Zahlreichen Autoren und Dramatikern wurde mit dem Kleist-Förderpreis zum Durchbruch verholfen – seit 25 Jahren wird die Auszeichnung an Nachwuchstalente verliehen. In diesem Jahr geht sie an die in Berlin lebende Autorin Ivana Sokola.
Noch hält sie den Preis nicht in den Händen, dennoch ist ihr jetzt schon die Freude darüber anzusehen. Ivana Sokola, glatter dunkler Bubikopf, stellt sich pandemiebedingt in einer Video-Pressekonferenz das erste Mal öffentlich vor. So richtig scheint sie es noch nicht verinnerlicht zu haben, dass gerade sie es ist, deren Text die Jury aus 114 Einsendungen ausgewählt hat. Das Stück „Kill Baby" spielt in einer Hochhaussiedlung an einem nicht näher bezeichneten Ort. Hier wohnen die 17-jährige Kitty, ihre Mutter Vicky und Sugar, die Großmutter, zusammen. Kitty ist ungewollt schwanger, von Maik, der ein paar Stockwerke höher wohnt. „Wie wird man mit einer solch unerwarteten Situation fertig?", fragt die Autorin oder lässt vielmehr ihre Protagonistin Kitty laut darüber nachdenken:
„Da ist was einfach weggesegelt …Ein Laken wird von den Leinen gerissen und schwebt schwankend, wie ein junger Geist zwischen den Blöcken, in den Bäumen … Um dann wieder aufgefangen zu werden und dahin zu fliegen, wo wir nicht mehr sehen können. Anders ist das mit einem Körper, einem kleinen, der kaum was kann, kaum was dafür kann, kaum gekonnt werden kann, aber zu alt ist, um einfach davon zu fliegen oder zu fallen, geschweige denn zu springen."
Unter 114 Einsendungen ausgewählt
Nachdenkliche, behutsame Worte sind das, die Ivana Sokola für den inneren Konflikt ihrer Protagonistin gefunden hat. Die versucht, Antworten, eine Lösung, zu finden. Was macht man, wenn man so jung ungewollt schwanger wird? Im weiteren Verlauf des Stücks wird klar, dass auch Mutter und Großmutter schon sehr früh Mütter geworden sind. Sie haben sich für ihre Kinder entschieden, dafür aber auf die Erfüllung ihrer Sehnsüchte und Träume verzichtet. Sie geben Kitty Ratschläge, teilen ihre Erfahrungen mit ihr. Doch für Kitty ist das ein Blick zurück, in die Vergangenheit. „Mich hat vor allem interessiert, dass für die Figur, die ich da beschreibe, diese Schwangerschaft ein Hindernis ist für ein Leben, wie sie es sich vorstellt. Also ein Schicksalsschlag im Alter von 17, wo das Leben losgehen soll und wo man sich fragt, wer will ich sein, wie kann ich mich selbst verwirklichen?" So beschreibt es die Bühnenautorin Sokola, Jahrgang 1995.
Sie ist in Hamburg geboren, hat kroatische Wurzeln. Schon als Kind sei sie gern ins Theater gegangen, erzählt sie. Nach dem Abitur hat sie zunächst Deutsche Literatur und Kunstgeschichte in Hamburg und Berlin studiert, sich dann aber für den Studiengang Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin (UdK) entschieden. Im Seminar Kinder- und Jugendtheater entstand dann die Idee zu ihrem Stück „Kill Baby". Mit all den Facetten der deutschen Sprache zu spielen, das habe ihr immer Spaß gemacht, sagt Sokola, auch beim Schreiben des Stücks „Kill Baby". Und die Jury des Kleist-Förderpreises hat genau das beeindruckt. Wie Vorsitzender Florian Vogel bei der Videopressekonferenz betonte: „Hier wird nichts geschönt … die Sprache fließt, so wie eine langsame Fahrt im Aufzug des Hochhauses vom zwölften Stock ins Erdgeschoss. Das Stück bietet starke Rollen für drei Frauen und ein Hochhaus. Ein Geschenk für das Theater und ein literarischer Wurf."
„Starke Rollen für drei Frauen und ein Hochhaus"
Sokolas Geschichte von Kitty aus der Hochhaussiedlung ist keinesfalls die Geschichte der Autorin selbst. Sehr wohl aber spricht sie für ihre Generation, vor allem für junge Frauen in einer verrückten Zeit, in der vieles hinterfragt, auf den Kopf gestellt wird. Schließlich muss ihre Generation auch mit den Fehlern der vorangegangenen Generationen klarkommen. Und – vielleicht das naheliegendste – erst einmal mit der Pandemie fertig werden. Dass es momentan keine Live-Kulturveranstaltungen gibt, man weder ins Theater noch ins Konzert gehen kann, das belastet auch Ivana Sokola. Sie vermisst ebenso die Treffen, den Austausch mit Kommilitonen und Freunden. Denn in „Nicht-Corona-Zeiten" gibt es gemeinsame Projekte von Studierenden der UdK und anderen Unis wie der Schauspielschule „Ernst Busch" – beispielsweise Werkstattinszenierungen und Workshops. Wie der Text von „Kill Baby" funktioniert, konnte die junge Autorin bereits in einer Theaterwerkstatt an der Berliner Volksbühne ausprobieren. Doch warum abwarten, bis das alles wieder direkt möglich ist? Ivana Sokola nutzt unterdessen die Zwangspause, die der kulturelle Lockdown ihr auferlegt hat: „Ich mag am Schreiben, dass das jetzt ein bisschen innerlicher wird. Ich schreib auch oft im Duo mit Jona Spreter, einem Kommilitonen von mir. Dabei überraschen wir uns mit Texten. Ich habe einen Ansatz, er schreibt den Dialog dann weiter, dann wiederum setze ich das Ganze fort." Das inspiriere, sagt Sokola, genau wie das Sichten von Filmen, wozu sie normalerweise keine Zeit hat. Für sie bedeute das alles zusammen „überwintern in der Pandemie".
Schon jetzt ist Ivana Sokola auf die Inszenierung ihres Stücks gespannt. Denn zum Kleist-Förderpreis gehört neben dem Preisgeld von 7.500 Euro immer auch eine Uraufführungsgarantie. Die übernimmt in diesem Jahr das Nationaltheater Mannheim in Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Kleistforum. Für die Regie konnte Sapir Heller, eine in Deutschland lebende israelische Theaterregisseurin, gewonnen werden.
Eigentlich sollen bald die Proben beginnen. „Das ist meine erste Uraufführung mit meinem ersten Stück", sagt Sokola. „Das ist sehr spannend, zu sehen wie sich das entwickelt und wie die ersten Reaktionen sind."
Selbst Regie zu führen könne sie sich allerdings nicht vorstellen, sie sei neugierig, welche Bilder Sapir Heller für das Stück finde, wie sie mit der Sprache umgehen werde. „Ein bisschen Mäuschen spielen, ohne einzugreifen, das wäre für mich ideal!"