Der Auftakt zum Superwahljahr Mitte März in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist auch für die Bundesebene ein wichtiger Stimmungstest und vor allem ein Vorentscheid für Schwarz-Grün im Bund.
Am Sonntag, 14. März, werden um 18 Uhr alle politisch Interessierten garantiert vor ihren Bildschirmen hängen. Denn die Wahlergebnisse aus Stuttgart und Mainz sind dieses Jahr nicht nur für die Einwohner entscheidend, sondern könnten auch für ein politisches Erdbeben sorgen.
Aber man braucht Geduld. Zuerst wird das Votum der Wähler aus dem Ländle verkündet, doch da wird es vermutlich keine größere Überraschung geben. Der alte wird wohl auch der neue Ministerpräsident sein: Winfried Kretschmann. Der in seiner eigenen Partei nicht immer so beliebte Grüne führt die Umfragen an. Alles andere als seine Wiederwahl wäre ein Wunder.
Doch danach geht der Blick nach Mainz. Dort regiert derzeit noch Malu Dreyer in einem rot-gelb-grünen Bündnis. Doch ihre Umfragen sind nicht wirklich gut. Schafft es dort diesmal die CDU zu siegen, dann würde sich die derzeitige Stimmen-Parität in der Länderkammer, dem Bundesrat, zugunsten von Schwarz-Grün verschieben. Derzeit herrscht dort bei den Regierungsbeteiligungen ein klassisches Dreier-Patt: Die Union sitzt in elf Bundesländern in der Regierung, die SPD sitzt ebenfalls in elf, und auch die Grünen kommen auf elfmal Regierungsverantwortung in den Ländern.
Derzeit regieren in den Ländern acht bürgerliche und acht linke Bündnisse. Damit hat sich seit der letzten Bundestagwahl vor dreieinhalb Jahren das politische Gefüge in den Ländern endgültig in der bürgerlichen Mitte zentriert. Sollte nun tatsächlich in Rheinland-Pfalz die CDU einen Regierungsauftrag bekommen, stünde das Union-Links-Verhältnis neun zu sieben. Diese Stimmengewichtung spielt für die rein politischen Entscheidungen des Bundesrates zwar nur eine eher untergeordnete Rolle, wäre aber ein psychologisch wichtiges Signal für die derzeit schwarz-grünen Ambitionen beider Parteien bei der Bundestagswahl. Auch wenn Grünen-Chefin Annalena Baerbock und CDU-Chef Armin Laschet immer wieder betonen, dass sie ohne Koalitionsaussage in den Bundestagswahlkampf gehen wollen, ist die Marschrichtung klar. Denn, dass es um eine schwarz-grüne Bundesregierung geht, pfeifen längst alle Polit-Spatzen nicht nur von den Dächern der Bundeshauptstadt. Das linke Regierungslager in den Ländern könnte dann am 25. April einen weiteren Dämpfer bekommen: Thüringen. Eine weitere entscheidende Landtagswahl in der Frage, ob das politische Pendel weiter in Richtung Links ausschlägt oder eben nicht. Dort regiert derzeit Bodo Ramelow in einer Minderheitsregierung aus SPD und Grünen, geduldet durch die CDU im Erfurter Landtag. Über den Wahlausgang in dem Mittelgebirgsland trauen sich selbst geübte Meinungsforscher kein Urteil zu. Erinnert sei hier an den von der AfD mitgewählten Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmrich von der FDP. Er regierte im letzten Jahr Thüringen für genau 28 Tage. Dann übernahm wieder der Linke Ramelow das Amt des Ministerpräsidenten.
Machtverlagerung weiter in die bürgerliche Mitte
Doch die Wahl schlug Wellen: CDU und AfD wählten zusammen einen FDP-Ministerpräsidenten. Die damalige CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer zog die Reißleine und kündigte als direkte Folge ihren Rücktritt von der Parteispitze an. FDP-Chef Christian Lindner überlebte politisch diese Wahl, doch gilt er bis zum heutigen Tag als angeschlagen. Was das alles bei den Wählern in Thüringen angerichtet haben könnte, dazu will nicht einmal der – seit über fünf Jahrzehnten erfahrene – Wahlforscher und Forsa-Chef Manfred Güllner gegenüber FORUM etwas sagen: „Bitte sehen Sie es mir nach, aber das kann ich überhaupt nicht einschätzen, das wäre reine Spekulation."
Rein rechnerisch hat Thüringen im Herbst 2019 mit 50,1 Prozent bürgerlich-konservativ gewählt. Linke, SPD und Grüne kamen damals auf 44,4 Prozent. Aber laut letzten Umfragen ist es nicht unwahrscheinlich, dass Thüringen in der Länderkammer auch nach dem
25. April politisch weiterhin völlig neutralisiert ist und damit für das linke Lager im Bundesrat ausfällt. Denn die AfD ist ungewöhnlich stark, die Linke ebenfalls, aber mit SPD und Grünen ist in Thüringen politisch kein Blumentopf zu gewinnen, und die CDU liegt irgendwo bei 20 Prozent. Da eine Koalition mit der AfD auszuschließen ist, bleibt dann nur eine Vierer-Koalition, die sich in der Länderkammer generell enthalten wird, egal wie der Ministerpräsident heißt.
Die letzte Nagelprobe für Schwarz-Grün steht dann am 6. Juni in Sachsen-Anhalt an. Reiner Haseloff tritt nach zehn Jahren Ministerpräsidentschaft zum dritten Mal an. Der CDU-Mann gilt als unaufgeregt, führt eine schwarz-grüne Landesregierung und hat sich in dem Land an der Saale unterdessen einen Ruf als Landesvater erarbeitet. Seine Wiederwahl gilt als ausgemachte Sache, er kann nur hoffen, dass die AfD nicht zu stark wird, liegt sie doch direkt hinter der CDU auf Platz zwei. Vor allem aber muss er hoffen, dass SPD und Grüne nicht noch mehr Federn lassen müssen. Laut Umfragen könnte es sein, dass die Grünen etwas gewinnen, die SPD aber mit Ach und Krach ihr Ergebnis von 2016 (8,2 Prozent) halten kann. Damit wäre dann die letzte Landtagswahl vor der Bundestagswahl gelaufen, und im Bundesrat hätten sich die politischen Gewichte in Richtung bürgerliches Lager verschoben.
In den letzten Jahrzehnten war dies immer eine verlässliche Aussage für die bundesweite Stimmung der Wähler im Vorfeld einer Bundestagswahl, aber in diesem Jahr würde dies kein Wahlforscher so unterschreiben wollen. Es ist die Sondersituation in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, wo erstmals kein Straßenwahlkampf stattfinden kann. Doch dieser kommt vor allem den Volksparteien in den Ländern zugute. Wo die „Politik zum Anfassen" wegfällt, werden Plakate kleben und Online-Meetings umso bedeutsamer. Dabei fehlt eines aber besonders: die Nähe von Wahlkämpfenden zu Wählerinnen und Wählern.
Für den Bund erschwerend ist die beschriebene politische Sondersituation in Thüringen, wobei es hier nach Ostern noch einen Präsenz-Wahlkampf-Schlussspurt geben könnte. Nach FORUM-Informationen sind erstmals die großen Wahlkampfstrategen der Bundesparteien in wahren Schwärmen mit ihren Wahlkampfbeobachtern in den Bundesländern unterwegs, um vor Ort „Wahlkampf in Zeiten der Pandemie" zu studieren. Die Ergebnisse dieser Studien könnten für alle Parteien im Bund wahlkampfentscheidend sein.