Bei den Eisbären Berlin hat sich eine Paradereihe herausgebildet, die sich auf und neben dem Eis prächtig ergänzt. Alle drei Stürmer profitieren davon.
Im Sommer tauscht Leonhard Pföderl den Eishockey-Schläger gegen die Maurer-Kelle. Auch als Nationalspieler hilft der 27-Jährige in der großen Ligapause daheim in Bad Tölz im väterlichen Betrieb aus, wo er einst seine Maurer-Lehre absolviert und neben der Eishockey-Karriere eine 40-Stunden-Woche auf dem Bau abgespult hatte. Mit Starallüren hatte der aufstrebende Eishockeyspieler schon damals nichts am Hut, eine Einladung des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) zur U18-WM sagte er ab, weil er wichtige Kurse bei der Maurer-Innung besuchen musste.
Diese Bodenständigkeit hat sich Pföderl bewahrt, sie hilft ihm zurzeit auch, keine Höhenflüge zu bekommen. Denn der Stürmer der Eisbären Berlin sorgt in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) für Furore: Er erzielte neun Spiele in Folge mindestens ein Tor – Clubrekord! Den zuvor besten Lauf hatten Eisbären-Ikone Steve Walker (2009/10) und Sean Backman (2018/19, beide jeweils sieben Spiele). Doch die DEL-Bestmarke des Mannheimers Jan Alson (13 Spiele) aus der Saison 1998/99 knackte Pföderl nicht.
Ausgerechnet beim Duell gegen den abgeschlagenen Tabellenletzten Krefeld Pinguine, gegen die Schießbude der Liga, brachte Pföderl den Puck nicht im Netz unter. Kein Drama, denn beim 6:1 – dem vierten Eisbären-Sieg in Serie – setzte ein anderer Berliner einen Meilenstein: Marcel Noebels gelangen drei Torvorlagen und damit auch im 14. Spiel hintereinander Scorerpunkte. Das war zuvor noch keinem Eisbär geglückt. Auch Toptalent Lukas Reichel drehte mächtig auf. Die Parade-Sturmreihe Pföderl/Noebels/Reichel ist kaum zu stoppen und einer der wichtigsten Gründe, warum die Eisbären der Topfavorit in der Nord-Staffel sind. „Unsere Reihe passt perfekt, wir verstehen uns super", sagte Pföderl über das herausragende Zusammenspiel.
Das Toptalent Lukas Reichel dreht mächtig auf
In der Tat hat es so eine harmonische Reihe lange Zeit nicht gegeben bei den Eisbären. Das Trio ergänzt sich in seinen Stärken und Schwächen so gut, dass manche Experten sogar von der besten Sturmreihe in der DEL schwärmen. Fakt ist: In den ersten 16 Spielen sammelten die drei stolze 53 Scorerpunkte (20 Tore/33 Assists), und noch beeindruckender ist der Blick auf ihre Plus-Minus-Bilanz: Noebels +18, Reichel +11, Pföderl +12. Steht das Trio auf dem Eis, sind die Eisbären quasi unschlagbar. „Wir drei sind wirklich effektiv", sagte Pföderl grinsend zu den beeindruckenden Statistikwerten. Etwas mehr ins Detail geht bei der Analyse Teamkollege Noebels, der als Berliner Topscorer (24 Punkte) ebenfalls eine bislang überragende Saison aufs Eis legt. „Wir haben mit Leo eben einen Mitspieler, der weiß, wo das Tor steht", sagte Noebels über den „Vollstrecker" Pföderl. „Dem musst du zum Schießen nur die Scheibe geben. Lukas und ich sind dafür spielerisch mehr aktiv."
In der Tat ist für alle erkennbar, wie gut vor allem der erfahrene Noebels, 28 Jahre und Silbermedaillengewinner bei Olympia 2018, und das Toptalent Reichel (18) spielerisch harmonieren. Davon profitiert – sozusagen am Ende der Nahrungskette – der abschluss- und nervenstarke Pföderl. Manche Berliner Medien schrieben bereits von einer besonderen „Magie", die zwischen den drei Profis herrsche. Ganz so weit will Noebels nicht gehen. Für ihn ist die Sache viel einfacher: „Leo, Lukas und ich haben alle Spaß am Eishockey, und das sieht man auch an unserem Spiel." Alle drei seien auch privat „sehr gut befreundet", sie würden „so gut wie täglich auch etwas zusammen unternehmen". Freunde auf dem Eis tun sich bekanntlich leichter, für den anderen den entscheidenden Schritt zu gehen. Und am Ende profitiert jeder einzelne davon. Noebels zum Beispiel wirkt noch mal etwas spritziger und gefährlicher als im Vorjahr, als er zum besten Spieler der wegen Corona abgebrochenen DEL-Saison 2019/20 gewählt wurde. „Sein Spiel wird immer noch besser. Er ist immens wichtig für uns", sagte Trainer Serge Aubin. Den Hauptgrund für das konstant hohe Leistungsniveau kennt der Kanadier auch: „Was ihn ausmacht, ist sein Stellungsspiel. Wenn er nicht an der Scheibe ist, dann bringt er sich in Situationen, wo er diesen Spielzug machen kann." Und auch ganz wichtig: „Er arbeitet sehr, sehr hart."
Das trifft auch auf Reichel zu. Der Jungstar tritt nach seinem Erfolg beim jüngsten NHL-Draft, als er in Runde eins von den Chicago Blackhawks gezogen wurde, zwar deutlich selbstbewusster auf. Doch abgehoben ist der 18-Jährige keineswegs. Reichel hört auf die älteren Profis im Team, vor allem auf seine Sturmpartner Noebels und Pföderl. Und Reichel arbeitet im Kraftraum an seiner Physis und auf dem Eis an seiner Technik – mit Erfolg. „Er ist sehr stabil auf dem Eis und nur schwer von der Scheibe zu trennen", lobte Aubin. Der Eisbären-Trainer schenkt seinem Toptrio unendliches Vertrauen und viel Eiszeit, das Powerplay ist meistens Chefsache. Für die Gegenspieler sind Pföderl, Noebels und Reichel auch deswegen so schwer zu verteidigen, weil sie schwer auszurechnen sind. „Jeder von uns kann Center oder Außen spielen", sagte Pföderl. „Wir sind flexibel, unsere Variabilität ist unsere Stärke."
„Variabilität ist unsere Stärke"
Diese wird vom Trainer gefördert und gefordert, Pföderl zum Beispiel muss erstmals in seiner Karriere auch in Unterzahl spielen und bei den Bullys ran. Und Außenstürmer Reichel funktionierte Aubin zwischenzeitlich zum Center um. „Man muss mehr laufen, defensiv mehr aufpassen, die Mitspieler mehr unterstützen", sagte Reichel über die Umstellung. Mit dem erhöhten Druck, der nun auf ihm lastet, geht der Teenager scheinbar unbekümmert um. „Ich nehme das locker auf", sagte Reichel. Er nehme die neue Rolle in der Mannschaft „natürlich an" und gebe sein Bestes, „sodass ich irgendwann nach Chicago kann."
Den Traum von der großen NHL hatte Pföderl „noch nie", wie er sagt. Für den kantigen Bad Tölzer, der seine Karriere anfangs nur nebenbei vorangetrieben hat, ist es „eh ein Wunder, wie das alles für mich gelaufen ist". Man kann sich gut vorstellen: Ein Leben als Maurer würde Pföderl wohl genauso erfüllen. Vor allem jetzt, wenn der Angreifer in leeren Hallen auf Torejagd geht, stellt er sich mitunter die Sinnfrage. „Anfangs waren alle Spieler heiß auf den Saisonstart. Endlich wieder Eishockey", berichtete Pföderl. „Aber jetzt merkt man, dass das Wichtigste fehlt: die Fans." Trotzdem seien in dem Geschäft alle froh, dass sie ihrer Arbeit nachgehen können. Und wenn die Pandemie-Lage auch das nicht mehr zulässt, gibt es für Pföderl im heimischen Maurer-Betrieb genug zu tun.