In diesem Jahr wird gewählt: Landtage in sechs Bundesländern und der neue Bundestag. Die Termine wurden teils verschoben, sicher ist eines: Das Virus bleibt Thema auch im Wahlkampf. Demokratieforscher Prof. Dr. Wolfgang Merkel unterteilt die Parteien in politische Gewinner und Verlierer der Corona-Pandemie.
Herr Prof. Dr. Merkel, hinter uns liegt das anstrengende Corona-Jahr 2020. Welchen Einfluss werden die Pandemie und das Krisenmanagement unserer Politik für das Superwahljahr 2021, insbesondere die Bundestagswahl im Herbst, haben?
Es wird einen erheblichen Einfluss in mindestens zwei Richtungen haben: Es wird zum einen die Stimmenverteilung zwischen den Parteien verändern und hat zum anderen das Karussell der Kanzlerkandidaten durchmischt. Im Parteiensystem können wir erwarten, dass die Regierungsparteien schlechthin, die Union, gewinnen werden, weil sie in dieser Krise federführend gehandelt haben. Das hat ihre Sichtbarkeit deutlich verbessert, und sollte sich die Zahl der Corona-Toten nicht rapide verschlechtern, ihnen mindestens einen mittleren Erfolg bei der Pandemiebekämpfung eingebracht. Des Weiteren wird die AfD verlieren. Sie hat sich, wie zu erwarten war, nicht als verantwortlich gezeigt und die Gefahr des Virus fahrlässig heruntergespielt. Ein weiterer Grund ist, dass die Partei es nicht geschafft hat, so wirkungsvoll auf die aktuelle Corona-Protestbewegung aufzuspringen, dass sie neue Wählerstimmen angezogen hätte. Die Grünen werden von der Corona-Pandemie vermutlich, wie die Union, profitieren, weil sie sich, obwohl sie eine Oppositionspartei sind, extrem regierungstreu in der Krise gezeigt haben. Bei den Kanzlerkandidaten ist ganz offensichtlich der gegenwärtig am höchsten gehandelte Kandidat der Ministerpräsident von Bayern, Markus Söder. Er hat sich verbal als ein besonderer Schützer der Bevölkerung gegenüber dem Virus hervorgetan und hat stets für härtere Maßnahmen plädiert. Das erwies sich, zumindest im vergangenen Jahr, als recht populär, bisweilen auch populistisch. Für die CDU-Größen ist er ein neuer Kanzlerkandidat, mit dem sie rechnen müssen.
Auch wenn die CDU während der Corona-Pandemie Pluspunkte sammeln konnte: Wie bewerten Sie ihre Situation vor der Krise und die Chance eines zukünftigen Parteivorsitzenden, auch Kanzlerkandidat zu werden?
Die CDU war vor der Krise, wie fast alle Volksparteien in Europa, auf dem absteigenden Ast, auch wenn sie das „Anti-Volksparteien-Virus" in Europa erst sehr spät erwischt hat. Trotzdem ist sie eine der wenigen Parteien, die den Titel „Volkspartei" noch weiterhin für sich reklamieren kann, während die SPD diesen beispielsweise längst verloren hat. Das Coronavirus hat den Niedergangs-Sog der CDU derzeit zumindest mittelfristig gestoppt. Die Partei konnte 2020 drei Kandidaten für den Parteivorsitz aufstellen, und bei der CDU bedeutet dies, wer den Parteivorsitz innehat, ist immer auch der wichtigste interne Kanzlerkandidat der Union. Es könnte aber sein, dass der Bundesvorsitzende der CDU nicht der Kanzlerkandidat der Union wird, nämlich dann, wenn Söder, der CSU-Ministerpräsident in Bayern, deutlich höhere Zustimmungswerte bei den Umfragen erzielt als der frisch gewählte Vorsitzende der CDU.
Bisher haben Sie noch nichts zu der SPD gesagt. Wie schlagen sich die Sozialdemokraten in der aktuellen Krise, und wie bewerten Sie die Rolle der Sozialdemokraten und ihrem Einfluss auf die Wahl?
Zwei Politiker aus den Reihen der SPD haben in der Corona-Krise eine bedeutsame Rolle gespielt. Zum einen der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach und zum anderen der Finanzminister Olaf Scholz. Herr Lauterbach dürfte der SPD jedoch keine Stimmen gebracht haben. Er ist im Grunde stets als Kassandra aufgetreten, hat immer nur eindimensional auf die Infektionszahlen des Virus geblickt und war ein beständiger Warner, dass alles nicht genügt, was wir tun. Das ist für einen Epidemiologen akzeptabel, für einen Politiker nicht. Ein Politiker muss mehrere Ziele im Auge haben, selbst wenn es um eine Pandemie geht. Er muss im Auge haben, was die Politik gegen das Virus bedeutet, welche Folgen sie für die Sozialstrukturen in unserem Land hat, zum Beispiel, wie viele Menschen ihre wirtschaftliche Existenz verlieren. Er muss überzeugen und nicht nur verbieten wollen. Das erwarte ich insbesondere von einem Sozialdemokraten. Bei Olaf Scholz, der in den letzten Monaten eine ruhige, besonnene Erscheinung gehabt hat und, wie ich meine, finanzpolitisch das Notwendige und Richtige getan hat, ist das anders. Aber auch Scholz scheint keine besondere Suggestion auf die Wähler und Wählerinnen ausgeübt zu haben. Es zeigt sich in Umfragen nicht, dass seine sozial und wirtschaftlich überzeugende Finanzpolitik zu einer wirklichen Trendwende des Niedergangs der SPD geführt hätte. Wir müssen sehen, wie diese Reformen im nächsten Jahr greifen. Aber es ist eher nicht zu erwarten, dass das für die SPD nun eine völlig neue Dynamik entfalten wird. Es gibt eine marginale Chance, stärker als die Grünen zu werden, aber die Grünen sind gegenwärtig deutlich besser positioniert. Also Olaf Scholz ist ein guter und wichtiger Politiker, der es dennoch nicht geschafft hat, der alten SPD wieder auf jugendliche Beine zu helfen.
Ob die Politik von Olaf Scholz Früchte für die Partei tragen wird, wird vermutlich auch davon abhängen, wie schnell und zielgerichtet die Hilfen bei den Betroffenen ankommen. Was glauben Sie?
Das ist der Fall. Ich glaube, dass die Finanzpolitik von Scholz im Einklang mit dem sonstigen Profil der SPD als eine Partei des sozialen Ausgleichs übereinstimmt, was der Partei eigentlich zugutekommen sollte. Aber ganz offensichtlich ist die SPD in einem Loch, aus dem sie nur schwer herauskommen kann, weil die Grünen, die Merkel-CDU und die Rechtspopulisten den politischen Raum und die Wählersegmente der SPD eng gemacht haben, indem sie Wähler aus sehr unterschiedlichen Bereichen der SPD an sich gezogen haben.