Sie gilt als die „Mutter aller Garden" schlechthin: die Mainzer Ranzengarde. Wie es sich für eine Mutter gehört, trotzt sie den Widrigkeiten der pandemiegeplagten Welt, so gut es geht. Allen voran Generalfeldmarschall Thomas Thelen.
Wo er in voller Uniform auftaucht, sorgt das für Aufsehen. „Gehen Sie mal davon aus: Wenn der Generalfeldmarschall von der Ranzengarde mit Adjutant und Anhang durch die Mainzer Straßen zieht, erregt das Aufmerksamkeit", sagt Thomas Thelen. „Aber die ist im Moment ja gerade nicht angesagt.", ergänzt der Generalfeldmarschall, der auch in diesem Jahr gern vorausmarschiert wäre. Die Pandemie auch hat hier einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. „Mir persönlich tut das sehr weh. Es fehlt einem ein Stück Leben und der Spaß an der Freud, also das, was die fünfte Jahreszeit ausmacht. Unser Kirschgartenfest auf einem der schönsten Mainzer Plätze, wo sich die Musikgruppen der Garden der Öffentlichkeit präsentieren, ist auch ausgefallen. Da blutet mir schon das Herz. Aber ich kann mich ja nicht gegen die Realität wehren". Obwohl die Tradition der Ranzengarde schon einen ziemlich rebellischen Zug an sich hat.
„Dazu muss man die Entstehung kennen", erläutert Thelen. „Sie kennen die ‚langen Kerls’ vom preußischen Soldatenkönig? Die waren sechs Fuß mindestens lang, große, schlanke Kerle. Bei uns hieß es dann: Die sechs Fuß gehen nicht in die Höhe, sondern in die Breite, also Aufnahmekriterien sechs Fuß Leibesumfang, mindestens zwei Zentner Lebendgewicht. Aber ganz ehrlich: Unter diesen Voraussetzungen gäbe es die Mainzer Ranzengarde nicht mehr. Deshalb wurde das schnell geändert. Das war damals eine Verhohnepiepelung des preußischen Militärs, und das ist auch das Motto der Mainzer Fastnacht geblieben: sich nicht der Obrigkeit zu ergeben. Geblieben ist die politisch-literarische Fastnacht, die uns ausmacht". Und was Thelen besonders am Herzen liegt: „Das Schöne an der Mainzer Ranzengarde ist für mich nach wie vor, wir sind eine Volksgarde, bilden den Durchschnitt der Bevölkerung ab, nichts Überkandideltes. Das Gardeleben hat familiären Charakter, gibt Heimat und Zugehörigkeitsgefühl".
„Planungen sind parallel gelaufen"
Der Ranzengarde ging es ähnlich wie wohl allen nach den etwas entspannteren Sommermonaten. „Wir sind natürlich im Herbst mit anderen Hoffnungen gestartet. Die Planungen sind dann aber parallel gelaufen. Zum einen haben wir gesagt: Wir tun mal so, als würde alles normal laufen und haben unsere Veranstaltungen durchgeplant. Zum anderen hatten wir einen Plan B. Dabei war es eine glückliche Fügung, dass wir gerade unsere sozialen Medien neu aufgebaut hatten. Damit sind wir über die verschiedene Kanäle in der Lage, mit und für unsere Mitglieder was zu machen. Wir sind also zweigleisig gefahren. Und ab Oktober hat die Entwicklung uns Recht gegeben. Jetzt mit den Verlängerungen der Beschränkungen bis Fastnacht hat sich ja alles, was mit Präsenz zu tun hat – Saalfastnacht und Straßenfastnacht, erübrigt".
Also von der Straße ins Netz. Aber geht das närrische Treiben so einfach digital? „Ich habe mir das so auch nicht vorgestellt. Wir haben angefangen mit Selfie-Videos. Dann haben wir beginnend am 11.11. verschiedene Videos gedreht. Für die Ranzengarde beginnt die Saalfastnacht am 2. Januar mit einer Veranstaltung im Kurfürstlichen Schloss. In diesem Jahr war dazu noch geplant, den 80. Geburtstag meines Vorgängers, Ehrengeneralfeldmarschall Johannes Gerster, zu feiern. Dafür haben wir kleinere Sachen produziert, die aber erst mal nicht für die breite Öffentlichkeit gedacht waren, sondern für unsere Mitglieder und Freunde".
Die weiteren Schritte ins Netz waren damit vorgezeichnet. Auch für die Mainzer Fastnachtsgenossenschaft, der Fastnachts-Dachmarke in Mainz: Sie veranstaltet am Rosenmontag ein Online-Streaming. Dort ist Thelen im Aufsichtsrat. Einzelne Sequenzen sind schon produziert. An den Februarwochenenden werden dann auch verschiedene Streaming-Angebote auftauchen. Produktionen, die Geld kosten. Gleichzeitig fehlen aber Einnahmen aus den sonst üblichen Veranstaltungen im Jahresverlauf, die Corona zum Opfer gefallen waren. Wie also finanzieren? „Da muss ich zwei Antworten geben. Was wir intern gemacht haben, ging eigentlich aus Bordmitteln. Was die Streaming-Angebote betrifft, haben sich Genossenschaft, Garden und Vereine Unterstützung von außen dazu geholt und eingekauft. Wir haben eine Vereinbarung getroffen mit der Mainzplus City Marketing, die betreiben in Mainz Rheingoldhalle, Bürgerhäuser, Schloss, also die großen Säle. Sie haben ein Studio eingerichtet, welches sie für kleines Geld zur Verfügung stellen. Die technischen Dienstleistungen sind kostenpflichtig. Ich empfinde das als gutes Zusammenspiel zwischen den hier angesiedelten Firmen, der Stadt und den stadtnahen Unternehmen. Kompliment!".
„Nächste Kampagne wird richtig krachen"
Der Weg ins Netz ist sicher eine Möglichkeit, in Zeiten von strengen Auflagen Kontakt zu halten. Ein vollwertiger Ersatz ist es sicher nicht. „Es fehlt uns allen ein Stück Kultur. Bezüglich der Online-Formate: Es ist etwas anderes, sich das online anzusehen, als live im Saal. Sie können damit keine Stimmung zaubern".
Ein anderes vielversprechendes Projekt ist dem verschärften Lockdown zum Opfer gefallen, berichtet der Generalfeldmarschall: „Wir hatten in Mainz noch ein Karstadt-Kaufhaus, das hat zugemacht. Der neue Investor hat ermöglicht, dass die Fastnachter eine ganze Etage bespielen. Das ist jetzt leider durch die Corona-Auflagen flach gefallen. Ein schönes Projekt, wo sich Garden und Vereine mit Farben und Uniformen hätten präsentieren können. Schade für diese tolle Idee."
Nicht nur den eingefleischten Karnevalisten fehlt etwas in diesen Tagen. „Corona hat manche Dinge gelähmt, alle Aktivitäten außerhalb der Fastnacht sind ins Wasser gefallen, das fehlt uns. Dabei hätten wir das gerade jetzt gebraucht. Man sagt nicht umsonst: Lachen ist die beste Medizin".
Unterkriegen lassen kommt für die traditionsreiche Garde nicht Frage. Thomas Thelen jedenfalls blickt zuversichtlich nach vorne: „Manchmal muss man ein wenig Kohldampf schieben, damit man anschließend richtig Appetit und Hunger hat. Und seien Sie sicher: Wir lassen es die nächste Kampagne richtig krachen! Getreu dem Motto: Und nervt uns Corona – samt Pandemie, die Fastnacht und Ranzegard verzagen nie!"