Wasserstoff wird zum neuen Hoffnungsträger einer „grüneren" Zukunft in Deutschland. Nur wie soll der immense Energiebedarf einer Wasserstoffproduktion gedeckt werden? Mit der Hilfe Afrikas, glauben jedenfalls einige Experten der Bundesregierung. Doch die Tücke liegt im Detail.
ie EU hat die Zügel für ihre Klimaziele Mitte Dezember deutlich angezogen: Bis 2030 sollen die Treibhausgase um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Wert von 1990 sinken. Ursprünglich waren nur 40 Prozent vorgesehen. Im Klartext heißt das: Energie-, Wärme- und Verkehrswende müssen in Deutschland schneller vorankommen, will man die Klimaziele erreichen. Der „grün" erzeugte Wasserstoff, mithilfe von Strom aus Sonne oder Wind, rückt dabei verstärkt in den Fokus, gilt er doch als Energieträger der Zukunft. Das Potenzial für schwer zu dekarbonisierende Industrieen wie der Stahl-, Zement- oder Chemieindustrie und in der Mobilität, bei Autos, im Schiffs- und Flugverkehr ist nach Ansicht von Fachleuten enorm.
Wie hoch der Bedarf an grünem Wasserstoff bis 2050 aber hierzulande tatsächlich ist, lässt sich derzeit schwer abschätzen. Zwar sieht die im Sommer 2020 auf den Weg gebrachte nationale Wasserstoffstrategie Deutschlands in ihrem Programm bis 2030 industrielle Produktionsanlagen bis zu fünf Gigawatt (GW) Gesamtleistung vor und noch einmal so viel bis 2040. Aber das wäre nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, um mit grünem Wasserstoff ein nachhaltiges Ergebnis für das Klima zu erzielen. Die Investitionskosten, bei angenommener flächendeckender Versorgung, lägen laut den Energieexperten der Deutschen Energieagentur bei einer Milliarde Euro – pro Jahr.
Ohne Afrikas Hilfe nicht genügend H2
Heimische Produktionsanlagen könnten den wachsenden Bedarf schlichtweg nicht decken, schon weil Sonne und Wind nicht genügend Energie liefern; Deutschland wird grün erzeugten Wasserstoff aus dem Ausland importieren müssen, will es die Klimaziele erreichen. Das Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion spricht von Importen in Höhe von rund 45 Millionen Tonnen Wasserstoff im Jahr 2050. Schon 2040 müssten nach Angaben des Instituts dreimal so viele regenerative Erzeugungsanlagen in Deutschland grünen Strom produzieren wie im sonnen- und windreichen Australien, soll der anstehende Bedarf an grünem Wasserstoff gedeckt werden. An Kooperationen und Partnerschaften mit dem Ausland führt demnach kein Weg vorbei. Oder mit den Worten von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller ausgedrückt, „ohne die Sonne Afrikas" seien die Wasserstoffziele Deutschlands nicht zu erreichen.
Die Aufmerksamkeit gilt also einem Kontinent, dem viele in Deutschland in Sachen Wasserstoff nur wenig Beachtung schenken. Doch die politischen Stabilitäten und wirtschaftlichen Voraussetzungen könnten in den gut 50 afrikanischen Staaten nicht unterschiedlicher sein. Korruption, Kriminalität und Unsicherheiten, kulturelle Unterschiede, mangelnde Infrastrukturen gelten vielfach als Hemmschuh für potenzielle Investoren aus der westlichen Welt. Doch Wettbewerber aus dem Ausland, allen voran China, haben längst die schlummernden Potenziale in Afrika erkannt.
Und Deutschland? Die Bundesregierung setzt im Rahmen ihrer Wasserstoffstrategie auf Kooperationen und strategische Partnerschaften, vor allem mit West- und Südafrika. Das Bundesforschungsministerium fördert dafür einen sogenannten Potenzial-Atlas, untersucht infrage kommende Standorte für die Produktion und den Export von Wasserstoff, unterstützt Delegationen von Fachleuten nach Afrika und lotet eine nachhaltige Zusammenarbeit aus. Dr. Georg Fuchs von der gleichnamigen Unternehmensberatung berät die Bundesregierung zu diesem Thema, und ermuntert interessierte deutsche Unternehmen, sich auf diesem Zukunftsmarkt zu positionieren – und, mithilfe der Bundesregierung, zu investieren. Nie zuvor seien die Türen für bundesweite Fördermöglichkeiten so weit offen gewesen wie zurzeit, warb Fuchs in einem von der Handelskammer Hamburg organisierten Onlineforum zur deutsch-afrikanischen Wasserstoffkooperation.
Marokko und Westsahara gelten aufgrund ihres Entwicklungspotenzials, der vorhandenen Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten wie dem Fraunhofer Institut und der Nähe zu Europa als besonders attraktiv für Deutschland. Andreas Wenzel von der Außenhandelskammer in Casablanca verweist auf die politische Stabilität, den freien Marktzugang, die Infrastruktur und Logistik auf nahezu europäischem Standard mit dem Hafen Tanger Med, die fortschreitende Industrialisierung auf hohem technischen Niveau und die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte. „Marokko startet durch und ist ein seriöser Geschäftspartner. Die positive Entwicklung wird in Deutschland aber nicht so wahrgenommen, denn das französischsprachige und muslimisch geprägte Land stößt bei vielen deutschen Unternehmen wohl immer noch auf Vorbehalte." Generaldirektor Badr Ikken vom marokkanischen Forschungsinstitut für Regenerative Energien bewirbt sein Land sogar als Hub für ganz Nord- und Westafrika, als Brücke zwischen Europa und Afrika.
Südafrika verfolgt ebenfalls eine Wasserstoffstrategie, die „vor allem von der dortigen Industrie getrieben wird", erklärt Walter Englert vom Consulting-Unternehmen Focus Africa. Ägypten mit einer gut ausgebauten Gaswirtschaft, aber auch Länder wie Algerien, Tunesien, Tansania und Äthiopien schließen sich der Wasserstoffstrategie an und erwägen Partnerschaften mit dem Ausland.
Auf „Beobachtungsstatus" stellt Englert die Demokratische Republik Kongo. Das Land verfügt mit rund 100 GW über die größten Wasserkraft-Potenziale Afrikas und wäre ideal, grünen Wasserstoff herzustellen. Kontakte aus der deutschen Wirtschaft, um dort eine Wasserstoffanlage zu bauen, gibt es bereits.
Inga-Staudämme in der Debatte
Dafür verlangt der Kontinent Investitionen. Zwei Milliarden Euro aus dem Corona-Paket der Bundesregierung sollen nun in deutsche Partnerschaften mit Afrika fließen. Laut Potenzial-Atlas bieten rund 20 afrikanische Länder gute Möglichkeiten, grünen Wasserstoff zu erzeugen und zu exportieren. Wichtig sei dem Bundesforschungsministerium, dass beide Seiten profitieren: Deutschland, um den Heißhunger auf grünen Wasserstoff zu stillen, und Afrika, um den Energiebedarf vor Ort mit grüner Energie zu decken. Doch lokal ist dies mit Problemen verbunden. Strom wird etwa im Kongo vor allem aus Wasserkraft erzeugt. Am Fluss Kongo entstanden bereits Anfang der 70er- und der 80er-Jahre zwei Staudämme. Die beiden Mega-Projekte Inga I und II wurden allerdings aufgrund von Bürgerkriegen und Korruption nie vollendet. Sie produzieren mit einer Leistung von insgesamt rund 1.700 Megawatt Strom für die Hauptstadt Kinshasa und die Bergbauregion Katanga. Die Bevölkerung auf dem Land hat so gut wie gar nichts davon. Technische Probleme, die Verschlammung der Stauseen und die damit einhergehende Verlangsamung der Fließgeschwindigkeit tun ihr Übriges.
Seit einigen Jahren nun gibt es ein drittes Projekt, Inga III an der Mündung des Kongos. Von der ursprünglich geplanten Leistung von elf GW sind jedoch nur fünf übrig geblieben. Immer wieder gab es Probleme mit potenziellen Investoren aus Südafrika und der Weltbank bei der Finanzierung. Laut Medienberichten gibt es inzwischen auch chinesisches Interesse. Südafrika will nun rund 2.500 MW abnehmen, 1.300 MW die Bergbauregion Katanga. Was übrig bleibt, kann den Rest der Bevölkerung nicht versorgen. Nur ein Zehntel der 100 Millionen Kongolesen hat Zugang zur öffentlichen Stromversorgung. Dabei hätte die Versorgung der Bevölkerung mit Strom den Charme, dass zumindest die Abholzung der Wälder reduziert würde. Auch eine Zwangsumsiedlung Tausender Bürger käme bei Realisierung des Projekts Inga III infrage, warnen Kritiker.
Grün ist die Hoffnung, heißt es im Roman des US-Amerikaners T. C. Boyle. Doch der Schein trügt: So „grün" wäre bei derartigen Auswirkungen die Produktion von Wasserstoff im Kongo sicherlich nicht.