Der Rapper Pablo Hasél wird zur Symbolfigur einer jungen Protest-Generation
Brennende Barrikaden aus Müllcontainern, verwüstete Geschäftsstraßen, Stein- und Flaschenhagel gegen die Polizei: Spanien erlebt eine Serie von Krawallnächten. In Barcelona, Madrid, Valencia und Granada gehen Tausende junge Menschen auf die Straße, um gegen die Festnahme und Verurteilung des katalanischen Rappers Pablo Hasél zu demonstrieren. Auch in zahlreichen anderen Städten Kataloniens wie etwa in Girona, Lleida, Reus oder Vic kommt es immer wieder zu Unruhen.
Der 32-jährige Musiker mit dem Künstlernamen Hasél war am Dienstag vergangener Woche verhaftet worden. Er hatte sich geweigert, eine neunmonatige Gefängnisstrafe wegen „Majestätsbeleidigung" und „Gewaltverherrlichung" anzutreten. Zwei Tage später wurde Hasél zu einer weiteren Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt, weil er in einem Verfahren gegen zwei Polizisten einen Zeugen bedroht haben soll.
Hasél hatte es in seinen Raptexten und auch per Twitter gewagt, das Königshaus anzugreifen. Die spanische Monarchie hat wegen Korruptions- und Betrugsverdacht des in Abu Dhabi untergetauchten Altkönigs Juan Carlos ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Der Sänger bezeichnete die Mitglieder der royalen Familie als „Parasiten" und betitelte Juan Carlos als „Mafioso". In seinen Songs verbreitete er aber auch schockierende Gewaltbotschaften über Spitzenpolitiker. Denen wünschte er wegen mutmaßlicher Untaten, „dass ihr Auto in die Luft fliegt" oder dass ihnen jemand „einen Schuss in den Nacken" jagt.
Hasél kritisierte seine Festnahme als Angriff auf die Kunstfreiheit. Erst verbarrikadierte er sich mit Ketten in der Universität seiner katalanischen Heimatstadt Lleida. Als ihn die Beamten schließlich abführten, rief er mit erhobener Faust: „Wir werden niemals den Mund halten."
Hasél, der mit bürgerlichem Namen Pablo Rivadulla Duró heißt, elektrisiert in Spanien nicht nur die Rappergemeinde. Er wird zur Projektionsfläche einer wütenden Protest-Generation, die sich nicht gehört fühlt. Der Konfliktforscher Jordi Mir García von der Autonomen Universität Barcelona spricht von „Frustration, Zorn und fehlenden Perspektiven" bei den Jugendlichen. „Die 20-Jährigen sind damit aufgewachsen, immer das Wort Krise zu hören."
Spanien hat sich bis heute nicht vom großen Finanzcrash 2009 erholt. Der Absturz der Immobilienpreise brachte die Banken in Schieflage, katapultierte den Staat an den Rand der Pleite und trieb Hunderttausende Familien in den Ruin. Die Corona-Pandemie verschärfte die Misere.
Vor allem die unter 25-Jährigen gerieten unter die Räder: Die Arbeitslosenrate in dieser Altersklasse liegt bei fast 40 Prozent, so hoch wie fast nirgendwo in Europa. Viele halten sich mit „contratos de basura" („Müllverträgen") gerade so über Wasser – sie werden nur tages- oder wochenweise bezahlt. Rund 30 Prozent aller Stellen im ganzen Land sind befristet. Der Mindestlohn liegt bei knapp über sieben Euro die Stunde.
„Wir können auf dem Arbeitsmarkt nicht wirklich Fuß fassen, weil wir sehr prekäre Beschäftigungsverhältnisse haben", klagt der Demonstrant Alex Cantón, ein 24-jähriger Fahrradkurier in Valencia. Aber auch die Älteren seien davon betroffen. „Wir gehen auf die Straße, um gegen Zwangsräumungen zu protestieren und die Stimme für Menschen zu erheben, die keinen Schutz haben", erklärt die 40-jährige Laura in Barcelona. „Die Verhaftung von Hasél ist nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte."
Eine ganze Generation, die vom regulären Arbeitsmarkt ausgesperrt ist, bedeutet eine Menge sozialer Sprengstoff. Was das Gefühl, abgehängt, von den politischen Eliten enttäuscht zu werden, anrichten kann, war am 3. November 2020 in den USA zu besichtigen: Rund 74 Millionen Amerikaner wählten Donald Trump. Viele davon hatten das Gefühl, zu den Verlierern der Globalisierung zu gehören. Firmen wanderten in Länder ab, wo Arbeit sehr viel billiger ist, zum Beispiel nach Mexiko oder China. Die Angestellten, die zurückblieben, mussten sich neue Jobs suchen, die wesentlich schlechter bezahlt waren. Ein Nährboden für Wut, Frust – und Gewalt.
Die Gesellschaften in Europa brauchen Wirtschaftswachstum, gewiss. Sie brauchen aber auch eine soziale Balance. Was derzeit in Barcelona, Madrid oder Valencia passiert, ist ein Fanal, nicht nur für Spanien.