Wie konnte es so weit kommen? Diese Frage stellen sich Beobachter seit Amtsantritt von Donald Trump. Für den Psychologen und Führungsexperten Prof. Ralf Lanwehr ist die Sache klar: Trumps Charisma beruht auf seiner enormen Risikobereitschaft.
Herr Prof. Lanwehr, viele Beobachter der jüngsten Ereignisse in Washington fragen sich, wie Trump so viele Menschen noch immer von sich und seinen Lügen überzeugen konnte. Haben Sie eine Erklärung?
Nun, sein Charisma zieht Trump aus Signalen, Werten, Symbolen, Emotionen. Dass er Ereignisse wie den Anschlag in Charleston oder den Sturm auf das Kapitol kommentiert mit „Da gibt es gute Menschen auf beiden Seiten" oder „Wir lieben euch, ihr seid etwas Besonderes", sendet starke wertebasierte Signale. Sein aggressiver Händedruck signalisiert Überlegenheit. „Build the Wall" ist ein Symbol für Sicherheit, „Drain the Swamp", „Stop the Steal" Symbole für die Abneigung gegen das Establishment. Gleichzeitig sind sie Ausdruck einer Vision, der die Menschen folgen können. Er holt sie emotional ab, bedient ihre Wut. Dies wirkt aber nur bei Menschen, die diese Werte teilen. Wenn man diese Werte teilt, kommt es noch darauf an, wie teuer die Signale sind.
Was ist damit gemeint?
Er geht mit seinem Stil, der alle politischen Normen und Konventionen verletzt, enorme Risiken ein und zieht dadurch viel Hass auf sich. Sein Verhalten kostet ihn also das Ansehen bei vielen Menschen, und das nehmen seine Anhänger als starken, weil sehr teuren Kampf wahr. Und genau deshalb glauben sie ihm, weil er diese Risiken sehenden Auges eingeht.
Ungeachtet Tausender Lügen in seiner Amtszeit?
Glaubwürdigkeit erlangt er dadurch, dass er Vertrauen in das Erreichen eines Ziels vermitteln kann – wieder mithilfe von Symbolen und Metaphern wie der Mauer zu Mexiko. Gerade weil er so viel lügt, musste er diese Mauer irgendwie bauen, damit er weiter bei seiner Basis als glaubwürdig gilt. Für sie vereinfachte er die Welt so stark, um die einfachen Lösungen zu präsentieren, nach denen seine Klientel verzweifelt suchen. Charismatische und autoritäre Führung funktioniert sehr gut in Krisen, wenn die Menschen ein geringes Selbstwertgefühl haben, und in Konflikten – „wir gegen die", weshalb Trump ständig neue Konfliktherde schürte.
Ethisch und moralisch aber hat Trump doch versagt, warum folgen ihm noch immer die Massen?
Charisma funktioniert unabhängig vom ethischen und moralischen Gehalt der Botschaft, will sagen, ungeachtet ihrer Agenda ist die Wirkung ihres Charismas bei Menschen wie Trump und bei Friedensführern wie damals Gandhi gleich. Gandhi wollte Unabhängigkeit von Großbritannien – seine Vision – und sprach so das Herz und Hirn der Inder an. Sein „Weg des gewaltlosen Widerstandes" zeigte seinen Anhängern, was sie tun sollen. Genau so funktioniert Trumps Vision: Wir machen Amerika wieder groß. Wie? Indem wir den „Sumpf in Washington trockenlegen". Was muss man dafür tun? Alles erschüttern.
Ist er ein Narzisst, so wie viele behaupten?
Psychologen sprechen von der „dunklen Triade", wenn Narzissmus, Macchiavellismus und Psychopathie zusammenkommen. Trump zeigte alle Anzeichen: Keine Empathie, Selbstbezogenheit, Impulsivität, Dünnhäutigkeit. Hätten die Republikaner am Ende nicht gegengehalten, wäre es gefährlich geworden. Aber ich glaube, die Zeit nach Trump hat bereits begonnen.