Was in Deutschland noch umstritten ist, ist in den Niederlanden seit 2016 Realität: das Recht auf Homeoffice, oder wie der Holländer sagt, „thuiswerken". Hierzulande hat die Pandemie die Debatte darüber entfacht. Das Beispiel Holland aber ist kein wirklicher Meilenstein, sagt Innovationsexperte Dr. Roland Stürz.
Muss ich, darf ich, will ich von zu Hause arbeiten? Die Antworten darauf gehen derzeit auseinander. Klar ist, rechtlich gesehen gibt es im Augenblick keinerlei Grundlage, auf die sich Arbeitnehmer berufen können. Aber ist ein Gesetz relevant? In Deutschland lag die Zahl derer, die „manchmal" oder „normalerweise" im Homeoffice arbeiten, bei 13 Prozent und damit, laut dem European Labour Force Survey, unterhalb des EU-Durchschnitts von 16 Prozent. Andere EU-Länder nutzen Homeoffice bereits seit Jahren intensiver – zum Beispiel die Niederlande. Dort nähert sich der Anteil derjenigen, die gelegentlich oder in der Regel von zu Hause aus arbeiten der 40-Prozent-Marke. Verglichen mit Deutschland und seinem höheren Anteil an Industriearbeitern wird klar, dass die Niederlande ohnehin ein höheres Potenzial fürs Homeoffice aufweisen – dieses aber hat man konsequent und per Gesetz ausgebaut. Dieses „Recht auf Homeoffice" aber wird häufig nicht ganz korrekt in der öffentlichen Diskussion dargestellt, sagt Dr. Roland Stürz vom Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation (BIDT). „Seit 1. Januar 2016 haben die Niederländer nicht etwa ein gesetzliches Recht auf Homeoffice, sondern einen individuellen Prüfungsanspruch von Anträgen auf Homeoffice von Mitarbeiterinnen eingeführt. Danach muss in den Niederlanden nun der Arbeitgeber Anträge der Beschäftigten auf die Nutzung von Homeoffice prüfen und schriftlich über seine Entscheidung informieren. Möchte der Arbeitgeber kein Homeoffice anbieten, muss er dafür aber keine zwingenden Gründe angeben."
Anträge auf Homeoffice prüfen
Statistisch gesehen hat sich durch das Gesetz in den Niederlanden an den Zahlen der Heimarbeiter relativ wenig geändert. Schon davor waren die Niederlande Europameister in Sachen Homeoffice. „2015 arbeiteten rund 35 Prozent der Beschäftigten in den Niederlanden mindestens gelegentlich von zu Hause aus. Diese Zahl ist bis 2019 lediglich sehr mäßig und im europäischen Vergleich eher durchschnittlich auf rund 37 Prozent gestiegen", erklärt Innovationsexperte Stürz. Eine Erklärung: Rechtsansprüche können eine Weiterentwicklung auch verhindern. „Einerseits wird durch den Rechtsanspruch zwar die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer in Sachen Homeoffice gegenüber den Arbeitgebern gestärkt. Anderseits kann die dadurch notwendige formale Vereinbarung in Sachen Homeoffice mit mehr Verantwortung für die Arbeitgeberseite aber auch ein Hindernis gegen mehr Homeoffice darstellen."
Derzeit arbeiten in Deutschland nur 14 Prozent der Menschen zu Hause, fand die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler Stiftung heraus – während des ersten Lockdowns im Frühjahr waren es noch 27 Prozent – trotz der dringlichen Empfehlung der Bundesregierung, doch mehr Homeoffice zu ermöglichen. Dagegen sind 71 Prozent der Befragten sicher, dass Homeoffice künftig eine größere Rolle spielt.
Kommt also die Wende in der deutschen Präsenzkultur? Die Debatte jedenfalls ist in vollem Gange. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) dringt auf klare Regeln für das Arbeiten im Homeoffice, um unbezahlte Überstunden zu verhindern. „Wir erleben aktuell, dass Arbeitszeiten im Homeoffice in der Regel überhaupt nicht erfasst werden", sagte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann der „Neuen Osnabrücker Zeitung". Eine Initiative des Europaparlaments für einen Rechtsanspruch auf Nichterreichbarkeit von Arbeitnehmern nach Dienstschluss nannte Hoffmann hilfreich. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger nannte diesen Rechtsanspruch überflüssig. Dies sei längst durch EU-Arbeitszeitrichtlinien und das deutsche Arbeitszeitgesetz geregelt.
Bürokapazitäten abbauen
Für Innovationsexperte Roland Stürz könnte die aktuelle Situation helfen, die außerordentliche Präsenzkultur in deutschen Unternehmen zu durchbrechen. Doch man werde „erst schauen müssen, wie das neue Normal in Sachen Homeoffice nach der Corona-Krise tatsächlich aussehen wird", so Stürz. Erst auf dieser Basis könne man sinnvoll entscheiden, inwieweit ein langfristiger staatlicher Eingriff überhaupt noch erforderlich sei. Schon jetzt gebe es Überlegungen, zum Beispiel beim Allianz-Konzern, Bürokapazitäten abzubauen. „So denken jetzt während der Corona-Krise je nach Studie rund die Hälfte oder sogar noch mehr der befragten Unternehmen darüber nach, Homeoffice-Möglichkeiten auch künftig verstärkt anzubieten. Und das, obwohl Unternehmen die jetzige Homeoffice-Situation weitaus weniger positiv wahrnehmen als die Arbeitnehmerinnen", sagt Stürz. Um zu breiter Akzeptanz auf beiden Seiten zu führen, werde es daher wichtig sein, die Vorteile von Homeoffice mit jenen der Präsenz vor Ort zu verbinden. „Die derzeitige Situation sollte ein Anstoß dafür sein, dass das Management jetzt mit der Arbeitnehmerseite über sinnvolle Regelungen für Homeoffice in den Betrieben nach Corona nachdenkt."