Der Hamburger SV scheint im dritten Zweitliga-Jahr endlich die Rückkehr in die Fußball-Bundesliga zu schaffen. Und käme dann mit einem stabilen Gerüst zurück. Der Baumeister des „neuen HSV" heißt Jonas Boldt.
Uwe Seeler war einer der vereinstreusten Spieler der Fußball-Historie. Ihr gesamtes nun schon 84 Jahre dauerndes Leben hat die deutsche Fußball-Ikone mit dem Hamburger SV gejubelt und gelitten und dabei immer ein sehr, sehr gutes Gespür bewiesen. „Seeler bangt um den HSV" wurde so irgendwann zu einer Art Running Gag, weil der Hamburger Jung in den Zeiten des sich über Jahre hinweg ankündigenden Abstiegs des „Bundesliga-Dinos" immer wieder den Finger in die Wunde gelegt und auf Missstände hingewiesen hat. Und als der HSV im Herbst 2016 dann endgültig der Zweiten Liga entgegentaumelte, mahnte Seeler, seinem Verein drohe dann das Schicksal von 1860 München oder dem 1. FC Kaiserslautern, die sich vom Abstieg nie richtig erholt haben.
Idol Seeler machte sich große Sorgen um seinen HSV
Und tatsächlich schaffte der HSV in den ersten beiden Jahren nicht die angestrebte Rückkehr in die Bundesliga. Startete immer sehr gut, geriet dann ins Wanken und verspielte den Aufstieg letztlich auf der Zielgeraden. So sind die Hamburger nun schon im dritten Jahr Zweitligist. Und als der Club am letzten Spieltag der Vorsaison durch ein 1:5 gegen Sandhausen den Aufstieg verspielte, schimpfte Seeler via Bild: „So tief und kaputt war der HSV noch nie. Ich frage mich, wie wir da aus der Sch… rauskommen sollen. Es wird doch jedes Jahr schwieriger, die Klasse nach oben zu verlassen."
Doch in dieser Saison scheint der HSV den Turnaround schaffen zu können. Und als sich Seeler im November bisher zum letzten Mal öffentlich zum HSV äußerte, tat er dies erstmals seit einigen Jahren wieder sehr optimistisch. Der HSV habe eine gute Mannschaft, sagte Seeler, der Aufstieg könne gelingen. „Hoffnung machen mir vor allem die klugen Transfers in dieser Wechsel-Periode. Sie helfen uns alle weiter."
In dieser Saison sollte es nun wirklich klappen mit der Rückkehr in die Bundesliga. Denn beim HSV ist inzwischen vieles anders. Und so könnte der Club, der 1983 den Vorläufer der Champions League gewann, bald wieder ein solider Erstligist sein. Mindestens. Dazu stellen wir die drei entscheidenden Fragen:
Wie hat der HSV zurück auf den Erfolgsweg gefunden?
Dafür steht vor allem ein Name: Jonas Boldt. Der 39-Jährige ist nach vielen Jahren an der Seite von Rudi Völler bei Bayer Leverkusen seit 2019 Sportvorstand beim HSV. Und hat den Verein genau in den beiden entscheidenden Punkten verbessert: In der Transferpolitik. Und in Bezug auf Ruhe und Geschlossenheit im Verein. „Wir arbeiten wirklich gut im Team", betonte Boldt einmal: „Ich habe lieber zusammen Erfolg, als dass ich allein der Depp bin." Und sein Erfolgsrezept klingt erstaunlich einfach: „Wir haben Ruhe bewahrt und nicht alles neu erfunden."
Im Sommer 2019 fiel Boldt, damals auch noch eingeleitet von Vorgänger Ralf Becker, durch eine für den HSV sehr bodenständige Transferpolitik auf. Er holte mit David Kinsombi aus Kiel, Tim Leibold aus Nürnberg, Jeremy Dudziak von St. Pauli, Jan Gyamaerah aus Bochum oder Sonny Kittel aus Ingolstadt Spieler, die in der Zweiten Liga positiv aufgefallen waren und mit ihren Vereinen eher nicht davon ausgingen, in die Bundesliga zu kommen. Und machte ein Transfer-Plus von 13 Millionen. In diesem Sommer besserte er zielsicher die Schwachstellen aus. Holte mit Sven Ulreich von den Bayern einen ganz starken Torhüter, mit Toni Leistner für die Abwehr einen erfahrenen Kämpfer und mit Simon Terodde aus Köln den besten Zweitliga-Knipser, den man haben kann. Alles in allem ist das ein Kader, der aufsteigen muss, der es aber ziemlich sicher auch wird.
Auch Horst Hrubesch ist wieder dabei
Und das liegt nicht zuletzt daran, wie Boldt diesen Verein befriedet. Nun herrschen derzeit zwar Uneinigkeiten im Präsidium, die Medien schreiben gar von einem „Machtkampf", doch solche Dinge lässt Boldt gar nicht an die Mannschaft heran. Genau wie den Ausstieg des Hauptsponsors im Sommer. Besonders beeindruckend war, wie Boldt – damals noch im Verbund mit Ex-Trainer Dieter Hecking – den Verein durch die Diskussion über die Identität von Spieler Bakery Jatta navigierte. In früheren Jahren hätte der HSV gedroht, an dieser schier endlosen Geschichte zu zerbrechen.
Mit einer solchen Arbeitsweise hat Boldt es auch geschafft, Vereins-Ikone Horst Hrubesch fast 40 Jahre nach dessen Abschied als Spieler wieder für den HSV zu gewinnen. Als Direktor im Nachwuchsleistungszentrum stößt Hrubesch viele wichtige Prozesse an und wirkt zudem als Identifikationsfigur. Seinen Verbleib hat er übrigens mit dem von Boldt verbunden.
Der ging im Sommer dann auch den unbequemen Weg, sich von Trainer Dieter Hecking zu trennen. Die beiden hatten ein sehr gutes Verhältnis, aber Boldt war klar, dass der erfahrene und eigentlich beliebte Coach nach dem verpassten Aufstieg zu schnell hinterfragt werden würde. Mit Daniel Thioune aus Osnabrück holte er einen noch relativ unerfahrenen Coach und ging damit auch persönlich ins Risiko. Doch offenbar hatte er auch hier wieder den richtigen Riecher.
Angst vor einer Schwächephase
Könnte der HSV im Falle eines Aufstiegs direkt durchstarten?
Klar ist: Zur Rückkehr zu ganz alter Stärke, in den Europacup oder gar die Champions League, ist es noch ein weiter Weg. Die ersten Plätze scheinen zementiert, der Vorsprung der betreffenden Vereine ist immens. Klar ist aber auch: Der HSV wäre kein normaler Aufsteiger. Eine Aufbruchstimmung könnte in dieser Stadt, in diesem Verein, ungeahnte Wucht entfalten. Ein seriöser HSV in der Bundesliga ist für Sponsoren und namhafte Spieler schnell interessant. Die Mannschaft hat ein starkes Gerüst und wäre mit vier, fünf passgenauen Verstärkungen schnell wettbewerbsfähig. Mit der traditionellen Umstellung eines Aufsteigers, in der Zweiten Liga fast immer die dominante Mannschaft sein zu müssen und in der Bundesliga der Underdog, könnte sich der HSV mit dieser Mannschaft schnell arrangieren. Denn dass man, wenn das Team Qualität hat, als Aufsteiger nicht zwangsläufig defensiv agieren muss, zeigen in dieser Saison die starken Stuttgarter.
Wer kann dem HSV noch den Aufstieg streitig machen?
Eigentlich nur der HSV selbst, wenn er den eingeschlagenen Weg verlässt. Die ganz große Gefahr ist, dass eine kleine Schwächeperiode im letzten Saisondrittel schnell Erinnerungen an die Vorjahre weckt und einen „Nicht schon wieder"-Effekt auslösen könnte, der den HSV verschlingt. So war es offenbar in der Endphase des Vorjahres. Hier müssen Boldt und Thioune schnell gegensteuern, sobald sich dies auch nur andeutet. Mit Ulreich oder Terodde haben sie nun auch im Kader entsprechend erfahrene Stützen, die das ins Team tragen können.
Ansonsten ist das Feld der Verfolger überschaubar, aber komplex. Die mit Sicherheit besten Voraussetzungen nach dem HSV hat sicherlich Absteiger Fortuna Düsseldorf. Die Fortunen haben nach schwachem Start mit einer starken Serie den Anschluss hergestellt. Ausrutscher wie das Pokal-Aus beim Viertligisten Essen inmitten der Erfolgsserie oder die Niederlage beim abgeschlagenen Letzten Würzburg zeigen aber, dass das Gebilde in Düsseldorf nicht immer stabil ist. Dennoch ist die Fortuna klar der heißeste Tipp auf den zweiten Aufstiegsrang.
Blieben noch der VfL Bochum, Holstein Kiel und die SpVgg Greuther Fürth sowie bei idealem Verlauf das Überraschungsteam aus Karlsruhe und Hannover als mögliche Kandidaten für den Relegationsplatz. Oder mögliche Nutznießer für den Fall, dass Hamburg oder Düsseldorf patzen.
Alle wirken durchaus stabil. Defensiv kompakt, schwer zu schlagen und an guten Tagen zu allem fähig. Wie die Kieler Störche zum Beispiel beim Pokal-Coup gegen den FC Bayern bewiesen. Oder Bochum beim 5:0 gegen Düsseldorf. Der KSC hat den Vorteil, nichts zu verlieren zu haben und erweist sich nach dem Kraftakt des Klassenerhalts im Vorjahr unter Trainer Christian Eichner als absolute Einheit. Die Mannschaft in Hannover hat eigentlich große Qualität, aber bei den 96ern herrscht großer Druck und ständig Unruhe.