Mit seiner hohen Letalität gehört der Lungenkrebs zu den gefährlichsten Erkrankungen seiner Art. Die relativ junge personalisierte Therapie folgt einem neuen Ansatz – und greift in die Genetik des Karzinoms ein.
Die Überlebensraten bei Lungenkrebs liegen auch in Europa trotz leichter Verbesserungen insgesamt auf einem niedrigen Niveau." Zu diesem wenig Mut machenden Ergebnis kam das Robert Koch-Institut in seinem „Bericht zum Krebsgeschehen 2016". Demnach lag das durchschnittliche relative Fünf-Jahres-Überleben nach der Diagnose Lungenkrebs zwischen 2011 und 2013 für Frauen bei 20,8 Prozent und bei Männern bei 16,1 Prozent. Damit liegt das zwar jeweils etwa einen Prozentpunkt höher als im vorhergehenden Fünfjahreszeitraum – doch beruhigend für Krebspatienten ist das natürlich nicht.
Neue Techniken während der Therapie sollen die Letalität weiter senken und die Lebensqualität erhöhen. Was bei Lungenkrebs – der dritthäufigsten Krebserkrankung – die Heilung erschwert, ist das späte Stadium, in dem der Tumor erkannt wird – wie bei vielen Erkrankungen gilt eben auch hier: Je früher man die Diagnose stellt, desto wahrscheinlicher ist eine positiv verlaufende Therapie. Um mehr Zeit zu gewinnen, soll die Genetik dabei helfen, die Erkrankung besser zu verstehen und neue Behandlungsmethoden zu entwickeln. Diese werden „personalisiert" oder „individualisiert" genannt – was aber nicht bedeutet, dass die Therapien diese Eigenschaften vorher nicht gehabt hätten.
Vielmehr geht es darum, nicht nur den Menschen, sondern auch den Tumor zu untersuchen – in diesem Fall genetisch zu untersuchen. Hier wird der Tumor direkt adressiert, anders als bei einer Chemotherapie, die auch gesunde Zellen angreift und schädigt. Das gilt besonders für den nicht-kleinzelligen Lungenkrebs, der nach seinem englischen Begriff non-small cell lung cancer mit NSCLC abgekürzt wird. Dieser macht rund 75 Prozent aller Tumorarten beim Lungenkrebs aus, wie die Deutsche Lungenstiftung auf ihrem Portal lungenaerzte-im-netz.de mitteilt. Im Endeffekt sollen durch die personalisierte Therapie Wachstum und Überleben des Tumors beeinflusst werden. Sprich: Er soll sich nicht weiterbilden und sich im Idealfall sogar zurückbilden.
Die zielgerichteten Arzneimittel greifen also direkt in Abläufe ein, die prioritär für das Wachstum der Krebszellen sind. Sie können beispielsweise die Bindestelle zwischen dem Botenstoff und der Krebszelle, den Rezeptor, angreifen. Den Botenstoff kann man gezielt abfangen, um Moleküle zu stoppen, die Signale an die Krebszelle übertragen möchten. Andere Wirkstoffe werden in die Krebszellen eingeschleust, um auf dem Signalweg wichtige Signale zu blockieren.
Ermöglicht wurde diese Herangehensweise durch moderne, molekulare Diagnoseverfahren, die das genetische Profil des Tumors genauer analysieren können. Gewisse Merkmale eines Tumors lassen nicht nur darauf schließen, welches Gewebe betroffen ist, sondern lassen auch Rückschlüsse auf onkogene Treibermutationen zu. Dies sind Mutationen, also genetische Veränderungen, die eine wichtige Rolle bei Tumorwachstum und seiner Vermehrung spielen. Eine solche Veränderung ist beispielsweise eine Mutation, ein sogenannter Tumormarker, am EGFR (epidermal growth factor receptor) – einem Signalempfänger für einen Wachstumsfaktor, den sich Tumore zunutze machen.
Diese genetische Abweichung wird EGFR-mutationspositiv genannt und lässt sich bei rund zehn Prozent der Lungenkrebspatienten nachweisen. An der Außenseite der betreffenden Zellmembran befindet sich eine Andockstelle, an der ein bestimmtes Protein eben andockt und Signale aussendet, die den Tumor zum Wachsen anregen. Durch die EGFR-Mutation können sich Tumorzellen also unkontrolliert vermehren – und wachsen.
Analysiert werden Patienten mittels molekularer Testverfahren, den sogenannten Mutationsanalysen. Für die Analyse des Tumors wird bei einer Biopsie, einer Tumoroperation oder bei einer Bronchoskopie, also einer Lungenspiegelung, Gewebe entnommen, was zumeist in einer Lungenfacharztpraxis oder einem spezialisierten Lungenkrebszentrum umgesetzt wird. Bei manchen Patienten können Krebszellen auch aus dem Blut gewonnen werden. So werden die individuellen Tumormarker bestimmt, wodurch die zielgerichtete Behandlung gestartet werden kann. Jedoch werden nur die Patienten mit maßgeschneiderten Medikamenten behandelt, bei denen sie auch wirksam sind. Ansonsten wird konventionell behandelt.
Wie die Deutsche Krebsgesellschaft auf ihrem Onko-Internetportal mitteilt, gibt es mehrere sehr gute Therapien, die nach Verschreibung durch einen Arzt als Tabletten verabreicht werden können: Gefitinib und Erlotinib entstammen der ersten Generation, Afatinib und Dacomitinib der zweiten und Osimertinib ist aus der dritten. Durch Studien konnte festgestellt werden, dass diese „EGFR-Tyrosinkinase-Hemmer" (EGFR-TKI) das Wachstum des Tumors immerhin knapp ein Jahr blockieren. Die Wissenschaftler weisen jedoch darauf hin, dass es durchaus möglich sei, dass ein Lungenkrebspatient auch länger von der Therapie profitiert. Eine Chemotherapie verzögert das Wachstum „nur" um sechs Monate im Durchschnitt und bietet auch nicht die gleiche Lebensqualität wie die EGFR-TKI-Hemmer.
Dank der mittlerweile sehr umfangreichen Erfahrung weiß man sehr gut, wie sie wirken und welches Medikament sozusagen Standard in welcher Situation ist. Manchmal kämen auch Resistenzen vor, die man dann wieder neu testen müsse, um gegebenenfalls die Medikamente umzusetzen. Das gilt auch insbesondere bei den ALK-Inhibitoren, bei denen es mittlerweile auch weitere Substanzen gibt. Insofern sei es wichtig, dass Patienten in entsprechenden Zentren mit Erfahrung in solchen Therapien behandelt werden. Als häufigste Nebenwirkungen gelten Hautausschläge und Durchfall.
Bis zu fünf Prozent der Lungenkrebspatienten sind ALK-positiv. Das heißt, an der Anaplastischen Lymphomkinase (ALK) können Gen-Fusionen auftreten, durch welche die Zellen wuchern und das ALK-Gen dauerhaft aktiviert wird. Dieses dann neue Krebsgen wird als ALK-Fusion bezeichnet. Für die Therapie wird den Patienten der ALK-Inhibitor Crizotinib als Kapsel gereicht. Auf diese Art kann das Wachstum des Tumors rund acht Monate gestoppt werden. Auch hierdurch verbessert sich die Lebensqualität der Patienten. Als Nebenwirkungen wurden bislang Sehstörungen, Magen-Darm-Beschwerden und erhöhte Leberwerte nachgewiesen.
Neben den EGFR-Mutationen und ALK-Mutationen wird in manchen Lungenzentren bei Adenokarzinomen auch regelmäßig nach weiteren Mutationen beziehungsweise molekularen Veränderungen geschaut, für die es ebenfalls bereits Therapiemöglichkeiten gibt. Das sind im Einzelnen ROS-1-Mutationen, BRAF-Mutationen, c-Met- und NTRK-Mutationen. Damit man nicht alles nacheinander testen muss, wird eine solche Testung mit einem besonderen Verfahren, dem Next-Generation-Sequencing (NGS) durchgeführt. Hier kann man dann auch jeweils punktgenau die jeweilige Mutation bestimmen.