die Obama für ein Rettungspaket nutzen konnte. Nun ist es die Corona-Krise, die aus Demokratensicht durch Trump verursacht oder mindestens verschärft worden ist.
Amerika wird sich daher dem weltweiten Trend des Schuldenmachens nicht entziehen. Der Stand der öffentlichen Schulden liegt aktuell bei 98 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, vor einem Jahr waren es noch 79 Prozent. Vor der Finanzkrise 2008 lag es bei moderaten 60 Prozent. Noch dramatischer sieht das aktuelle Defizit aus: „Mit 14,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ist das Budgetdefizit das größte seit dem Zweiten Weltkrieg", schreibt das Budgetbüro des US-Senats im Dezember 2020.
Das erfordert auf den ersten Blick einen drastischen Sparkurs, aber das funktioniert nicht, weil das die Rezession verlängert und man dann erst recht nicht von den Schulden runter kommt. Die Investmentbank Goldman Sachs erwartet (durchaus in doppelter Bedeutung des Wortes) „kurzfristig einen größeren fiskalischen Stimulus." Im Laufe des Jahres 2021 rechnen die Bankökonomen dann mit kleinen Steuererhöhungen, um Ausgaben in gleicher Höhe zu finanzieren. Die Investmentbank beruhigt ihre Kunden, dass die Steuererhöhungen nur einen Bruchteil der ursprünglichen Pläne des Präsidentschaftskandidaten Joe Biden ausmachen.
Nach Einschätzung von Holger Schmieding wird die designierte Finanzministerin sich gegen Absichten wehren, die die konjunkturelle Erholung gefährden könnten, sprich gegen kurzfristig hohe Steuererhöhungen. Ihre jüngsten Äußerungen verraten jedoch, dass sie kräftige Hilfen für Familien befürwortet.