Papier ist geduldig, sagt ein alter Spruch aus der analogen Zeit. Dem Papier ist es reichlich egal, was auf ihm geschrieben, gedruckt, gemalt oder gekritzelt wird. Es würde sich aber vermutlich ziemlich wundern, wie ungeduldig, ja ungehalten Menschen reagieren können, wenn sie so ein Stück bedruckten Papiers in Händen halten. Da kann es schon mal zweitrangig sein, was draufsteht. Wenn es lieblos geknickt daherkommt, macht es sich als Dokument für den weiteren Lebensweg nun mal nicht besonders vorzeigbar.
Beim Brief des Regierungschefs an die Bürgerinnen und Bürger hat sich dagegen meines Wissens niemand über die gleich doppelte briefliche Geknicktheit echauffiert. Die bloße Existenz war manchem Anlass zum Ärger, womit nicht das arglose Papier als solches gemeint war.
Dass die Stimmung nervöser wird, die Geduld ziemlich aufgezehrt ist, ist keine besonders überraschend neue Feststellung.
Das wissen auch die, die nicht müde werden, Geduld einzufordern. Und damit ausgerechnet etwas, was wir uns gründlich abgewöhnt haben. Schließlich soll alles sofort und perfekt funktionieren.
Wenn schon Geduld nicht unsere besondere Stärke ist, macht es wenig Sinn, sie zusätzlich auf die Probe zu stellen. Zum Beispiel mit der routinehaften Beteuerung, der Kampf gelte alleine der Pandemie. Als spielten die nahenden Wahlen überhaupt keine Rolle und als wisse der einigermaßen interessierte Bürger auch nichts von irgendwelchen Wahlterminen.
Zugegeben, es ist eine Herausforderung der besonderen Art voller Widersprüche, von der die Pandemie allein schon ausreichend viel zu bieten hat. Sinkende Infektionszahlen, gleichzeitig neue Mutationsbedrohungen und eine Impfkampagne, die nicht recht laufen will. Eine unklare wirtschaftliche Entwicklung, die auf neues Wachstum wartet, wobei sich ein „Weiter so" wie zuvor wegen der Klimakrise im Grunde verbietet. Und dann noch Wahlkampf? Warum nicht? Wann soll sich mehr lohnen, für Ideen, Ansätze und Konzepte zu werben? Was am Geduldsfaden zerrt, ist das Wahlkampfgeplänkel mit Attacke-Ritualen. Die haben schon vor der Pandemie immer weniger Fans gefunden. Jetzt sind sie deplatziert.