Die einen dürfen nicht arbeiten, verdienen kein Geld, andere müssen ins Homeoffice. Die saarländische Wirtschaft steht jedoch nicht erst seit der Pandemie unter Druck. Frank Thomé übernimmt das Amt als Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer in einer schwierigen Lage.
Herr Thomé, die Kritik an den Überbrückungsgeldern der Regierung ist groß. Wie ist die Reaktion der saarländischen Wirtschaft?
Mitgliedsunternehmen kritisieren den in Teilen unverhältnismäßig hohen bürokratischen Aufwand – Verfahren sind komplex und kompliziert. Zudem haben sie inzwischen kein Verständnis mehr für die schleppenden Auszahlungen. Aber es gibt nun Verbesserungen für die Überbrückungshilfe III: Punkt eins ist, dass die Unternehmen bei den Fixkosten nun die handelsrechtlichen Abschreibungen für nicht verkäufliche Saisonware ansetzen dürfen. Viele Einzelhändler hatten im Sommer überhaupt keine Chancen, ihre Warenlager abzubauen, um noch Liquidität aufrechterhalten zu können. Zweitens: die vereinfachten Zugangsvoraussetzungen und die Erhöhung der monatlichen Förderhöchstbeträge. Nun gibt es nur noch ein Kriterium für die Förderung, und zwar wird jeder Monat gefördert, für den ein Umsatzeinbruch von mindestens 30 Prozent belegt wird. Zuvor mussten Umsatzeinbrüche über mehrere Monate nachgewiesen werden. Und außerdem, dass das Unternehmen direkt oder indirekt von einer Schließung betroffen war. Die maximale Fördersumme pro Monat wurde auf 1,5 Millionen Euro aufgestockt, sofern dies nach EU-Beihilferecht zulässig ist. Das begrüßen wir sehr. Drittens: Die Abschlagszahlungen wurden von 50.000 Euro auf bis zu 100.000 Euro aufgestockt. Das ist richtig und längst überfällig, weil genau dieses Geld die Zahlungsfähigkeit von Unternehmen im Lockdown aufrechterhält. Im Beschluss steht allerdings auch: Die Auszahlung erfolgt im Februar. Ich plädiere dafür, Anfang Februar zu zahlen. Denn hier zählt jeder Tag. Vierter und letzter Punkt: die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis Ende April 2021. Auch da hat die Regierung Augenmaß bewiesen. Denn ein Unternehmen, das grundsätzlich ein tragfähiges Geschäftsmodell hat, das allein aufgrund eines staatlichen Eingriffs schließen muss und das nun auch noch auf Auszahlungen wartet – ein solches Unternehmen sollte nun nicht noch gleichzeitig mit den engen Grenzen des Insolvenzrechts konfrontiert werden.
Reicht die Aussetzung bis April oder sollte sie, je nach Verlauf der Pandemie, weiter verlängert werden?
Die aktuelle Verlängerung halte ich für die Ultima Ratio. Danach sollten wir zusehen, dass das Vertrauen in den Wirtschaftsverkehr wiederhergestellt wird. Schließlich geht die Aussetzung auch zulasten von Gläubigern. Statt einer noch weiteren Verlängerung sollte lieber mehr Tempo bei den Auszahlungen gemacht werden.
Wie viele Insolvenzen sehen Sie nach April auf die Saar-Wirtschaft zukommen?
Eine genaue Zahl lässt sich nicht seriös prognostizieren. Wir nehmen aber an, dass nach Inkrafttreten der Insolvenzantragspflicht Anfang Mai die Zahl der Insolvenzen sprunghaft ansteigen wird.
Keine guten Aussichten auch für den saarländischen Arbeitsmarkt. Woran liegt das, auch abgesehen vom Virus?
Wir haben an der Saar für das Jahr 2020 einen Anstieg der Arbeitslosigkeit von 6,2 auf 7,2 Prozent zu verzeichnen, zugleich zeichnet sich ein Verlust von bis zu 4.500 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen ab. Unabhängig von der Corona-Entwicklung laufen in vielen Betrieben der Saar-Industrie bereits bestehende Kostensenkungsprogramme weiter. Zudem stoßen Branchen, die in den letzten Jahren kräftig gewachsen sind und Beschäftigung aufgebaut haben, wie etwa der Bereich Information und Kommunikation, das Gesundheitswesen, Heime und Sozialwesen sowie sonstige Dienstleistungen an Grenzen, weil die benötigten Fachkräfte schlicht nicht zur Verfügung stehen. Für das Jahr 2021 ist deshalb über alle Branchen gerechnet und wegen der noch nicht ausgestandenen Pandemie mit einem weiteren Arbeitsplatzabbau zu rechnen, der erneut bis zu 4.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse betragen könnte.
Wo liegen denn dann die Hoffnungen für 2021?
Ein Aspekt könnte der private Konsum sein. Allerdings hängt dies von der weiteren Entwicklung der Corona-Pandemie ab. Jüngste Veröffentlichungen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) signalisieren eine wieder steigende Verunsicherung der Verbraucher sowie eine stärkere Sparneigung. Neben den üblichen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wie etwa dem Kurzarbeitergeld oder Umschulungs- und Qualifizierungsprogrammen, kann deshalb nur eine nachhaltige Revitalisierung der Saar-Industrie auch nachhaltige Impulse für den Saar-Arbeitsmarkt 2021 und die Folgejahre bieten. Entscheidend dürfte daher sein, wie sich neben der außenwirtschaftlichen Dynamik die Kostensituation der Betriebe entwickelt. Weiter steigende oder gar neue Belastungen durch Steuern und Abgaben gilt es mit Blick auf Arbeitsmarkt und Aufholprozess zu vermeiden.
Fachkräfte haben Sie angesprochen, 2020 sanken die Zahlen der Azubis im Saarland. Was erwarten Sie in diesem Jahr?
Viele Ausbildungsbetriebe sind durch die Pandemie stark betroffen. Sie hatten massive Einbrüche, mussten Kurzarbeit beantragen und hatten wegen des langen Lockdowns Rücklagen und Eigenkapital zum großen Teil aufgebraucht. In so einer Situation sind Personalanpassungen notwendig und dementsprechend wird die Ausbildungsaktivität reduziert oder ganz eingestellt. Im IHK-Bereich sank die Zahl der neu eingetragenen Ausbildungsverträge um 670 (15,4 Prozent) auf 3.520. Ähnlich wird es zunächst 2021 weitergehen, noch ist keine Trendumkehr absehbar. Doch auch wenn insgesamt die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen um 800 (etwa zehn Prozent) zurückgegangen ist, kommen rechnerisch im Saarland auf 100 Bewerber noch immer 134 Stellenangebote. Ein weiteres Problem: Die Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen hatten seit einem Jahr keine Berufsorientierung mehr. Heißt, sie kennen Alternativen zu weiterführenden Schulen kaum – insbesondere auch kaum die attraktiven Karriereperspektiven einer dualen Ausbildung. Deshalb wählen sie häufig den vermeintlich sichereren Weg einer weiterführenden Schule, anstatt sich für eine betriebliche Ausbildung zu bewerben. Das ist auch sichtbar an der Zahl der Ausbildungsplatzsuchenden, die im vergangenen Jahr um 200 gesunken ist. In dieser schwierigen Zeit unterstützen wir die Betriebe bei ihrer Nachwuchsgewinnung: So gehen wir unter anderem aktiv auf die Schulen zu, bieten digitale Berufsorientierungstage, coachen Jugendliche mit Migrationshintergrund und versuchen, Jugendliche und Betriebe zusammenzubringen.
Mehr Homeoffice ist eine wichtige Maßnahme zur Reduzierung der Kontakte am Arbeitsplatz und damit zur Bekämpfung der Pandemie. Wie weit ist die saarländische Wirtschaft? Brauchen wir verbindlichere Vorgaben durch den Staat?
Die saarländischen Unternehmen leisten hier schon sehr viel. Wir wissen, dass Homeoffice-Möglichkeiten flächendeckend angeboten werden. Es mag Ausnahmen geben, es gibt sicherlich auch noch Luft nach oben. Aber: Die Unternehmen im Saarland haben sich sehr intensiv damit auseinandergesetzt, wie sie möglichst sichere Arbeitsplätze anbieten und ihre Kunden schützen können. Der Gesundheitsschutz steht an erster Stelle. Und das nicht erst seit den Corona-Beschlüssen oder seit den ersten politischen Appellen, sondern bereits seit mittlerweile über zehn Monaten. In dieser Zeit wurden von den Unternehmen auch signifikante Investitionen getätigt, zum Beispiel in die Umsetzung strenger Hygienepläne, in zahlreiche Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz und auch in die technische Ausstattung. Aber Homeoffice hat natürlich auch Grenzen. Insofern ist an der vorliegenden Verordnung vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu würdigen, dass anerkannt wird, dass es zwingende Gründe gibt, die Homeoffice eben nicht möglich machen. Für mich ist im Endeffekt klar: Die unternehmerische Freiheit muss im Kern erhalten bleiben. Denn die Unternehmen können das in dieser Differenziertheit am besten beurteilen. Vergessen dürfen wir bei dieser Diskussion aber nicht, dass viele Betriebe derzeit gar nicht arbeiten dürfen. Daraus ergibt sich für mich als Zeichen der Solidarität, dass diejenigen, die arbeiten dürfen, auch eine besondere Verpflichtung haben, nun das Maximum an betrieblicher Kontaktvermeidung und Kontaktreduktion herauszuholen.