Nach den medialen und wirtschaftlichen Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre steigt der Druck auf die Internetplattformen Twitter, Facebook & Co. Ihre Macht soll nun gezügelt werden.
Seine wohl wichtigste politische Waffe hat Donald Trump bereits kurz vor dem Ende seiner Amtszeit entzogen bekommen: Der Kurznachrichtendienst Twitter sperrte Trumps Account mit seinen zuletzt fast 89 Millionen Followern – wobei allerdings viele fingierte Accounts abzuziehen wären. Trump war nach seinen jüngsten Tweets, die man durchaus als Anstiftung zum Aufruhr verstehen konnte, für Twitter wie für viele andere Unternehmen untragbar geworden. Diese Entscheidung zur Sperrung zeugte denn auch weniger von Zivilcourage, als eher von einer reichlichen Portion politischen Opportunismus.
Arrangement mit den Mächtigen
Auch und gerade Medien-Giganten wie Twitter müssen sich arrangieren mit den politisch Mächtigen. Trump ist abgewählt, und sein Team kann einen baldigen Tag der Abrechnung erwarten. Die Revanche der Demokraten angesichts der vielen Unverschämtheiten, mutmaßlichen Gesetzesbrüchen und anderen Untaten des Präsidenten Trump wird folgen. Da ist es dann gut, möglichst rechtzeitig abgesprungen zu sein. Lange hat man noch von Trumps provozierenden Tweets profitiert, nun legt man Wert auf Distanz. Wie rechtzeitig Twitters Entscheidung vom 7. Januar war, darüber lässt sich trefflich streiten. Von den 34.000 Nachrichten, die „The Real Donald" in den vier Jahren seiner Amtszeit abgegeben hatte, waren viele beleidigend und drohend, und viele enthielten Unwahrheiten, wobei die meisten dieser sogenannten Lügen in Wahrheit eher in die Kategorie „absurde Übertreibung" fallen.
Die Entscheidung von Twitter wurde breit begrüßt, etwa vom bekannten Tübinger Medienprofessor Bernhard Pörksen: „Diese Entscheidung war gleichzeitig richtig, lange überfällig und hoch problematisch", sagte er im Deutschlandfunk. „Es gibt ja auch kein Grundrecht darauf, nun Abscheulichkeiten in die Welt zu pusten, und Twitter hat hier die eigenen Richtlinien umgesetzt." Aber die Entscheidung sei eben auch „hoch problematisch für die Gegenwart und die Zukunft, denn die Frage ist ja, wer entscheidet mit welchem Recht?"
Das sieht auch die deutsche Kanzlerin so: Angela Merkel halte einen solchen Eingriff in die Meinungsfreiheit für „problematisch", wenn er nicht innerhalb eines gesetzlichen Rahmens erfolge, sagte ihr Sprecher. Merkel geht es demnach weniger um den virtuellen Entzug der Stimme als solchem, als vielmehr darum, von wem dieser vollzogen wird: Es war eben ein Unternehmen, keine Regierung und schon gar kein Gesetzgeber.
Denn dass die großen Nachrichtenplattformen Facebook, Twitter, Youtube in die Redefreiheit eingreifen, ist längst tausendfache Praxis. Aufrufe zur Gewalt, Beleidigungen, Fehlinformationen, insbesondere über Corona, werden seit Längerem systematisch gelöscht oder zumindest als solche markiert, bis hin zur Sperrung von entsprechenden Accounts. Dass Youtube und Facebook die Kompetenz haben, wahre von falschen Informationen über das Coronavirus zu unterscheiden, wird inzwischen allgemein als selbstverständlich unterstellt.
Die Entscheidung von Twitter, Trump dauerhaft zu sperren, dürfte am Ende wohl ein einziger Mann getroffen haben: Twitter-Chef Jack Dorsey. Dieser schrieb danach – auf Twitter, er sei „nicht stolz" auf die Sperre. Die Sperrung eines Twitter-Kontos habe „reale und erhebliche Konsequenzen". Er empfinde ein Twitter-Verbot auch als „Scheitern" des Unternehmens, für eine „gesunde Gesprächsatmosphäre" auf der Plattform zu sorgen.
Von einer solchen gesunden Gesprächsatmosphäre ist auf Twitter nach Meinung von so manchen Beobachtern schon einige Zeit nicht mehr so viel zu sehen. Die Frage, wie man dieses „Gespräch" wieder in zivilisiertere Bahnen lenken kann, wird daher schon länger diskutiert. In Deutschland regelt etwa das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, auch „Facebook-Gesetz" genannt, seit dem Jahr 2017, dass Plattformen wie eben Facebook strafbare Inhalte, die zur Kategorie verbale Hasskriminalität gehören, löschen müssen. Das Gesetz galt international als wegweisend. Der deutsche Gesetzgeber überlässt hier die Entscheidungen der Löschung von Einträgen eindeutig den Unternehmen, was oft kritisiert wurde. Angela Merkel müsste das eigentlich wissen.
Bei der Regulierung digitaler Konzerne, die mit Waren und nicht mit Nachrichten handeln, will Deutschland ganz offensichtlich an alte Traditionen anknüpfen. Die „Ordoliberalen" genannten Denker aus den frühen Zeiten der Bundesrepublik forderten, die großen Kartelle und Monopole müssten kon-trolliert, notfalls zerschlagen werden, um den allgemeinen Wettbewerb zu sichern. Alleine gelassen machen die Großen die Kleinen platt, das war schon damals die Erkenntnis.
Eine „soziale, digitale Marktwirtschaft"
Heute, in der zunehmend digitalen Welt, richtet sich die Aufmerksamkeit sowohl auf die Regulierung der Inhalte, als auch auf die Regulierung von Warenmärkten, die sich auf den neuen digitalen Plattformen abspielen. So hat der Bundestag gerade eine Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen beschlossen. Die Koalition ist stolz darauf: „Als erstes Parlament der Welt" habe man das Wettbewerbsrecht an die Herausforderungen der digitalen Welt angepasst. „Der Machtfülle digitaler Tech-Giganten setzen wir deutliche Grenzen. Nicht sie, sondern der Gesetzgeber gibt die Regeln für Verbraucherschutz und einen fairen Wettbewerb im Netz vor. Damit schaffen wir eine soziale digitale Marktwirtschaft", sagt der stellvertretende Ausschussvorsitzende Digitale Agenda, Hansjörg Durz (CSU).
Dem Gesetzgeber ist ein Dorn im Auge, dass Plattformen wie Amazon ihre Marktmacht als „Marktplatz" kommerziell ausbeuten. Die Popularität ihrer Webseite nutzen viele kleine Anbieter, die allerdings dann gegenüber eigenen Produkten mit den Konditionen benachteiligt werden. Plattformen wie Amazon oder Microsoft sind daher der „Flaschenhals für die Kommunikation zwischen Menschen und den Austausch von Gütern", sagt Durz. Sie seien daher „systemrelevant" – und geraten damit automatisch in den Blick der Regulierung des Staates. In vielen Fällen sei das Verhalten der Plattformen „nicht vereinbar mit einem fairen Wettbewerb."
Die deutsche Regierung ist allerdings nicht allein mit dem Versuch, die digitalen Giganten an die Kandare zu nehmen. In die gleiche Kerbe schlägt seit einigen Wochen auch die EU-Kommission. Ende Dezember hat sie einen entsprechenden europäischen Gesetzesvorschlag präsentiert. Die bislang gültige E-Commerce-Richtlinie, die Online-Plattformen und digitale Dienste reguliert, ist inzwischen 20 Jahre alt. Ein neuer „Digital Markets Act" soll den Wettbewerb zwischen den US-Konzernen und kleineren Digitalunternehmen fairer gestalten. Und ein „Digital Services Act" soll Facebook, Google und Twitter in die Verantwortung für die Inhalte auf ihren Plattformen zwingen, etwa bei Werbung, Hetze und Falschmeldungen. Auch die EU-Kommission glaubt offensichtlich, was Falschmeldungen sind, ließe sich eindeutig abgrenzen. Spezielle Regeln sollen für Plattformen mit mehr als 45 Millionen Nutzer gelten.
Was die neue US-Administration unternimmt, wird sich bald zeigen. Man kann vermuten, dass Jack Dorsey und Facebook-Chef Mark Zuckerberg mit der neuen demokratischen Administration von Joe Biden schon bald Kontakt aufnehmen werden. Vermutlich haben sie es längst.