Mit Trump ist ein Populist an der Spitze einer westlichen Demokratie abgewählt worden. Die nächste Nagelprobe für die EU aber kommt: Frankreich wählt 2022 einen neuen Präsidenten – oder eine Präsidentin. Die Gefahr eines Rechtsrucks in unserem Nachbarland steigt.
Schon Charles de Gaulle fragte: „Wie wollen Sie ein Volk regieren, das 246 Käsesorten besitzt?". Mag die politische Landschaft zu Beginn der 60er-Jahre in Frankreich noch überschaubarer als heute gewesen sein, die führende politische Elite in Paris wird bei unseren Nachbarn seit jeher kritisch beäugt. Sind die Franzosen aber wirklich so widerspenstig, revolutionär, aber reformresistent? Ist nichts mehr dran an der alt hergebrachten revolutionären Idee „das Herz schlägt links, das Portemonnaie sitzt rechts", was zumindest für einige Jahrzehnte lang für Zuverlässigkeit in der Politik sorgte, trotz einer Vielzahl spontaner Streiks und aus dem Nichts entstandener Bewegungen? Große Ereignisse werfen bekanntlich ihre Schatten voraus, und so richtet sich der Blick in der französischen Politik bereits heute auf das Jahr 2022. Dann will sich der amtierende französische Staatspräsident Emmanuel Macron seinen Landsleuten wohl erneut zur Wahl stellen. Doch die Aussichten für seine Wiederwahl sind derzeit alles andere als rosig. Zwar haben im November seine Zustimmungswerte nach regelmäßig durchgeführten Umfragen der großen Meinungsforschungsinstitute wie IFOP, Ipsos oder BVA etwas zugelegt, aber sie verharren schon seit Monaten bei unter 50 Prozent. Im Gegensatz zum europäischen Ausland ist Macron bei seinen Landsleuten nicht sonderlich beliebt. Schlechtes Krisenmanagement in Corona-Zeiten, eine neoliberale Politik, die die Schere zwischen Arm und Reich vergrößert, Steuer-Ungerechtigkeit hoch drei, seine Arroganz, das Image, Präsident der Reichen zu sein, und die schlechte wirtschaftliche Verfassung Frankreichs machen ihm die Franzosen zum Vorwurf.
Bereits zwei Schlappen für Macrons Partei
Alles Käse, könnte man meinen. Aber die Franzosen machen es ihren Regierenden prinzipiell nie leicht. Davon können die Amtsvorgänger von Mitterrand über Chirac bis hin zu Sarkozy und Hollande ein Lied singen. Die generelle Unzufriedenheit des Volks bekommt eben auch Macron zu spüren, zum Beispiel bei der kräftezehrenden Auseinandersetzung mit der Gelbwesten-Bewegung. Sie entstand vor gut zwei Jahren quasi aus dem Nichts und hat den ehrgeizigen Reformeifer Macrons, allen voran bei der vom Wähler ungeliebten Rentenreform, jäh ausgebremst. Und diese für Macron so unberechenbare Bewegung, die sich so recht keiner politischen Klasse zuordnen lässt, ist längst nicht am Ende. Nur wegen der Corona-Beschränkungen kann sie mit ihren spontanen und oftmals unangekündigten Protestveranstaltungen nicht so richtig durchstarten wie sie gerne würde.
Dann sind da die beiden Wahlschlappen seit seiner Präsidentschaft 2017: 2019 war der rechtsextreme Rassemblement National (RN) bei den Wahlen zum Europaparlament stärkste Partei geworden, eine Schmach für den Präsidenten; bei den Kommunalwahlen 2020 kauften ihm die nicht einmal mehr in der Nationalversammlung vertretenen Grünen mit der Eroberung zahlreicher Bürgermeisterposten in größeren Städten wie Lyon, Straßburg oder Grenoble den Schneid ab. Zu seiner Entschuldigung sei aber gesagt, dass die noch junge Partei Macrons, La République en Marche (LREM), in Kommunen nicht punkten konnte, da sie strukturell und organisatorisch vielerorts lokal nicht gut verankert ist. Eine letzte Chance vor den Präsidentschaftswahlen bekommt sie aber noch mit den Regionalwahlen voraussichtlich im Frühjahr und Sommer 2021.
Zu guter Letzt laufen der LREM in der Nationalversammlung die Abgeordneten weg. Von 314 Mandaten seit den Parlamentswahlen 2017 sind nur noch 281 übriggeblieben. Unzufriedenheit mit den nicht erreichten Zielen und die Konsequenz aus Macrons umstrittenen Kurs in der Corona-Krise sind wohl der Hauptgrund zum Beispiel für die Abspaltung und Gründung neuer Fraktionen wie das Mitte-Rechts-Lager Agir ensemble oder die neue linke Fraktion Groupe Ecologie démocratie solidarité. Trotzdem verfügt die Regierungspartei zusammen mit den Liberalen Mouvement démocrate um François Bayrou und dem gemäßigten konservativen Bündnis Agir um Franck Riester über eine regierungsfähige Mehrheit.
Dass Abgeordnete das politische Lager wechseln, kommt auch in Deutschland vor, aber wohl nicht in diesem Ausmaß. Eine Erklärung liefert dafür der frühere Diplomat Philippe Moreau Defarges: Die LREM sei aus einer Bewegung heraus entstanden. Gezielt habe Macron bei den Sozialisten, Grünen und den Konservativen im Wählerpotenzial gewildert und einigen damaligen Parteigrößen auch Ministerposten verschafft. Das Ergebnis: Die einst so stolze sozialistische Partei PS wurde pulverisiert, die Grünen aus der Nationalversammlung herausgewählt und die untereinander zerstrittenen konservativen Parteien zu zahnlosen Tigern degradiert. Die Kommunistische Partei PCF spielt eh keine Rolle mehr. Lediglich die Linke mit La France insoumise (LFI) um Parteichef Jean-Luc Mélenchon und der ultrarechte RN – früher Front National – um Marine Le Pen füllen die linken und rechten Ränder im Parlament und laufen vereint im Populismus mit ihren antieuropäischen Parolen weiter aus der Spur wie ein alter überreifer Camembert. Dass LFI nur 17 und der RN nur acht Abgeordnete in der Nationalversammlung stellen, hat in Frankreich allerdings mit dem Mehrheitswahlrecht zu tun.
Die Mehrheit im Parlament ermöglicht im Prinzip ein komfortables Durchregieren. Aber Frankreich wäre nicht Frankreich, wenn es keinen Groll gegen die führende politische Elite in Paris gäbe. Während Emmanuel Macron für seinen europafreundlichen Kurs vor allem in Deutschland hoch im Kurs steht, läuft den Kritikern zufolge innenpolitisch einiges aus dem Ruder und bringt die Parteienlandschaft mächtig in Bewegung. Schon wittern die auf knapp über fünf Prozent der Stimmen dezimierten Sozialisten um Generalsekretär Olivier Faure wieder Morgenluft, schließlich haben sie bei der Kommunalwahl im Sommer mit Bürgermeisterin Anne Hidalgo das prestigeträchtige Pariser Rathaus verteidigt. Und auch die republikanische Partei Les Républicains mit ihrem neuen Vorsitzenden Christian Jacob hat sich seit Oktober 2019 neu formiert, nachdem der ehemalige „rechte" Hoffnungsträger Laurent Wauquiez nach der Schlappe bei den Europawahlen zurücktrat. Die Grünen als Fraktion Groupe écologiste, selbst mehr Bewegung als Partei, machen dem Präsidenten das Leben schwer. Ihre Anhänger haben den unrühmlichen Abgang ihres beliebten Umweltministers Nicolas Hulot nicht vergessen und paktieren auf kommunaler Ebene daher lieber mit anderen Parteien als der LREM.
Ultrarechte wieder mit guten Chancen für die Stichwahl
Bleiben die Ewiggestrigen des RN auf der ultrarechten Seite um Marine Le Pen. Sie könnte 2022 wie schon 2017 in die Stichwahl um das Präsidentenamt einziehen. In ihren nimmermüde wirkenden Parolen gegen das politische Establishment in Paris und Brüssel macht sie aus ihrer ausländerfeindlichen und antieuropäischen Haltung keinen Hehl und versucht, die schlechte wirtschaftliche Lage und die Folgen der Gesundheitskrise und Globalisierung für sich zu nutzen.
Erschreckend, dass auch Mélenchon mit seiner LFI ins gleiche Horn bläst und den Franzosen weismachen will, die Krise sei mit einfachen Mitteln zu lösen.
Der linke und rechte Populismus sind en vogue – und offenbar sind linke Wähler sogar bereit, ins andere Lager zu wechseln. Eine Umfrage von IFOP und Sud Radio 2019 hat sogar ergeben, dass über 60 Prozent der Wähler von La France insoumise im Falle eines zweiten Wahlgangs Le Pen ihre Stimme geben würden. Der extrem linke Populismus als Steigbügelhalter des Rechtsextremismus? Die Debatte erinnert an das Vor-Trumpsche Zeitalter der USA, in dem der nun abgewählte Präsident Wählerschichten, die traditionell den Demokraten zugeneigt waren, auf sich vereinigen konnte. Allen gemeinsam war die Abneigung des politischen Establishments in Washington. Und das klingt wie die aktuelle Gemütslage vieler auf der extrem linken und rechten Seite des französischen politischen Spektrums. Wirklich profitieren kann Marine Le Pen vom schlechten Image des amtierenden Präsidenten jedoch nicht – vielleicht noch nicht. Die Wahl in Frankreich wird sicher auch eine Rückschau auf die Corona-Impfpolitik der Regierung. Und die steht wegen Verzögerungen aktuell hart in der Kritik. Was also tun in so einer Situation? Agieren, abwarten, neu durchstarten? Vielleicht erinnert sich Macron an das alte Sprichwort: „Käse erreicht seine nötige Reife und Würze durch liegen bleiben."