Die Trump-Show ist vorbei. Vier lange Jahre Lügen, Täuschungen und Protz haben die US-Demokratie ausgezehrt. Am Ende stehen fünf Tote, Schüsse im Kapitol, verbarrikadierte Senatstüren. Grenzen sich die Republikaner nicht endlich radikal von den Trumpisten ab, wird es die Partei zerreißen.
Sie haben viel zu lange stillgehalten. Selbst einige der republikanischen Abgeordneten und Senatoren, die sich auf die haltlosen, wiederholt widerlegten Behauptungen ihres Ex-Präsidenten stützen, sahen ein, dass Donald Trump gerade verbrannte Erde hinterlässt – und die Partei gleich mit auf den Scheiterhaufen der Geschichte wirft. Die Partei ließ ihm alles durchgehen, letztlich das Mantra des Wahlbetrugs, das sich in den Köpfen seiner Anhänger festsetzte, diese nach Washington trieb und bis ins Kapitol vordringen ließ. Fünf Menschen starben an diesem Nachmittag am 6. Januar in und rund um das Zentrum der ältesten Demokratie der Welt, weil ein Mann nicht Manns genug ist, seine Niederlage einzugestehen – die logische Klimax einer turbulenten, normerschütternden und in vielen Aspekten antidemokratisch agierenden Präsidentschaft. Zum ersten Mal in der US-Demokratiegeschichte gab es keine friedliche Machtübergabe. Entscheidend für den Ausgang dieses 6. Januar war, dass Trump ein Demagoge ohne Konzept ist – zielgerichtet hätte die Erstürmung sicherlich die US-Demokratie verwüstet.
Ohne die gewaltsamen Proteste, die vor allem auf sein Konto gehen, wäre es für Donald Trump vielleicht möglich gewesen, ein bedeutendes Kraftzentrum innerhalb der Partei zu bleiben. Selbst mit Normbrüchen wie dem Nichteingestehen seiner Niederlage, einer rumpeligen Amtsübergabe, dem Nichterscheinen bei der Inauguration von Joe Biden wäre es durchaus denkbar gewesen, dass er die Republikanische Partei über die kommenden Jahre hinweg dominiert. Selbst bei friedlichen Protesten gegen eine Zertifizierung der Wahlmännerstimmen, wie sie innerhalb des Kapitols stattfand, hätte er, Verschwörungstheorie hin oder her, das Erstzugriffsrecht bei den Vorwahlen der Republikaner innegehabt.
Bereits kurz nach der Wahlniederlage spekulierten US-Medien darüber, dass Trump 2024 wieder antreten könnte – zum Nachteil zahlreicher jüngerer republikanischer Hoffnungsträger wie Marco Rubio oder Tom Cotton. Er selbst nährte diese Gerüchte nach Kräften, wie die US-Magazine „Politico" und „Axios" berichten. Trump stützte sich auf 74 Millionen Wähler, die er im November 2020 überzeugen konnte, mehr als jeder andere Republikaner jemals mobilisierte. Eine knallharte Basis, die Trump verehrte wie einen Messias, egal ob er mit seinem Tun und Reden Gefühle, Moral, Anstand oder internationale Normen und Abkommen verletzte. Hauptsache Amerika. Daran gab es kein Vorbeikommen.
Nibelungentreue bis „fünf vor zwölf"
Bis zum Tag der Zertifizierung von Joe Bidens Wahl zum 46. Präsidenten. Der Sturm der Trump-Unterstützer auf das Kapitol markiert das endgültige Ende einer toxischen Show-Präsidentschaft, wie sie Netflix nicht besser hätte verfilmen können. Wird Trump jetzt noch eine Rolle spielen?
Das republikanische Establishment hat durch die erschütternden Szenen am und im Washingtoner Kapitol eine willkommene Ausrede, um den nie wirklich geschätzten Polit-Entertainer zu einem Leben als rechtspopulistischen Pariah zu verdammen. Die Probleme aber bleiben. Denn die „Fünf-vor-Zwölf"-Anerkennung des Wahlsieges von Joe Biden durch den scheidenden Senatsführer Mitch McConnell, die folgenden Amtsniederlegungen im Weißen Haus, können kaum darüber hinwegtäuschen, mit welch nie gesehener Nibelungentreue die Partei an ihm festgehalten hat. Als Rammschild ihrer konservativen Agenda war Trump verzweifeltes Mittel zum Zweck. Er sollte, aus Furcht vor dem laut Umfragen deutlich liberaleren Zeitgeist der USA, konservative Politik tief im Washingtoner Fundament verankern. Der stillschweigende Deal: Die Partei lässt seinen niederen Instinkten unkommentiert freien Lauf, wenn er die konservative Agenda aus Steuersenkungen, weniger Staat, mehr konservativen Richtern, verfolgt. Dies hat er ihnen geliefert, und dafür lobpreisen die Republikaner, so empört sie sich über die Vorgänge vor dem Kapitol auch geben, noch immer.
Der Kampf innerhalb der Partei um den richtigen Kurs wird erst jetzt, da Trump seine Anhängerschaft etabliert hat, da Anhänger der QAnon-Verschwörungstheorien als Abgeordnete im Repräsentantenhaus sitzen, da laut Umfragen fast die Hälfte der Republikaner an eine gestohlene Wahl glauben und eine „sozialistische" demokratische Regierung fürchten, erst richtig beginnen. Die Republikaner orientieren sich neu, erfinden sich neu, wie es die Partei schon immer getan hat. Wie hoch der Preis ist, zeigte sich unter anderem am 6. Januar. Mit der Tea-Party-Bewegung rückten die Republikaner bereits nach rechts, Verschwörungstheoretiker und beinharte Trumpisten wie Floridas Gouverneur Ron DeSantis oder Senator Josh Hawley können diese Bewegung verstärken und so den Nährboden für mehr „MAGA" bereiten. All dies kann den Narzissten Trump, der eine Niederlage niemals eingestehen wird, nicht von einem erneuten Präsidentschafts-Run abhalten. Aber auf Parteiunterstützung könnte er, wie einst 2016, nach jenen Tagen wieder nicht bauen – gesetzt den Fall, ein zweites, erfolgreiches Impeachement verhindert dies nicht ohnehin. Seinem Erfolg hat dies damals nicht geschadet, als der Politstratege Roger Stone ihn an die Spitze des parteiinternen Rennens um das Amt bugsierte. Er setzte auf einer bereits vorhandenen Grundstimmung im Land auf, die die Demokraten zu Zeiten Obamas sträflich vernachlässigte: ökonomische Ungleichheit, Digitalisierung, demografische Veränderungen ließen viele weniger gebildete Weiße politisch zurück.
Die Soziologin Arlie Hochschild hat in ihrem Buch „Fremd im eigenen Land" diese Veränderungen eingefangen. Fünf Jahre lebte sie an der Seite jener Abgehängten und Trump-Fans, die ihrem Idol auch über dessen Präsidentschaft hinaus folgen wollen. Das Versprechen von Amerika, jeder könne es schaffen, war für dieses Wählerklientel lange Zeit real existent. Bis der erste afroamerikanische Präsident im Weißen Haus saß – und sie damit gefühlt noch schlechter gestellt waren als ohnehin schon. Denn nun zeugten plötzlich erfolgreiche Schwarze, Latinos und Frauen vom amerikanischen Traum eines besseren Morgen. Am Mittleren Westen, dem einfachen Arbeiter schien der Traum spurlos vorbeigezogen zu sein. Kritik an jenem Erfolg galt gar als Rassismus. Die Angst vor Bedeutungsverlust scheint enorm. Trump wie auch Stone spürten dies, beuteten es für ihre Zwecke aus und sahen in ihnen, den einst klassischen Demokraten-Wählern, das neue Klientel der republikanischen Partei.
Es gibt keine Niederlage
Und Trump selbst? Auf ihn wartet sein Wohnsitz Mar-a-Lago in Florida, wohin er sich mit seiner gesamten Familie zurückziehen will. Selbst in New York, seiner Heimatstadt, ist der Name Trump nun endgültig in Ungnade gefallen, berichtet das Gesellschaftsmagazin „Vanity Fair". Die Trumps verlegen deswegen ihren Wohnsitz in den Süden. Auf ihn wie auch auf seine Familie warten aber auch jede Menge Prozesse, unter anderem wegen mutmaßlicher Steuerhinterziehung. Und dann sind da außerdem horrende Schulden. Das „Forbes"-Magazin, auf deren Internetseite die entsprechenden Dokumente einsehbar sind, hat Schulden und Verbindlichkeiten in Höhe von über einer Milliarde Dollar zusammengetragen, darunter auch 300 Millionen Dollar Schulden bei der Deutschen Bank.
Dass sich Trump jedoch sang- und klanglos aufs Altenteil zurückzieht, steht nicht zu erwarten. Vielleicht tritt er allem zum Trotz wieder an. Vielleicht entwickelt er aus der Vielzahl seiner treuen Anhänger ein neues Geschäftsmodell, das seine Schulden bezahlt. Vielleicht konzentriert er sich zunächst darauf, die Prozesse gegen ihn irgendwie zu überstehen. Die Geschichte des Menschen Donald Trump hat jedoch eines gezeigt: Trump ist das Recht, Trump ist die Macht, Trump ist die Welt. Es gibt selbst in der Niederlage keine Niederlage. Niederlage bedeutet Verlust. Verlust bedeutet Angst. Und Angst hatte Donald Trump, glaubt man seiner Nichte Mary, in seinem Leben genug.