Mit dem 1:1 in Stuttgart erreicht Hertha BSC nur das Minimalziel – und muss sich nun wohl endgültig auf einen langen Abstiegskampf einstellen.
Wenn Pal Dardai auf Pressekonferenzen zu Späßen aufgelegt ist, hat das oft auch einen ernsthaften Hintergrund. Auf der Veranstaltung vor dem als ungemein wichtig eingestuften Auswärtsspiel in Stuttgart witzelte er so angesichts einer Journalistenfrage, wie man auf die Lufthoheit des zwei Meter großen VfB-Angreifers Sasa Kalajdzic vorbereitet sei: „Die Spieler hüpfen die ganze Woche im Training – sie hüpfen sogar auf dem Weg zum Essen." So versuchte Herthas Trainer, im Angesicht der schwierigen Aufgabe Lockerheit vorzuleben und zu verbreiten – nicht ohne dabei im Anschluss zu demonstrieren, die Antwort auf die Frage längst parat zu haben: „Im Ernst: Wir müssen die Flanken verhindern oder so viel Druck machen, dass sie nicht sauber kommen." Und auch konkret auf die Bedeutung der Partie angesprochen – nach zuletzt nur einem Punkt aus sechs Spielen und den folgenden Aufgaben gegen Leipzig und Wolfsburg –, spielte er diese herunter: „In meinem Leben gibt’s keinen Druck wegen eines Spiels – wir haben ein sehr schweres Programm, aber kein Druckspiel." Dabei sorgte die erwähnte Konstellation zwangsläufig für das Gefühl, dass Hertha BSC beim Aufsteiger zum Punkten praktisch verdammt war.
Im Zentrum des Interesses stand aber natürlich auch wieder Sami Khedira, obwohl er wie angekündigt zunächst wieder auf der Bank Platz nehmen musste. Schließlich verbrachte der Weltmeister von 2014 ganze 15 Jahre in den Reihen des VfB, durchlief dort die Nachwuchsabteilung und sorgte in seiner Debütsaison bei den Herren mit einem Kopfballtor im Mai 2007 für den vorerst letzten Meistertitel der Schwaben. So richtete sich auch ein nicht unerheblicher Teil der Aufmerksamkeit vor der Partie auf Khedira – auf diese Weise hatte er damit ebenfalls dazu beigetragen, die Drucksituation der Blau-Weißen abzumildern. Am Ende sollte der 33-Jährige dann sogar als Einwechselspieler in seinem insgesamt 100. Bundesligaeinsatz mit dafür sorgen, dass Hertha BSC erstmals unter Trainer Dardai einen Punktgewinn verzeichnen konnte.
Nach Ablauf der ersten 45 Minuten hatte das noch einen anderen Anschein gehabt: Zwar hielten die Hauptstädter in dem kampfbetonten Spiel zunächst mit, mussten dem Druck der Gastgeber aber zunehmend Tribut zollen. Nachdem der VfB einige gute Gelegenheiten – zum Teil begünstigt durch Unaufmerksamkeiten in der Berliner Defensive gerade bei Standardsituationen – ungenutzt gelassen hatte, gelang ihm in der Nachspielzeit des ersten Durchgangs doch noch der Führungstreffer. Ausgangspunkt war einmal mehr ein Freistoß, bei dessen Ausführung der Aufsteiger einen Trick eingebaut hatte, der am Ende ausgerechnet Kalajdzic freistehend zum Kopfball kommen ließ. Zwar gab es keine größeren Proteste über die zunächst getroffene Abseitsentscheidung des Schiedsrichtergespanns, die Videoüberprüfung ergab allerdings eine selbst im Standbild kaum erkennbare Positionierung des Torschützen auf gleicher Höhe mit dem letzten Mann der hintersten Berliner Linie, Krzysztof Piatek. Aufgrund der eigenen Vorstellung in der ersten Halbzeit durfte man sich auf Seiten von Hertha BSC über den Rückstand allerdings auch nicht beschweren. Eher stand zu befürchten, dass unter dem „neuen alten" Trainer auch das dritte Spiel ohne Punktgewinn enden würde – gerade angesichts der schwachen Darbietung in der Offensive.
„In unserer Situation hat jeder Punkt seinen Wert"
Erst nach einer knappen Stunde sollten Dardais Schützlinge die Initiative ergreifen und gegen nun passivere Stuttgarter über eine längere Phase das Spiel bestimmen. Das lag sicherlich auch an den Einwechslungen von Khedira sowie Nemanja Radonjic, die ein Signal für die Änderung des bis dahin gezeigten Spielstils darstellten. Nur eine Minute nach dem Tausch hatte Matheus Cunha bereits die Riesenchance zum Ausgleich, doch VfB-Abwehrspieler Waldemar Anton köpfte den Heber des Brasilianers kurz vor der Torlinie noch spektakulär aus der Gefahrenzone. So mussten die Berliner noch bange Minuten in ihrem Bestreben nach dem Ausgleich verbringen – letztlich half ihnen neben Geschick aber auch etwas Glück dabei. Ausgerechnet Sami Khedira sollte den entscheidenden Pass mit Augenmaß in den Strafraum spielen, wo der erst kurz zuvor eingewechselte Luca Netz direkt abschließen wollte. Dabei schoss sich der Youngster allerdings ans eigene Standbein, wodurch er VfB-Torwart Gregor Kobel in die linke Ecke schickte – und den „zweiten Ball" dann zum 1:1 ins rechte Eck spitzeln konnte. Der 17-Jährige, der eine Woche zuvor nicht mal im Kader stand und nun zu Herthas jüngstem Torschützen der Bundesligageschichte avancierte, zeigte sich nach Abpfiff überglücklich und kommentierte die Entstehung augenzwinkernd: „Das war eine gute Finte von mir."
Nach dem Schlusspfiff war man sich bei VfB wie Hertha dann im Grunde einig, dass das Unentschieden über die 90 Minuten gesehen ein leistungsgerechtes Resultat war. Doch legte Pal Dardai auch den Finger in die Wunde: „Die erste Halbzeit war nicht in Ordnung – ich bin aber zur Pause sachlich geblieben und habe gesagt, dass man so nicht Fußball spielen kann." Und obwohl mit dem 1:1 letztlich nur das Minimalziel erreicht wurde, wollte sich der 44-Jährige trotzdem nicht unzufrieden zeigen: „In unserer Situation hat jeder Punkt seinen Wert." Angesichts des anstehenden Programms könnte die Devise realistisch betrachtet sogar bis zum Spiel in Mainz zwei Wochen nach Ostern „Zähler für Zähler hamstern, wenn es sich ergibt" heißen. Schon am kommenden Sonntag (21. Februar, 15.30 Uhr) zu Hause gegen RB Leipzig spricht die Statistik für sich, denn alle vier Vergleiche im Olympiastadion gingen bislang deutlich an die Messestädter. Der erhoffte erste Sieg in Dardais zweiter Amtszeit könnte so weiter auf sich warten lassen – und seit dem letzten Dreier Anfang Januar gegen Schlusslicht Schalke 04 konnte die Mannschaft mit zwei Punkten und drei erzielten Toren in sieben Partien nicht gerade Selbstvertrauen tanken. Eine Tatsache, in der Herthas Trainer auch die Ursache für die enttäuschenden ersten 45 Minuten von Stuttgart sah: „Die Situation ist momentan so, dass es eine Blockade gibt – und die muss man lösen." So blieb ein erster Befreiungsschlag aus – stattdessen muss nun wohl als Hoffnungsschimmer gleich für die kommenden Wochen Dardais Erkenntnis aus der zweiten Halbzeit reichen, „dass die Mannschaft nicht in Panik verfallen ist".