Leere Innenstädte auch nach Corona? Was wie ein Horrorszenario klingt, ist die reale Befürchtung vieler Einzelhändler auch im Saarland. Helfen könnten Ideen wie ein Stadtteilmanager oder ein Mix aus Arbeiten, Wohnen und Einkaufen inmitten der Stadt.
Wo einst buntes Treiben herrschte, macht sich immer mehr bedrückende Leere breit. Geschlossene Geschäfte, verhangene Schaufenster, verlassene Kneipen. Vom Winde verwehte Einwegbecher kullern umher, verstohlene Blicke weniger Passanten auf verlassene Straßen, dazu ein beißender Geruch aus manchen Ecken: Was wie der Beginn eines Endzeitszenarios aussieht, könnte in deutschen Einkaufsstraßen bald Realität werden.
Den deutschen Einkaufszonen droht das Aus. Einen kleinen Vorgeschmack gab es bereits im Frühjahr vergangenen Jahres, als der erste Lockdown wegen Corona die Innenstädte zu wahren Geisterstädten verkommen ließ – so auch jetzt. Und wenn erst einmal die ersten Geschäfte leer stehen, die Kneipen und Restaurants zu sind, Straßenkultur nicht mehr stattfindet, dann bleiben peu à peu die Kunden ganz weg, befürchten viele Einzelhändler. Eine Abwärtsspirale, die zu einer schwerwiegenden Hypothek ganzer Innenstädte wird, zumal sich der Siegeszug der Onlinehändler nicht aufhalten lassen wird.
Weit entfernt vom „Horrorszenario"
Der stationäre Handel, Gewerbeverbände, Kammern, Vermieter, Lokalpolitiker und Verantwortliche in den Kommunen versuchen gegenzusteuern, wohl wissend, dass Corona das langsame Sterben weiter beschleunigt. Das ist in der Landeshauptstadt Saarbrücken nicht anders, obwohl die Situation zu vergleichbaren Städten noch annehmbar ist. „Rund 90 Prozent der Ladenflächen in der Saarbrücker Bahnhofstraße sind vermietet. Zurzeit stehen in der Innenstadt 14 Geschäfte leer", betont der Leiter für Wirtschaftsförderung in Saarbrücken, Sebastian Kurth. Also noch weit entfernt vom skizzierten Horrorszenario, selbst wenn davon auszugehen ist, dass Corona die Zahl der Geschäftsaufgaben deutlich beschleunigen wird, ist erst einmal der Insolvenzschutz aufgehoben. Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat, Dr. Helmut Isringhaus, warnt schon jetzt, dass niemand genau wisse, wie lange die Corona-Krise noch dauere und was auf die Geschäftsleute in puncto Lockdown noch alles zukommen könne. „Wenn dann ein Zugpferd wie Karstadt oder Kaufhof, die beide schon vor Corona in Schieflage waren, aus der Innenstadt verschwindet, dann verlieren alle." Auf solche Konzern-Entscheidungen wie die des Immobilien- und längst auch Kaufhausinvestors Benko, habe die Lokalpolitik im Prinzip keinen Einfluss. Eine gefährliche hochexplosive Gemengelage. Der Handelsverband Deutschland befürchtet wegen Ausfällen, wegfallenden Mieten und sinkende Immobilienwerten gigantische Verluste.
Doch es ist nicht nur die Corona-Pandemie, die dem stationären Handel die Luft zum Atmen nimmt. Teures Parken, hohe Ladenmieten und Onlineshops tun ihr Übriges. Die Zunahme des bequemen Onlineshoppings von zu Hause aus sorgt dafür, dass Kunden den Innenstädten fernbleiben. Leander Wappler von der IHK Saarland sieht beim Online-handel vielmehr eine Änderung des Verbraucherverhaltens und einen Gewöhnungseffekt. „Der stationäre Handel, wie wir ihn kennen, wird nach Corona nicht mehr so sein wie er war. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel, wie wir wieder mehr Frequenz für den Handel in die Städte bringen wollen, sprich wir müssen die Stadt neu denken", sagt Wappler weiter. Das reicht von neuen Formen für Wohnen und Arbeiten in der Stadt über die Stärkung der Gemeinschaft und Gewerbevereine bis hin zum Einstellen eines Kümmerers vor Ort, einer Art professionellem Stadtteilmanager. Das sei zwar eine Herkulesaufgabe angesichts Corona, aber machbar, da der Bund Fördermittel im Rahmen von Städtebauprogrammen zur Verfügung stelle. Der 3,5 Millionen Euro schwere Fördertopf „Post-Corona-Stadt" fördert beispielsweise schon jetzt Projekte in Frankfurt, Mannheim oder Wittenberg, aber die Summe ist gering.
Positives Denken und mehr Mut zur Veränderung fordert auch Michael Genth. Er ist Inhaber von Leder Spahn und Vorsitzender des Vereins für Handel und Gewerbe. Sicherheit im öffentlichen Raum und Sauberkeit gehören für ihn zu den Rahmenbedingungen für wirtschaftlichen Aufschwung. „Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass die Kunden in der Stadt ihr attraktives Einkaufserlebnis wiederfinden, sich wohlfühlen und gerne wiederkommen", so sein Appell. „Nach Corona ist es wie Phönix aus der Asche." Abgesehen von Artikeln für die reine Versorgung steht das „Entdecken" neuer Ware für ihn dabei ganz oben und sorgt für ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal gegenüber Onlineshopping. „In Onlineshops geben die Anbieter vor, was der Kunde sieht und was nicht. Im Geschäft vor Ort besitzt der Kunde einhundertprozentige Autonomie. Das gilt es zu nutzen." Auch wenn es in Zukunft im Handel verstärkt hybride Systeme mit Abhol- und Bringservice geben werde, letztlich entscheide der Kunde, wie er angesprochen werden möchte.
Was hohe Ladenmieten in der Saarbrücker Innenstadt angeht, zeigt sich die geschäftsführende Gesellschafterin Sonja Anton von ABIG Immobilien optimistisch und verweist auf die hohe Dialogbereitschaft zwischen Vermietern und Mietern. „Es gibt viele Lösungsansätze, zum Beispiel die Umsatzmiete, bei der die Mietpreishöhe an den Umsatz gekoppelt wird, oder Interimslösungen bei Leerstand, indem benachbarte Geschäfte die Räumlichkeiten übergangsweise mitnutzen können, um Leben in die Stadt zu holen." Leerstand in der Innenstadt sei eben immer schlecht für alle Beteiligten. Sonja Anton betont allerdings auch die finanziellen Verpflichtungen der Vermieter wie die Rückzahlung von Krediten. „Nicht zu vergessen sind vor allem die kleineren Vermieter, die oftmals auf die Mieteinnahmen angewiesen sind." Die Notwendigkeit zu Veränderungen sei erkannt, aber es müssten alle Eigentümer angesprochen werden, wolle man einvernehmliche Lösungen erzielen.
Vorbeugen durch neue Ideen
Dass Saarbrücken als Oberzentrum an der Saar als Einkaufsstadt eine wichtige Rolle zukommt, bleibt unbestritten. Frequenzmessungen der Besucherströme, Herkunft der Besucher – allen voran auch aus den Nachbarländern Frankreich und Luxemburg – sowie einschlägige Studien machen Hoffnung und geben Saarbrücken eine Perspektive. „Wir arbeiten an der Zukunft", verspricht Sebastian Kurth. Die geplante Erweiterung der Einkaufszone über Bahnhofstraße und St. Johanner Markt hinaus, der angestrebte Mix aus Handel, Gastronomie und Kultur, die Verbesserung der Lebensqualität in der Stadt und mehr Verkehrsalternativen wie ÖPNV und Fahrrad, ohne das Auto zu verbannen, oder die Planungssicherheit bei Ladenöffnungszeiten mit vier verkaufsoffenen Sonntagen seien hier beispielgebend. Nicht zu vergessen die Hotellerie, die künftig viel mehr Privatreisende anstelle von Geschäftsleuten anziehen soll. Hinzu kommt der Stadtentwicklungsplan für den Stadtteil Dudweiler mit der Betonung auf mehr Eigenständigkeit. „Wir können so einen Stadtteil nicht aus dem Rathaus St. Johann managen und brauchen einen eigenen Stadtteilmanager." Dort herrsche eine regelrechte Aufbruchstimmung, die man nutzen könne.
Eine Absage erteilte Kurth dagegen dem Vorschlag Isringhaus’, die Gewerbesteuer zu senken oder abzuschaffen. Bei der Beurteilung der Standortfaktoren in Saarbrücken habe die Höhe der Gewerbesteuer bei Anfragen aus anderen Großstädten Deutschlands immer nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Im Koalitionsvertrag zwischen den Stadtratsfraktionen von CDU, Grünen und FDP sei eine Erhöhung sowieso ausgeschlossen.
Das altbekannte Parkproblem in Saarbrücken bleibt allerdings. Während Isringhaus das Parken in der Landeshauptstadt einfach zu teuer und zu kompliziert findet, plädiert Genth für eine freie Wahl. „Jedes Konzept, das Kunden in die Stadt bringt, ist wünschenswert, nach dem Motto: Wettbewerb belebt. Der Kunde soll selbst entscheiden, welches Verkehrsmittel er wählt."