Der legendäre Saarbrücker Rathauszyklus von Anton von Werner aus dem Jahr 1880 erlebt in der Ausstellung „Monumente des Krieges" des Historischen Museums Saar seine Wiederauferstehung.
Nationalismus, Patriotismus, Kriegseuphorie, Personenkult, Reichsgründungsmythos: Für all das stehen die sieben großformatigen Historiengemälde, die lange Zeit als verschollen galten und nun erstmals nach 76 Jahren wieder öffentlich zugänglich sind. Einst waren sie in einem eigens dafür errichteten Anbau hinter dem alten Rathaus (heute Nanteser Parkplatz) am Saarbrücker Schlossplatz ausgestellt. Eine wahre patriotische Kultstätte entstand, zu der die Saarbrücker und Touristen in Scharen pilgerten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Bilder eingerollt und nur allzu gerne vergessen. Übersteigerter Nationalismus war nach 1945 gerade nicht mehr en vogue. In den 1990er-Jahren sorgten die beiden Saarbrücker Kunstsammler Klaus Gersonde und Paul Strieder dafür, dass fünf der sieben monumentalen Gemälde in Thüringen von russischen Restauratoren fachgerecht restauriert wurden.
Wer die Gemälde sieht, wird sich fragen, warum diese den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 verherrlichenden und verklärenden Werken gerade im Jahr 2021 ausgestellt werden. Zum einen spielt die 150-jährige Wiederkehr der Schlacht von Spicheren eine Rolle und der glückliche Umstand, dass es dem Historischen Museum Saar gelungen ist, diesen historisch bedeutsamen Zyklus der Saarbrücker Stadtgeschichte, aber auch der preußischen Geschichte, für seine Sammlung zu erwerben. Museumsdirektor Simon Matzerath bewertet den Ankauf gar als den größten in der Geschichte des 1985 gegründeten Museums.
Saarbrücker Stadtgeschichte wiederentdecken
Zum anderen ermöglicht die Ausstellung „Monumente des Krieges" die Bildsprache und die nationale Botschaft der sieben Bilder zu entlarven und gerade im Hinblick auf den aktuell aufkeimenden Nationalismus kritisch zu hinterfragen; also genau das Gegenteil dessen aufzuzeigen, was die ursprüngliche Intention war.
Als die Bilder 1880 auf Initiative des preußischen Kultusministers zur Erinnerung an den Beginn des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 und die darauffolgende Reichseinigung entstanden, sollten sie die heldenhaften Soldaten, die siegreichen Feldherren und die glorreiche Reichsgründung dem deutschen Volk nahebringen.
Hierfür porträtierte Anton von Werner, einer der bedeutendsten deutschen Historienmaler seiner Zeit, die wichtigsten Protagonisten: den preußischen König und späteren deutschen Kaiser Wilhelm I., den Reichskanzler Otto von Bismarck, den Chef des Generalstabs Helmuth Graf von Moltke und den Kronprinzen Friedrich in überlebensgroßen, heldenhaft komponierten Gemälden.
In einer Größe von 3,50 Meter auf 1,16 Meter blickten sie auf den Betrachter herab. Nicht weniger bombastisch fielen die Historiengemälde aus, die den Sturm auf den Spicherer Berg, die Ankunft des preußischen Königs in Saarbrücken und Victoria als Allegorie des Sieges über Frankreich und der damit verbundenen Reichseinigung abbildeten. Auch hier setzte der Maler auf monumentale Größe: 5,15 Meter auf 3,35 Meter – größer als Rembrandts „Nachtwache"!
„Aussagekraft aus heutigem Blickwinkel"
„Alles in diesen Bildern ist inszeniert", erklärt Simon Matzerath. So kam zum Beispiel der preußische König nur am Bahnhof in Saarbrücken an, nicht an der alten Brücke, wie das Bild dem Betrachter suggeriert. Ein „echtes Fake-Bild", würde man heute wohl sagen. Doch damals wussten alle, dass es sich um eine Inszenierung, keine getreue Nachbildung der historischen Ereignisse handelte. Ziel war ja nicht die Dokumentation, sondern die Emotionalisierung des Volkes für das geeinte Deutsche Kaiserreich."
Und genau in diese Kerbe schlägt das Ausstellungskonzept von Simon Matzerath und seinem Team, nur dass es diese einst beabsichtigte Aussage kritisch hinterfragt. „Wir verstehen uns nicht als Kunstmuseum, das Bilder zeigt, wir sind vielmehr ein kulturgeschichtliches Museum, das Gemälde in ihren Kontext setzt, ihr ‚Making-of‘ erklärt und ihre damalige Aussagekraft aus heutigem Blickwinkel geschichtlich kritisch einordnet."
Damit also kein neues Heldenpathos durch die Ausstellung hervorgerufen wird, entzaubert das Ausstellungskonzept den Rathauszyklus. Statt Preußens Glanz und Gloria nun ein Herausarbeiten von Kriegselend, Leid und qualvollem Sterben auf den Schlachtfeldern vor den Toren von Saarbrücken und in der Grenzregion.
So werden die Gemälde nicht wie einst in dem extra dafür angefertigten Rathaus-Anbau angeordnet. „Wir stören vielmehr die ursprüngliche Konstellation, hängen die Bilder neutraler und tiefer, statt auf zwei Meter auf 80 Zentimeter Höhe, damit den Bildern ihre Überlegenheit genommen wird. Der Ausstellungsbesucher erblickt die Bilder auch erst im hinteren Teil des Erdgeschosses. Außerdem wird der Besucher konfrontiert mit einer Pop-Art-Interpretation des Rathauszyklus, die mit einem PC und fünf aufeinander abgestimmten Beamern an die Decke des Museums projiziert wird. Hierfür arbeiten wir mit Professor Burkard Detzler von der Hochschule für Bildende Künste zusammen. Auf den ersten Metern der Ausstellung zeigen wir Tagebuchaufzeichnungen und Feldpostbriefe, in gleicher monumentaler Größe wie die Bilder von Anton von Werner, in denen weniger von Siegen und Helden die Rede ist, dafür von Angst und Todeserfahrungen. Diesen erschütternden Berichten setzen wir Zeitungsberichte oder Telegramme über die Heldentaten der Generäle und Soldaten gegenüber. Damit machen wir die zwei unterschiedlichen Sichtweisen des Krieges aus dem realen Erleben der einfachen Soldaten und die manipulative Inszenierung des Krieges dem Betrachter bewusst. In einem weiteren Schritt erklären wir das ‚Making-of‘ des Rathauszyklus: Die Gemälde sind ja geprägt von einem starken Realismus. Alles wurde intensiv vorgezeichnet, der Künstler hatte nur wenige Freiheiten, er musste seine Entwürfe der damaligen Landeskunstkommission vorlegen, die ihre Zustimmung erteilen musste. Anton von Werner war damals persönlich nach Saarbrücken gereist, ließ sich von französischen Malern über Briefe die Uniformen genau erklären, stellte einzelne Szenen im Atelier nach. Sogar das Abziehen des Kanonenrauches wollte er so realistisch wie möglich zeichnen. Dafür experimentierte er in Berlin mit seinem Schüler Carl Röchling."
Restaurierung live via Webcam
Im Obergeschoss des Museums wartet die Großprojektion eines Kriegspanoramas des weniger bekannten Künstlers Sylvester Reisacher. Vor 120 bis 150 Jahren erreichten solche gewaltigen Rundgemälde in eigens errichteten Rotunden ein Millionenpublikum, das sich an den dargestellten Schlachten ergötzte. „Das Spicheren-Panorama wurde später zerstört, doch unsere Großprojektion rekonstruiert es erstmals und vermittelt so eine Ahnung, welche gewaltige Wirkung es Anfang des 20. Jahrhunderts auf die Betrachter hatte."
Abgerundet wird die Ausstellung durch eine Dokumentation des deutsch-französischen Verhältnisses von 1871 bis heute, was eigentlich eine eigene Ausstellung wert wäre.
Wegen des noch dauernden Lockdowns wurde der ursprüngliche Eröffnungstermin vom 28. Februar in den März verschoben. „Eine digitale Eröffnung kam für uns nicht infrage", so Simon Matzerath. „Wenn alle Museen öffnen, werden auch wir unsere Pforten aufschließen. Für die ‚Monumente des Krieges‘ ist ein Live-Besuch vor Ort wahrscheinlich kaum ersetzbar."