Musikalische Modewellen kamen und gingen, Bandmitglieder starben, drohten taub zu werden, aber AC/DC blieben. Das Album „Power Up" enthält Angus Youngs pulsierende Gitarrenriffs, teuflische Texte und potenzielle Stadionhymnen. Ein Interview mit Bassist Cliff Williams.
Mr. Williams, die Band hatte in den letzten Jahren viel Pech. Und jetzt fällt Ihr Comeback ausgerechnet in die Zeit der Pandemie. Welches Lebensgefühl drückt da die neue Platte aus?
Ich würde sagen, es ist ein durch und durch positives Lebensgefühl. Wir haben das Album noch vor der Covid-Situation aufgenommen. Was die Mitglieder betrifft, ist die aktuelle Besetzung so nah an AC/DC dran, wie es nur geht: Angus Young, Brian Johnson, Phil Rudd, Stevie Young und meine Wenigkeit. Angus schwebte eine Musik vor, durch die der Geist seines verstorbenen Bruders Malcolm weht. Das fanden wir alle großartig. Bei unseren Zusammenkünften herrschte stets eine sehr positive Stimmung.
Wie verwandelt man schlechte Gefühle in gute Laune?
Indem man versucht, die schlechten Gefühle hinter sich zu lassen und sich auf den guten Stoff konzentriert. Mit negativen Gedanken lässt es sich nicht lange aushalten. Was immer Schlechtes auch passiert: Lass es hinter dir und mach weiter.
Wurde im Studio viel gelacht?
Na klar, wir haben Brian in der Band! Er ist ein richtiger Comedian. Wir lachen definitiv viel. Zudem ist unser Produzent Brendan O’Brien, mit dem wir jetzt das dritte Album realisiert haben, ein großer Motivator. Er hält die Sache so sehr am Laufen, dass man kaum mithalten kann. Deshalb klingt unser Album auch so frisch. Wir haben die Musik wieder in Vancouver aufgenommen, weil wir das Warehouse Studio so gut kennen. Die Arbeitsumstände waren wirklich exzellent.
Was macht Brendan O’Briens Art zu produzieren so besonders?
Zuerst einmal ist Brendan O’Brien selbst auch ein toller Musiker und Sänger. Zusammen probierten wir die Ideen aus, die Angus für das Album mitgebracht hatte. Brendan schraubt immer an zwei bis drei Sachen gleichzeitig herum. Während die Band im Parterre an der Musik arbeitet, feilt er mit Brian im ersten Stock an den Gesangsspuren. Der Mann ist immer in Bewegung. Mit ihm wird es nie langweilig.
Wer hat AC/DC eigentlich wieder zu einer funktionierenden Band gemacht?
Unsere Plattenfirma Sony ist vor einiger Zeit an Angus herangetreten. Er hat uns dann per E-Mail darüber informiert, dass er gern ein neues AC/DC-Album aufnehmen wolle. Er würde sich freuen, wenn wir wieder mit an Bord wären. Das ging eigentlich alles von ihm aus. Natürlich habe ich sofort ja gesagt.
Eigentlich hatten Sie sich doch längst ins Privatleben zurückgezogen.
Nach der „Rock Or Bust"-Tour bin ich in den Ruhestand getreten. Zu der Zeit war ich fertig. Ich dachte wirklich, das war es jetzt. Als ich dann aber hörte, dass es ein neues AC/DC-Album mit Phil, Brian, Angus und Stevie geben sollte, wollte ich daran teilhaben. Auch, um Malcolm zu gedenken.
Wird „Power Up" Ihr letztes Album mit dieser Band sein?
Ich sage niemals nie. Ein Schritt nach dem anderen. Wir haben jetzt dieses Album gemacht, mit dem wir sehr zufrieden sind. Im Moment bin ich happy. Punkt.
War Brian Johnson vollkommen genesen, als die Platte geplant wurde?
Vor ein paar Jahren, als Brians Hörprobleme anfingen, tat er sich mit einem Gentleman namens Stephen Ambrose zusammen. Ein In-Ear-Technologie-Experte, der ein alternatives Hörgerät entwickelt hat. Damit ist Brian wieder in der Lage, Musik zu hören und zu machen. Er kann es sogar im Alltag nutzen. Diese Technik befindet sich zwar noch im Stadium der Entwicklung, aber man kann jetzt schon sagen: Sie ist phänomenal. Ich habe es bei den Bandproben selbst ausprobiert. Exzellent. Brian ist mit diesen Geräten wieder funktionsfähig.
Wäre Axl Rose eine Option gewesen, wenn Brian Johnson dauerhaft ausgefallen wäre?
Ohne Brian und Phil wäre auch ich nicht zur Band zurückgekehrt. Das Ganze musste für mich Sinn machen. Deshalb galt es, AC/DC wieder zusammenzutrommeln – und zwar nicht mit Axl Rose, Chris Slade oder sonst jemandem. Alles andere wäre für mich keine Option gewesen. Verstehen Sie mich nicht falsch, Axl Rose hat einen super Job gemacht, indem er uns bei der „Rock Or Bust"-Tour aushalf. Aber das war das.
Haben Ihnen die Konzerte mit Axl Rose genauso viel Spaß gemacht wie die mit Brian?
Definitiv. Ich habe immer Spaß daran, live zu spielen. Axl ist ein großartiger Performer, aber es war für mich nicht dasselbe wie mit Brian. Ihn kenne ich schon so lange.
Angeblich waren Sie drauf und dran, mit Brian Johnson wieder auf Tour zu gehen.
Wir hingen drei Wochen in Amsterdam ab, wo wir ein neues Video drehten. Dort haben wir auch mit der kompletten Backline geprobt, um zu schauen, wie es mit Brian live funktioniert. Nach drei Wochen waren wir unheimlich gut eingespielt und sehr enthusiastisch. Aber es war genau die Zeit, in der Covid-19 anfing sich zu verbreiten. Bei unserem letzten Treffen sprachen wir darüber, ob wir nicht ein paar Liveshows spielen sollten. In welcher Form, war noch offen. Leider ließ die Pandemie es nicht zu, den Plan zu konkretisieren. Als wir wieder zu Hause waren, stand die Welt still.
Was war das für ein Gefühl, mit den anderen wieder live zu spielen?
Ich habe das in meinem Leben so oft getan, dass es mir in Fleisch und Blut übergegangen ist. Es ist sehr, sehr angenehm, mit Phil und Brian live zu performen. Mit Stevie Teil der Rhythmussektion zu sein, ist echt spannend. Die Jungs haben fabelhafte neue Songs geschrieben. Es ist toll, bei AC/DC mitzuspielen. Das ist meine Familie.
Wie viele Songs wurden für das Album insgesamt geschrieben?
Angus kam mit genau den zwölf Tracks ins Studio, die auf dem fertigen Album zu hören sind. Er und Malcolm haben im Lauf der Jahre einen Pool von Ideen und Riffs angelegt. Darauf kann Angus jetzt zurückgreifen. In diesem Fall hat er sich für zwölf Stücke entschieden, die er uns vorgespielt hat. Es ist seine Aufgabe, die besten Ideen auszuwählen. Die Aufnahmen waren relativ schnell im Kasten. Das war auch wichtig, weil das Album frisch klingen sollte. Hätten wir 20 oder 30 Titel zur Auswahl gehabt, wären wir aus dem Studio gar nicht mehr herausgekommen.
Wie streng ist die Qualitätskontrolle innerhalb der Band?
Die Qualitätskontrolle obliegt jedem einzelnen Bandmitglied. Er muss zuerst einmal so gut wie möglich spielen. Und dann entscheidet Angus, was er von den Aufnahmen gern auf Platte hören möchte. Als Nächstes kommt unser Produzent Brendan O’Brien ins Spiel. Er hat magische Ohren und sagt uns, was zu uns passt und was nicht.
Ist AC/DC eine demokratische Band?
Nun, wir sitzen alle im selben Boot.
Wurde im Studio viel über Sounds und Stil diskutiert?
Wir arbeiten seit vielen Jahren mit demselben Toningenieur zusammen: Mike Frazier. Er kennt unseren Sound genauso in- und auswendig wie wir und Brendan O’Brien. Am Anfang einer Album-Session probieren wir immer so lange herum, bis unser typischer Sound sich herauskristallisiert. Sehr hilfreich ist, dass wir das Tonstudio in Vancouver so gut kennen und wissen, wie wir unsere Verstärker und das Drumset zu positionieren haben. Mit denselben Leuten am selben Ort war es ein kurzer Prozess.
Der Sound von AC/DC ist unverkennbar. Haben Sie versucht, ihn zu erweitern oder zu modifizieren?
Wir jammen bei der Studioarbeit nicht viel. Wir sitzen eher in der Runde, wobei einer typischerweise anfängt zu spielen. Und dann steigt ein anderer mit ein. Im Studio konzentrieren wir uns darauf, die Songs aufzunehmen. Aber wir jammen natürlich hin und wieder nur zum Spaß.
Wird das Plattenmachen mit den Jahren leichter?
Es wird auf jeden Fall leichter. Da hat sich viel verändert. Früher arbeitete man mit Bandmaschinen, heute mit Pro Tools. Vieles geht uns auch leichter von der Hand, weil wir schon so lange zusammen sind. Wir wissen einfach, was zu tun ist, um einen bestimmten Sound hinzukriegen. Wir müssen nicht mehr so lange herumprobieren, bis es wehtut. Wir wissen, was wir wollen. Brendan bat uns zum Beispiel, verschiedene Backing Vocals auszuprobieren. Wir lieben es, Mitsing-Hymnen aufzunehmen.
Was ist das Wichtigste an Musik?
O Gott! Ich denke, das Wichtigste an Musik ist, dass man sie mit anderen teilt. Sie ist eine universale Sprache, der zuzuhören jedem Freude bereitet.
Sind Sie selbst überrascht, dass AC/DC noch ein Album aufgenommen haben?
(lacht) Nun, ein bisschen überrascht war ich schon, als wir’s fertig hatten. Schließlich war ich ja bereits aus der Band ausgetreten. Ich dachte eigentlich, das Ende meiner Karriere sei mit dem Jahr 2016 gekommen, nicht jedoch das von AC/DC. Ich hatte keine Ahnung, was die anderen so vorhatten. Und jetzt melden wir uns mit einer neuen Platte zurück. Echt irre!
Wie hatten Sie sich den Ruhestand eigentlich vorgestellt?
(lacht) Ich habe jetzt die sauberste Garage, die man sich vorstellen kann! Wir alle haben einen beträchtlichen Teil unserer Lebenszeit in die Band investiert, aber zwischen zwei Tourneen hatte jeder von uns immer auch ein paar Jahre für sich. Da hat man es sich gemütlich gemacht und Gewohnheiten entwickelt. Nach der „Rock Or Bust"-Tour war ich so weit, dass mir die Vorstellung vom Ruhestand keine seelischen Qualen mehr bereitete. Ich war sehr zufrieden, nicht mehr reisen zu müssen und zu Hause bleiben zu können.
Sie als Vollblutmusiker konnten das Leben als Privatier wirklich gut aushalten?
Sie sagen es. Die Leichtigkeit des Seins war für mich sehr erträglich. Dank meiner Hobbys neben der Musik. Ich bin Sportschütze und gehe gern auf die Jagd. Von Zeit zu Zeit gehe ich angeln. Meine Tage sind ziemlich ausgefüllt. Eine Zeit lang habe ich gemalt. Und dank Covid habe ich jetzt auch gelernt, wie man einen Burger auf dem Grill zubereitet, ohne ihn dabei komplett zu zerstören. Ich werde immer besser!
Die Bandmitglieder von AC/DC leben verstreut über den Globus. Verkompliziert das nicht die Zusammenarbeit?
Nicht wirklich, denn wir lebten schon immer an verschiedenen Orten. Nachdem Angus die Songauswahl getroffen hatte, beschlossen wir, wieder in Vancouver zusammenzukommen. Wir haben uns auch schon in London getroffen, um zu proben.
Das zu organisieren ist im Prinzip in Theorie und Praxis ganz einfach: Jeder von uns bekommt eine E-Mail mit einem Ticket für einen Flug zu dem Ort, an dem wir zu arbeiten gedenken mit entsprechendem Termin. Und dann geht’s los. Schwieriger wird’s, wenn wir uns mal zum Essen verabreden wollen. Das kommt auch nicht oft vor.