Die deutsche Szene digitaler Spielentwickler ist bunt – kann aber international kaum mithalten. Wer trotzdem einsteigen möchte, findet eine Vielfalt an Möglichkeiten, den Job auszugestalten: entweder im klassischen Videospiel, für Konzerne wie Volkswagen oder Verbände wie Greenpeace.
Spiele haben Myriel Balzers Leben von Kindesbeinen an bereichert – bis heute: angefangen vom klassischen Rollenspiel „Dungeons & Dragons" über das Brettspiel „Hero Quest" bis hin zu Live-Conventions, die sie mitorganisierte, hat sich ihre Faszination des Spielens bis heute erhalten. Jetzt verdient sie Geld damit. „Meine erste und einzige Anstellung nach meinem Studium der Soziologie und Psychologie war Lead-Game-Designerin für einen Freizeitpark mit Live-Rollenspiel-Fokus. Danach habe ich mich dann als Game-Designerin für digitale Spiele – sowohl Spaß-Spiele als auch Serious Games und Business Gamification – selbstständig gemacht."
Wie Myriel Balzer geht es mittlerweile vielen jungen Deutschen: Die Games-Branche übt auf viele eine besondere Faszination aus. Der Markt boomt. 2020 arbeiteten in Deutschland knapp 10.000 Menschen in der digitalen Spieleindustrie, die Branche wuchs um elf Prozent – nicht zuletzt durch die Pandemie und neue Konsolen wie die Playstation 5 oder die Xbox Series X. Davon profitiert haben deutsche Unternehmen allerdings kaum, bemängelt der Branchenverband Game, ablesbar auch an den Beschäftigtenzahlen, denn diese sind leicht rückläufig.
Viele Wege, in der Branche Fuß zu fassen
Der deutsche Videogames-Entwickler und Publisher Kalypso mit Hauptsitz in Worms beschäftigt 100 Mitarbeiter. Die Möglichkeiten, in der digitalen Games-Branche Fuß zu fassen, seien vielfältig, teilt Anika Thun von Kalypso auf Anfrage mit. „Wichtig ist jedoch, wie in jeder anderen Branche auch, sich genügend über die Berufsbilder und unterschiedlichen Wege, um diese zu erreichen, zu informieren." Denn anders als in der analogen Spielebranche ist ein Entwickler hier kein Solospieler. „Der Beruf des Spieleentwicklers setzt sich aus der Teamarbeit verschiedener Bereiche zusammen, wie zum Beispiel Programmieren, Schreiben, Grafik und vielem mehr. Ausbildungen und Studienangebote für viele dieser Bereiche existieren bereits." Zum Beispiel an der privaten Games Academy in Köln, aber auch an anderen deutschen Hochschulen, wo Professoren wie Linda Breitlauch in Trier oder Maic Masuch in Duisburg Studiengänge für digitales Mediendesign oder Entertainment Computing anbieten.
Myriel Balzer arbeitet als selbstständige Game-Designerin seit zwölf Jahren in der Branche, hat sowohl analoge wie auch digitale Spiele entwickelt. Studiert hat sie jedoch eher klassische Fächer. „Damals war Game-Design studieren noch kein Thema für mich", erklärt sie. „Ich bin auch wirklich froh über meine Ausbildung." Nicht nur, weil sie natürlich für den ganzen Bereich Serious Games, Lernspiele und Gamification unbezahlbar ist. „Sondern auch weil sie eine unglaublich fundierte Sicht auf das ganze Thema Spiel gibt. Fast alle früheren Spieleforscher waren Soziologen oder Psychologen."
Leicht hat es der deutsche Spieleentwickler jedoch nicht, vor allem im internationalen Vergleich. Dort ist die deutsche Branche derzeit nicht konkurrenzfähig. Es dominieren internationale Entwickler und Publisher wie Ubisoft (Frankreich, Umsatz von 1,6 Milliarden Euro), Electronic Arts (Kalifornien, 4,8 Milliarden US-Dollar), Activision Blizzard (Kalifornien, 6,5 Milliarden US-Dollar) oder Sony Interactive Entertainment (Kalifornien, 9,9 Milliarden US-Dollar). Zu den erfolgreichen deutschen Entwicklerstudios gehört unter anderem das von Ubisoft gekaufte Blue Byte (Hamburg, 23 Millionen Euro Umsatz) wie auch Kalypso, das als GmbH seine Geschäftszahlen nicht offenlegen muss, doch laut der Branchenzeitschrift „Games Markt" 2018 von einem mittleren zweistelligen Millionenbetrag an Umsatz sprach. Gerade wegen jener Hemmnisse expandiert auch Kalypso international, das Unternehmen unterhält Niederlassungen in Großbritannien, Japan und in den USA. Die Spieleentwickler sitzen in Gütersloh, Darmstadt und München. Entwickelt und vertrieben werden eigene wie auch Spiele anderer Studios, darunter die Wirtschaftssimulation „Tropico", die Strategiereihe „Sudden Strike" oder die Piraten-Simulation „Port Royale", aber auch Mobile Games für Smartphone und Tablet. „Um am internationalen Markt konkurrenzfähig zu sein, müssen Niederlassungen entstehen, welche vor Ort die jeweiligen Marktbedürfnisse besser bedienen können", sagt Anika Thun. „Diese Aufgabe allein in Deutschland zu stemmen, ist auf lange Sicht zu teuer." Eine direkte, lokale und an den Markt angepasste Vermarktungsstrategie vor Ort ermögliche eine bessere Wertschöpfung und einen klaren Vorteil im internationalen Wettbewerb.
Die Bundesregierung unterstützt mittlerweile die deutsche Games-Branche mit eigenen Fördertöpfen und in deutlich größerem Umfang, bis 2023 ist diese Förderung von 50 Millionen Euro jährlich abgesichert. Für Publisher wie Kalypso ist diese Summe allerdings noch zu niedrig und nicht nachhaltig genug. „Eine solch langfristige Förderung wird benötigt, um nicht nur in Deutschland selbst die Entwicklung von Spielen auf das nächste Level zu heben, sondern auch international Fuß fassen und erfolgreich in den Wettbewerb einsteigen zu können. Im Vergleich zu Ländern wie Kanada oder Frankreich, die weitreichende und erfolgreiche Förderungssysteme umsetzen, kann die deutsche Games-Branche aktuell nicht mithalten", erklärt Anika Thun. Zwar sei nun die Gamesförderung in Deutschland vor allem durch den Bund massiv erhöht worden und werde so auch einen positiven Effekt haben. „Aber es wird sich erst in einigen Jahren zeigen, ob dies auch eine nachhaltige Konkurrenzfähigkeit von ‚Games made in Germany‘ nach sich zieht." Denn das Gaming an Rechner und Konsole wird immer mehr als Kulturgut angesehen und ist zudem aus seinen zahlreichen Anwendungsgebieten nicht mehr wegzudenken – besonders während der momentanen Pandemie.
Online-Gaming als Kulturgut
„Made in Germany" lockt aber auf dem heimischen Markt nur einen kleinen Teil der Video- und Computerspieler vor den Bildschirm: Selbst im heimischen Markt liegt der Anteil deutscher Spiele bei unter fünf Prozent, moniert der Game-Bundesverband. Freiberufliche Entwickler wie Myriel Balzer suchen sich daher auch andere Nischen. So arbeitete sie unter anderem für Volkswagen, die Lufthansa, den Logistiker Rhenus oder Greenpeace, wo sie eine App mit spielerischen Elementen mitentwickelte, die helfen soll, weniger Fleisch zu konsumieren. Für das Lernspiel „Lily & Leo" des Kölner Studios Cubidoo Entertainment entwickelte sie die Figuren, Hintergründe, die Story und das didaktische Konzept. „Ich arbeite sowohl in- als auch außerhalb der klassischen Games-Branche. Aber ich denke schon, dass wirklich gute Game-Designer mit einer fundierten Ausbildung und Arbeitsweise einige Optionen haben. Aber leicht ist es sicher nicht immer, und man muss ziemlich flexibel sein, auch bei der Wahl des Wohnorts und des Arbeitgebers."
„Nicht immer leicht" heißt im Branchenjargon auch „Crunch", ein Thema, das in den vergangenen Jahren immer mehr Beachtung in der Öffentlichkeit gefunden hat. „Crunchtime" ist jene Zeit kurz vor der Veröffentlichung eines Spiels, wenn 24 Stunden, sieben Tage die Woche, an den letzten Codezeilen und technischen Fehlern gearbeitet wird, mit anderen Worten: massive Überstunden. Vor allem große Blockbuster-Titel, zum Beispiel „Anthem" von Entwickler Bioware oder jüngst „Cyberpunk 2077" von CD Project Red, leiden immer öfter unter dem Ruf, ihre Entwickler massiv und zum Teil monatelang ausgebeutet zu haben, um den Veröffentlichungstermin einhalten zu können.
Auf lange Sicht aber sei die Branche ein Wachstumsfeld. Anika Thun: „Das Interesse an Berufen in der Spielebranche und dementsprechend die Nachfrage wird steigen, daher ist es wichtig zusätzlich zu den bereits bestehenden Ausbildungsangeboten, weitere Studiengänge und Berufswege anzubieten und zu fördern." Myriel Balzer empfiehlt jedem, der als Designer einsteigen möchte, sich selbst und seine Arbeit gut zu organisieren „und sie konzipiert, strukturiert und für jedermann übersichtlich und knapp dokumentieren zu können. Man muss kreativ sein, gut mit Menschen können. Und man sollte vielleicht etwas von Psychologie und Soziologie verstehen. Denn Spielen ist und bleibt das ursoziologische und urpsychologische Phänomen überhaupt."