Mehr als eine Milliarde Euro Schulden, Umsatzeinbrüche durch Corona von 125 Millionen und ausstehende Zahlungen für Transfers von fast 200 Millionen. Die finanzielle Situation des FC Barcelona ist bedrohlich – auch sportlich hängen die Katalanen hinterher.
Der spanische Spitzenklub, der in den vergangenen Jahren sportlich auf Rosen gebettet war, ist durch die anhaltende Corona-Pandemie und eine sportliche Identitätskrise tiefer in die roten Zahlen gerutscht, als bisher angenommen wurde. Medienberichte sind im Umlauf, in denen die Gesamtschulden des Vereins auf 1,17 Milliarden Euro beziffert werden. Davon seien 730,67 Millionen Euro kurzfristige Verbindlichkeiten, schreibt die Sportzeitung „Dario AS". Hauptgrund für die finanzielle Misere: zum einen die Corona-Krise. Mit der haben aber alle Vereine zu kämpfen. Zur bitteren Wahrheit gehören aber auch teuer eingekaufte Spieler und horrende Spielergehälter, die ein großes Loch in die sowieso klammen Kassen des Vereins gerissen haben. Der FC Barcelona steht mit satten 196 Millionen Euro aufgrund dieser Transfers in der Kreide. „Der vor Kurzem auf Barças Internetseite veröffentlichte Finanzreport ist schon einige Monate alt", erklärt Alex Truica, freier Journalist und Chefredakteur von barcawelt.de. Nach einem Bericht der Zeitung „Sport" wurde der Report schon am 17. August verfasst, aber jetzt erst veröffentlicht, weil wegen der Corona-Pandemie die Mitgliederversammlung nicht stattfinden konnte und die drei Präsidentschaftskandidaten Joan Laporta, Toni Freixa und Victor Font nun Einblick in die finanzielle Situation des Vereins haben müssen. Diese Art und Weise der Veröffentlichung geht auf das institutionelle Chaos zurück, das seit geraumer Zeit bei den Katalanen herrscht. Ex-Präsident Bartomeu stand viele Monate heftig in der Kritik und trat im vergangenen Herbst zurück. Laut Truica, war Bartomeu „berühmt berüchtigt dafür, dass er zwielichtige Dinge betreibt", meint der Barça-Fachmann. Unter Bartomeu sei „viel vertuscht" worden, „deshalb wundert es mich nicht, dass der Report erst jetzt aufgetaucht ist. Hätte er ihn damals veröffentlicht, hätte es seine Position noch mehr geschwächt".
So oder so: 2020 geht als ein Jahr zum Vergessen in die Geschichte des Vereins ein. Erstmals seit sechs Jahren gewannen die Katalanen keinen Titel. In der Meisterschaft musste man mal wieder dem großen Rivalen Real Madrid den Vortritt überlassen.
Ex-Präsident Bartomeu wird für viele Probleme verantwortlich gemacht
Und in der Champions League der Gau: Barça wurde vom späteren Cup-Gewinner Bayern München beim 2:8 gedemütigt. Der Club lag am Boden, Trainer Quique Setién musste gehen. Superstar Lionel Messi war tief gekränkt, schmollte, wollte im Sommer sogar den Verein verlassen, durfte aber nicht. Dafür schmiss Messis Gegenspieler hin. Der umstrittene Präsident Josep Bartomeu trat zurück, kündigte zuvor aber noch großspurig an, dass der FC Barcelona den Weg für die Teilnahme an einer europäischen Superliga frei gemacht habe.
Dass der Aufschrei nun so groß ist, liegt einzig und allein an der Höhe der Summe. „Zum ersten Mal wurde eine Milliarde überschritten, deshalb herrscht jetzt Alarmstufe Rot", meint Truica. Schulden hatte der Verein immer, auf der anderen Seite konnte der FC Barcelona immer gut mit Einnahmen aus sportlichen Erfolgen gegensteuern. Fast eine Milliarde Euro standen auf der Einnahmenseite – das ist jetzt aber nicht mehr der Fall. Dass der Umsatz nun um 125 Millionen Euro eingebrochen ist, hat die Situation deutlich verschlimmert. Corona hat bei den Katalanen zu schmerzlichen Einbußen geführt, auch wenn Barça immer noch der Verein mit den weltweit größten Einnahmen ist.
Viele Experten sehen Barça als „too big to fall" an – also als zu groß, um durch diese Krise kaputtzugehen. Für spanische Vereine sind Schulden nichts Ungewöhnliches, auch das geisterte schon jahrelang durch die Medien. Auch dass der spanische Fiskus gern mal ein Auge zudrückt. Gesehen bei Real Madrid, Barcelonas Erzrivale, den ebenfalls seit mehreren Jahren Schulden in mehrstelliger Millionenhöhe plagen.
Für die Verantwortlichen der Katalanen drängt die Zeit: Bis Ende Juni muss Barça 266 Millionen Euro an Bankkrediten zurückzahlen. Die wohl schnellste und einfachste Möglichkeit an Geld zu kommen, wäre wahrscheinlich der Verkauf der Namensrechte für das Camp Nou. Es wird wohl viele große Firmen geben, die interessiert daran wären, ihren Namen über dem Stadion des FC Barcelona prangen zu sehen. Als weitere Einnahmequelle wird der Verkauf von Spielern angedacht. Auch wenn es während Corona längst nicht so rentabel sein wird wie sonst. Geschehen ist das mit Luis Suarez (zu Atletico Madrid), Ivan Rakitic (FC Sevilla) und Arturo Vidal (Inter Mailand). Über die Art und Weise der Verkäufe wurde lang und breit diskutiert. Aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten war das aber unumgänglich. „Sie haben Suarez quasi verschenkt, weil sie sich sein Gehalt nicht mehr leisten konnten", erklärt Truica. Auch Rakitic und Vidal mussten gehen, weil Barça sie nicht mehr bezahlen konnte oder wollte. Der vor dieser Saison eingeleitete Umbruch sei zwar auch sportlich nötig gewesen, vor allem aber finanziell. „Barça wird versuchen, weiter Spieler zu verkaufen. Sie müssen Ausgaben reduzieren", stellt Truica fest. Dazu gehören vor allem die Gehälter, die in Barcelona bis ein Drittel höher sind als bei anderen großen Vereinen. Schon im vergangenen November hat Barcelona zu einem Gehaltsverzicht aufgerufen. Teile der Gehälter werden gestundet, erfolgsbedingte Prämien zum Teil erst in einigen Jahren ausgezahlt.
Messi kostet viel Geld, bringt aber auch Einnahmen
Wie im sportlichen Ensemble, nimmt Lionel Messi auch in dieser Geschichte eine große Rolle ein. Da der Vertrag des Argentiniers im Juni ausläuft, ist er im kommenden Sommer ablösefrei auf dem Markt. Wie so oft hat Messi sich aber noch nicht entschieden, ob er verlängert oder den Verein verlässt. Gerüchte um einen Wechsel zu Paris St. Germain gibt es schon länger, seit Messis Landsmann Mauricio Pochettino den Trainerposten bei PSG übernommen hat, verdichten sich die Spekulationen. Einen sofortigen Wechsel hatte Messi zunächst ausgeschlossen. „Letzten Sommer wollte er weg, durfte aber nicht", erinnert Truica an den Wirbel im vergangenen Jahr. Sollte Messi im Sommer gehen, würde Barcelona eine enorme Summe einsparen, allein Messis Fixgehalt soll laut „Spiegel"-Recherchen 71 Millionen Euro pro Jahr betragen.
Im ersten Moment würde der geneigte Fußballfan sofort dazu raten, dieses Gehalt einzusparen. Doch den Schaden aufzuwiegen, den der Verlust des Aushängeschilds mit sich bringen würde, könnte für die Katalanen im Nachgang viel teurer werden. Messi ist Identifikationsfigur, Vereinslegende, Werbe-Ikone und Barcelonas große Chance aus dieser Krise herauszukommen. So lange der kleine Argentinier für die Spanier aufläuft, wird es an Sponsoren nicht mangeln. Die spanische Zeitung „El Mundo" schrieb sogar, Barça stehe „am Rande des Bankrotts". Ohne Lionel Messi laufen sie Gefahr, endgültig in diesen Bankrott reinzusausen, ohne Hoffnung dass es innerhalb des Vereins jemand auffangen kann. Doch es gibt auch andere Stimmen: Viele sehen Messi als Ursache einiger Probleme. Für viele ist er der eigentliche Präsident Barcelonas. Wenn der manchmal als stur geltende Argentinier sich etwas in den Kopf gesetzt hat – dann bekommt er es auch. Auch Bartomeu ist unter anderem daran gescheitert. Und: Messi ist bereits 33 Jahre alt!
Und als gäbe es nicht schon genug Unruhe innerhalb des Vereins, hat „France Football" gleich noch einen kleinen Brand gelegt, bevor sich der FC Barcelona und Paris St. Germain in der Champions League gegenüberstehen. Auf ihrer Titelseite druckten sie Lionel Messi im PSG-Trikot ab. Auch Paris-Superstar Neymar hatte verlauten lassen: „Ich möchte wieder mit Messi spielen, das ist sicher." Die beiden Ausnahmefußballer bildeten bereits zwischen 2013 und 2018 ein Traum-Duo, gewannen mit Barça 2015 das Triple. Davon ist Messi mit seinen Katalanen weit entfernt. Und Messis Abschied könnte einem Bankrott sehr nahe kommen – auf den ersten Blick sportlich, aber auf den zweiten auch finanziell.