Monatelang mussten Hotels und Restaurants in Deutschland im Corona-Jahr 2020 geschlossen bleiben – und ein Ende des Lockdowns ist nicht in Sicht. Die Branche hofft auf klare Signale aus der Politik und entwickelt in der Zwischenzeit kreative Lösungen.
Die Stimmung schwankt zwischen Ungeduld und Frust, zwischen Verständnis für die Maßnahmen der Politik und Sorge darum, wie viele durch die andauernde Pandemie wirtschaftlich auf der Strecke bleiben werden. Spricht man dieser Tage mit Hoteliers an der Nordseeküste, mit Tourismusverantwortlichen in Deutschlands Mittelgebirgen oder in Oberbayern, dann ergibt sich ein relativ einheitliches Bild. Da zeigt sich Erleichterung darüber, wie das letzte Jahr weitgehend doch „mit einem blauen Auge" überstanden wurde. So formuliert es Olaf Raffel, Tourismus-Chef in Büsum an der Nordsee, das normalerweise jährlich rund eine Million Übernachtungen für sich verbuchen kann. Im Corona-Jahr 2020 seien es – dank der ausgebuchten Sommermonate und überdurchschnittlicher Auslastungen im September und Oktober – „nur 20 Prozent weniger als im Vorjahr" gewesen, erzählt Raffel. Kein Wunder, war 2020 doch wegen der vielen Reisebeschränkungen, der Unsicherheit angesichts der sich ständig ändernden Infektionslage ein Jahr, in dem der Deutschland-Tourismus besonders boomte. Ferienwohnungen, Campingplätze und Hausboote erfreuten sich extremer Beliebtheit, egal ob im Thüringer Wald, dem Sauerland oder auf den nordfriesischen Inseln. Manch eine deutsche Region wurde auf der touristischen Landkarte „wiederentdeckt" und profitierte davon, dass Reisen nach Mallorca, in die Türkei oder nach Ägypten entweder gar nicht oder nur unter hohen Auflagen möglich waren. Das Geschäft in den Sommermonaten lief gut, bis weit in den Oktober hinein.
Insofern wurde der Lockdown light im November von vielen in Hotellerie und Gastronomie zunächst noch mit einem Achselzucken quittiert. Man habe sich nach den turbulenten Sommermonaten eine Verschnaufpause verdient, hieß es in Ausflugslokalen vom Fichtelgebirge bis zum Spreewald. Und nicht nur dort war man froh, Kraft für das Weihnachtsgeschäft sammeln zu können. Das aber sollte es in der gewohnten Weise nicht geben, denn Mitte Dezember beschlossen Bund und Länder einen harten Lockdown, Hotels und Gaststätten durften weiterhin nur Speisen zum Abholen beziehungsweise per Lieferservice anbieten.
Servicepersonal liefert Essen nach Hause
Für viele Betriebe ein Schock, hatten sie doch gehofft, rund um Weihnachten unter strenger Einhaltung der sowieso vorhandenen Hygienekonzepte Gäste bewirten zu dürfen. Doch jetzt mussten kreative Konzepte her, wie die „Gans to go". So erzählt es Markus Aspetzberger, Geschäftsführer des Landestourismusverbandes Brandenburg. Einige Gasthöfe im ländlichen Raum hätten daraus ein florierendes Geschäft entwickeln können, das Servicepersonal wurde kurzerhand zum Lieferpersonal, und auch bei den Bewohnern im jeweiligen Umfeld seien diese Angebote gut angenommen worden. Ebenso hätten auch Hofläden und Direktvermarkter zwischen Uckermark und Fläming gute Umsätze gemacht, schließlich seien viele Berliner zum Einkaufen für das Feiertagsessen in die Region gefahren. Insgesamt könne das aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass für den normalen Betrieb geschlossene Restaurants und die abgesagten Weihnachtsmärkte fast überall in der Fläche zu großen Umsatzeinbußen geführt hätten, die auch durch das Plus in Sommer und Herbst nicht ausgeglichen werden könnten.
Die Sorge um „ihre Betriebe" und wie es für diese jetzt angesichts des immer längeren Lockdowns weitergeht, treibt auch Constanze Höfinghoff um. Doch die Tourismus-Chefin der Allgäu-Gemeinde Oberstaufen hat noch ein anderes Problem. Wie viele andere Orte in Deutschlands Mittelgebirgen und im Alpenvorraum erlebte die Gemeinde zwischen Weihnachten und Neujahr einen Ansturm von Tagesbesuchern. Nicht nur, dass das vielerorts ein Park-Chaos auslöste, auch war es unmöglich, auf Rodelbergen und Winterwanderwegen den eigentlich nötigen Abstand zu halten. Höfinghoff entschloss sich daher Ende Dezember zu einem dramatischen Appell in Form einer Videobotschaft auf Youtube. Und tat das, was eigentlich genau das Gegenteil ihrer Kernaufgabe ist, sie bat nämlich darum, nicht für einen Tagesausflug nach Oberstaufen anzureisen.
Mittlerweile sind solche und ähnliche Appelle zwischen Thüringer Wald und Harz bei potenziellen Tagesausflüglern scheinbar „angekommen", was aber an der unsicheren Lage aller im Tourismus Tätigen nichts ändert. Egal, ob es sich um den Vermieter von Ferienwohnungen auf der Insel Borkum oder den Gastwirt in Mittelfranken handelt. Längst stünden zahlreiche Betriebe – gerade im Gastgewerbe – mit dem Rücken zur Wand, fasst Thomas Waap vom Regionalverband Thüringer Wald die Lage in „seiner Region" zusammen, der Wunsch nach Planungssicherheit werde bei allen Beteiligten immer größer.
Betriebe stehen mit dem Rücken zur Wand
Dem würde auch Göran Sell von der Ostfriesische Inseln GmbH zustimmen. Ende März beginnen die Osterferien in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, aus den beiden Bundesländern kommt traditionell der Löwenanteil der Inselurlauber zum Beispiel auf Borkum. Völlig unklar sei aber noch, ob Hotels, Pensionen und Restaurants rechtzeitig für das Ostergeschäft wieder geöffnet sein dürften – und wenn ja, unter welchen Auflagen.
Eine weitere Frage sei, welche Form von Tourismus man angesichts der dann sicher noch andauernden Pandemie zulassen könne. Schon jetzt ist klar, dass die meisten Tourismusregionen sich dabei eher für eine begrenzte Zahl von Übernachtungsgästen und gegen Tagesbesucher aussprechen würden.
Denn alle, die eine gebuchte Unterkunft hätten, könne man bereits im Vorfeld über die Hygienemaßnahmen vor Ort und den „Ablauf des Besuchs" informieren, sagt Constanze Höfinghoff. Die Gemeinde betreibt seit über einem Monat ein eigenes Testzentrum, alle Mitarbeiter der Kommune werden dort wöchentlich getestet. Das könne man problemlos auf die Gäste übertragen, meint Höfinghoff. Bei Anreise ginge es also erst ins Testzentrum, bei negativem Ergebnis dann ins gebuchte Hotel. Und die Tests könne man mehrmals während des Aufenthalts wiederholen, sodass man „auf der sicheren Seite sei" und gleichermaßen Hotellerie und Gastronomie wieder ein Stück weit hochfahren könne.
Denn dort, in vielen der oft familiengeführten Häuser, in kleinen Pensionen oder Gaststätten, sind die finanziellen Reserven nahezu aufgebraucht, so wie bei Familie Kolle in Büsum, die im vergangenen Jahr einen mehrstelligen Millionenbetrag in ihr neues Hotel investiert hat. Trotz Kurzarbeit der Angestellten und Verständnis der Banken wird es langsam eng. Auch weil die vom Bund zugesicherten Finanzhilfen nicht fließen, sondern tröpfeln. Mitte Januar waren vielen Betrieben gerade 50 Prozent der November-Hilfen ausgezahlt worden. Weiterhin müssen sie also in Vorleistung gehen, auch was die Vorbereitungen auf eine mögliche Wiedereröffnung zu Ostern betrifft.
„Wenn der Tourismus Ostern nicht starten kann, dann wird es auf den Inseln echt schwer", fasst Göran Sell von der Ostfriesische Inseln GmbH zusammen. Und hofft, dass Impfstrategie und Corona-Einschränkungen doch dazu beitragen, dass die Infektionszahlen sinken und Tourismus – unter welchen Auflagen auch immer – bald wieder möglich sein kann.