„Oshione"-Gründerin Aureen Aipoh entwickelte und backt glutenfreie Brote und Gebäck. Sie werden auf zwei Berliner Wochenmärkten verkauft und in einige Bezirke rund um die Kreuzberger Backstube herum ausgeliefert.
Die Expertinnen sprachen: „Die Zimtschnecken! So saftig, so anders mit dem Sauerteig!" Oder: „Das Brot ist das beste glutenfreie, das es derzeit in Berlin gibt." Das will etwas heißen, wenn die Freundinnen, die kein Gluten vertragen, so von „Oshione"-Backwerk begeistert sind. Denn wohlschmeckendes, nicht „staubiges" Brot und Gebäck sind keine Selbstverständlichkeit für diejenigen, die auf Backwaren aus Reis- oder Buchweizenmehl, auf Tapioka oder glutenfrei verarbeiteten Hafer angewiesen sind. Neben der vor einem Jahr an den Start gegangenen Bäckerei „Oshione" arbeiten in Berlin nur noch „Aera" in Charlottenburg sowie „Die jute Bäckerei" im Prenzlauer Berg handwerklich. Das „Café Voh" in Steglitz ist eher auf Kuchen spezialisiert. So bleibt bei Brot und Brötchen häufig nur die Bestellung bei Bäckereien wie etwa bei „Die Maisterei" in Hessen, wenn es kein industrielles Tütenbrot sein soll.
Aureen Aipoh, Gründerin und Inhaberin von „Oshione", weiß, was es bedeutet, kein Kleber-Eiweiß vom Weizen und seinen nah verwandten Geschwistern wie Dinkel, Roggen oder Gerste zu vertragen. Sie ist selbst betroffen. Die Diagnose stellte ihr Leben vor sechs Jahren auf den Kopf. „Gutes Essen hat in meiner Familie immer eine große Rolle gespielt", sagt die 30-Jährige, die zuvor international als Software Consultant arbeitete. „Durch die Glutenintoleranz bin ich in die Küche zurückgekehrt." Sie kochte und buk wieder viel selbst. Annehmlichkeiten wie Draußenessen in Restaurants, Imbissen und Cafés fielen weitgehend weg.
Aipoh mochte dennoch nicht auf wohlschmeckendes und „funktionierendes" Gebäck, auf Pizza und Pasta verzichten. Sie mietete ein Studio in Kreuzberg an, in dem sie in glutenfreier Umgebung mit neuen Produkten und Zubereitungsweisen herumprobierte. Am Anfang stand einer ihrer Lieblinge: „Ich wollte Bananabread für alle machen", sagt Aipoh. „Mit Sauerteig und Brot habe ich erst einmal nur für mich selbst experimentiert. Ich wollte etwas mit Teig, mit Superfood, Hirse, Buchweizen und anderen Getreiden machen."
Aipoh überlegte, sah die Marktlücke, plante und gründete. Im Februar 2020 stand sie das erste Mal mit ihrem Bananabread auf dem Kollwitzplatz-Markt. Kräuterbrötchen aus dem Mehl von Buchweizen, glutenfreiem Hafer und Tapioka waren ebenfalls im Angebot. Produziert wurde in kleinstem Umfang: „Zuerst konnten wir in der kleinen Küchenmaschine nur den Teig für acht Brötchen alle 40 Minuten zubereiten." Inzwischen sind längst eine professionelle Knetmaschine und Backöfen angeschafft. Die Nachfrage war aus dem Stand heraus groß. Vor allem nach Brot. Doch Aipoh wollte keine halben Sachen machen: „Brot ist eine ganz andere Liga als Bananabread." Bananenbrot ist von der Zubereitungsart her eigentlich ein Kuchen.
Aipoh experimentierte weiter. „Alle Freunde mussten ständig Brot probieren." Schließlich startete sie mit belegten Sandwiches auf den Märkten. „Ich wurde aber sofort gefragt: ‚Wo ist das Brot vom Sandwich?‘" Ihr Rosmarin-Teff-Baguette war offenkundig marktreif. Aipoh und ihre drei Mitarbeiter bereiten es mit einem Sauerteig aus Reismehl zu. So wird es schön saftig. In den Teig kommen außerdem Hirse-, Buchweizen-, Tapioka- und Teffmehl, Flohsamen und Meersalz hinein, ein paar Rosmarinnadeln obenauf.
Bio, vegan und frei von Industriezucker
Tapioka, die Stärke der Maniokwurzel, und Teff, Samen der afrikanischen Zwerghirse, erweitern beispielsweise das Spektrum beim glutenfreien Backen. Durch die geschickte Kombination anderer Zutaten ist es möglich, verschiedene Geschmäcker und Texturen zu erzeugen, ohne das fehlende Weizen-Klebereiweiß tierisch durch die Zugabe von Eiern zu ersetzen. Der Teig für das Rosmarin-Baguette geht 17 Stunden. Das macht ihn, wie jedes Brot aus langer Teigführung, für den Magen-Darm-Trakt bekömmlich. Online sind die Zutaten für die einzelnen Brote detailliert nachlesbar. Die Entscheidung, ob ein Brot passen könnte, fällt damit leichter. Denn nicht jeder Betroffene mit Glutenunverträglichkeit oder Zöliakie verträgt jede Alternative. Beispiel: Hafer. Im Prinzip ist er glutenfrei. Doch häufig kommt er in Anbau, Verarbeitung und Lieferung mit glutenhaltigen Getreiden in Kontakt. Ein No-Go insbesondere für an Zöliakie Erkrankte. Jede Spur von Gluten kann bei ihnen schwere Darm-Entzündungen auslösen. Eine Backstube oder Küche muss für sie strikt glutenfrei gehalten werden. Wo Menschen mit Unverträglichkeit manchmal „Spuren von" tolerieren können, ist bei ihnen Schluss. Das ist ein Grund, weshalb „normale" Bäckereien nicht beide Sorten Brot und Gebäck parallel anbieten. Aufwand und Risiko sind zu hoch; die Absatzmenge bei höherem Preis vergleichsweise klein.
„Oshione" verwendet ausschließlich zertifizierten Hafer von „Bauckhof", die auf eine komplett glutenfreie Anbau- und Herstellungskette spezialisiert sind. Sämtliche Produkte bei „Oshione" sind „double standard", wie Aipoh sagt: bio, vegan, frei von Laktose und Industriezucker. Ohne Konservierungsstoffe sowieso. Wer andere Allergien, Unverträglichkeiten oder Geschmackspräferenzen hat, ist damit häufig gut bedient. „Eine Frau hat mir erzählt, dass sie gar keinen Hafer verträgt", sagt Aipoh. Sie ließ sich inspirieren und entwickelte die „Sanfte Hirse", ihr erstes Brot ohne Hafer. Es besteht aus Braunhirse, Buchweizen- und Tapiokamehl, Flohsamen und Salz. Im Geschmack kommt es einem guten deutschen Graubrot am nächsten – fein in der Struktur, weich und saftig innen, mit fester und konstrastreicher Krume. Die Kundin war happy. Aipoh ebenfalls: „Es ist gut, Teil einer Community zu sein und nicht nur eine Beziehung von Unternehmerin zu Kundin zu haben. Du verbindest dich, und das tut gut." Die ersten Anfragen nach Broten mit Backpulver von einer Kundin, die keine Hefe und Sauerteig verträgt, trudelten ein. Sogar eine glutenfreie Schwarzwälder Kirschtorte wurde bereits gewünscht.
Ein 500-Gramm-Laib kostet bei „Oshione" um die sechs bis sieben Euro. Das klingt für „Normalesser" nach viel, ist aber Standard im Glutenfrei-Handwerkssegment. Hochwertige Zutaten und eine lange Teigführung mit viel Handarbeit kosten. Das kleine Unternehmen ist noch in der Start-Phase. Aipoh beschäftigt drei Mitarbeiter, derzeit noch nicht auf Vollzeit-Basis. Das soll sich ändern. „Meine Mitarbeiter können so viel und engagieren sich sehr. Ich möchte, dass sie sich von ihrer Arbeit komplett finanzieren können."
Für jeden Markt- und Auslieferungstag wird frisch gebacken. Das ist aufwendig. „An Tag eins setzen wir morgens den Teig an. Abends mischen wir alle Zutaten." An Tag zwei wird gebacken. Am Morgen danach geht’s auf die Märkte oder werden die Bestellungen an die Kunden geliefert. Für einen allein ist das nicht zu schaffen. Aipoh hält derzeit intensiv Ausschau nach größeren Räumen, die ebenfalls die Möglichkeit zum Laden-Verkauf bieten: „Wir wollen wachsen."
Immer wieder neue innovative Ideen
Die Kunden lieben vor allem das „Nordic Seed". Es ist ein feines, dunkles Brot aus ausgemahlenem Mehl von Buchweizen, Hafer und Tapioka. Zuckerrübensirup sorgt für den vollmundigen Malzgeschmack. Die kleinen Buchweizen-Pyramiden innen und obenauf lassen es nicht nur kontrastreich aussehen. Sie geben, im Verbund mit Sonnenblumenkernen, dem Brot Biss und Struktur. Die Kerne werden vor dem Backen zehn Stunden lang eingeweicht. So speichern sie viel Feuchtigkeit und werden besser verdaulich.
Das „Nordic Seed" ist dicht, aber ebenfalls schön fluffig. Flohsamenschalen spielen dabei eine weitere entscheidende Rolle: Sehr fein gemahlen, speichern sie sehr gut Flüssigkeit und sorgen später für eine anhaltend saftige Konsistenz. Da staubt nichts nach zwei oder drei Tagen im Schrank. Das „Nordic Seed"-Pendant ist das neue, helle „Kamelle"-Brot, das Aipoh nach ihrem Vater benannte. Es kommt ohne Hafer und Zuckerrübensirup aus, wird stattdessen mit Hirsemehl gebacken. Als Freundin feiner vollmundiger Brote mit ein paar Körnern und Sprossen schaffen es diese beiden Geschwister sofort auf meine „Yummy"-Liste. Um es deutlich zu sagen: Die „Oshione"-Brote sind so lecker, dass auch ich als Gluten vertragender Mensch sie unbedingt essen möchte.
„Oshione"-Backwaren schmecken nie nach Sonderweg und Verzicht – ein Verdienst, der gar nicht hoch genug zu schätzen ist. Das Denken vom sehr guten Produkt und Geschmack her, gepaart mit solidem Blick auf Wirtschaftlichkeit und Weiterentwicklung des Unternehmens ist Aipohs Stärke: „Ich versuche, innovativ zu sein und Neues wie Baguettes oder Zimtschnecken zu entwickeln." Die gab es zuvor so nicht. Vieles ist auf den Märkten regelmäßig rasch ausverkauft; die Fangemeinde wächst.
Überdies lohnt immer ein Blick in den Online-Shop: Pizzaschnecken sind dort ebenso zu finden wie zuckerfreie Bitterschoko-Muffins. Das Sortiment wächst Stück um Stück. Gewiss wird noch viel Neues folgen, und nicht nur die Glutenfrei-Community wird es „Oshione" danken.