Der Hamburger SV versucht sich zum dritten Mal an der Mission Wiederaufstieg. In der derzeitigen Situation werden Erinnerungen wach an die vergangenen Jahre. Besonders prekär: Der HSV beginnt wieder damit, sich selbst zu zerlegen.
Zu Beginn steht eine kleine Reise in die Vergangenheit. Der Hamburger SV steigt ab, spielt in der darauffolgenden Hinrunde in der 2. Bundesliga überragend und steht verdient auf Platz eins. Doch nach einer unterirdischen Rückrunde mit nur 19 Punkten steht bereits am vorletzten Spieltag fest, dass der einstige Bundesliga-Dino erneut in der 2. Liga antreten muss. Die Saison 2019/20 läuft für den HSV sogar bis zum 31. Spieltag gut – die Rothosen stehen auf einem Aufstiegsplatz. Doch dann zeigen die Hamburger Nerven, holen in den letzten drei Spielen nur einen Punkt. Der geplante Aufstieg misslingt erneut.
Die Ruhe war trügerisch
In der Gegenwart zeichnet sich ab, dass der Hamburger SV nun mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat. Ein sicherer Vorsprung wurde mittlerweile wieder verspielt, das Rennen um den Aufstieg ist so spannend wie nie. Mit der peinlichen Pleite beim abgeschlagenen Schlusslicht aus Würzburg fing es an. „Wir waren nicht richtig im Spiel und haben die nötige Einstellung etwas vermissen lassen", bilanzierte Kapitän Tim Leibold folgerichtig. Auch Trainer Daniel Thioune haderte mit der Leistung seiner Mannschaft und kündigte an: „Wir werden besser spielen müssen und werden." Doch am vergangenen Montag kam es zum Super-Gau. Das Stadt-Derby beim FC St. Pauli wurde mit 0:1 verloren. Zudem flog Kapitän Leibold vom Platz. Nun stehen die Spitzen-Duelle gegen Holstein Kiel und den VfL Bochum an. Die Probleme sind offenkundig.
Manche Spiele gewinnt das Team aufgrund der hohen individuellen Qualität. Aber die fehlende Konstanz ist ein wichtiger Bestandteil. Denn durch die fehlende Stabilität in wichtigen Momenten schleicht sich erneut ein Gefühl der Unsicherheit in die Mannschaft ein.
Das lässt sich auch an Spielern festmachen. Sven Ulreich, der als Führungsfigur Ruhe von der Torwartposition ausstrahlen sollte, ist nicht der erhoffte Leistungsträger und Anführer. Die „Bild"-Zeitung, in Hamburg ohnehin wenig zimperlich, stellte vor Kurzem die Torwart-Frage. Erneut ein Unruhefaktor. Hinzu kommt die derzeit wackelnde Innenverteidigung der Hanseaten. Durch den verletzungsbedingten Ausfall von Abwehrchef Toni Leistner fehlt im Abwehrzentrum schlicht und ergreifend die Qualität. Das zeigt sich auch bei der Anzahl der Gegentore: Unter den Top-Teams hat der HSV die meisten Treffer kassiert.
Eine Abwehrschwäche kann auch ausgeglichen werden, wenn die Offensive famos aufspielt. Doch zu den Abwehrproblemen des HSV gesellt sich dann auch noch ein stockender Angriffsmotor. Im Gegensatz zur Hinrunde fällt es den Rothosen nicht mehr so leicht, Tore zu erzielen. Wenn sie welche erzielen, schläft meistens die Defensive. Um auch diese Krise an einer Person festzumachen, ist sicherlich Simon Terodde zu nennen. Der Top-Torjäger hat immer noch eine Top-Quote, jedoch hat er im Gegensatz zur Hinrunde ein wenig nachgelassen. Ihm dafür allein die Schuld zu geben, ist auch aufgrund seiner Spielweise falsch. Der bullige Stürmer ist eher der Typ Strafraumstürmer, der auf seine Kollegen angewiesen ist – und die lassen ihn größtenteils im Stich. Sowohl in Sachen Vorlagen, aber auch in Sachen Treffer. Diese Abhängigkeit birgt gerade im Saisonendspurt eine große Gefahr. Eine Verletzung oder ein anhaltendes Formtief des Stürmers würde bei HSV-Anhängern und -Verantwortlichen wohl für Schweißausbrüche sorgen.
Welche Rolle spielt Investor Kühne?
Doch der HSV wäre nicht der HSV, wenn es zusätzlich zu einer kleinen sportlichen Krise nicht auch noch eine monumentale Krise innerhalb des Vereins gäbe. Denn nach einem monatelangen Streit der Führungsspitze ist diese jetzt geschlossen zurückgetreten. Das Präsidium um Marcell Jansen habe sich gemeinsam dazu entschlossen, mit sofortiger Wirkung seine Ämter zur Verfügung zu stellen, heißt es in einer Mitteilung des Hamburger SV an seine mehr als 87.000 Mitglieder. Der Schritt bringt eine überraschende Wende in einen seit Monaten schwelenden Machtkampf unter den Lenkern des Fußballvereins. Auf der nächsten ordentlichen Mitgliederversammlung im Sommer soll dann ein neues Führungsgremium gewählt werden. Doch warum sind Marcell Jansen, Thomas Schulz und Moritz Schaefer zurückgetreten? Zwischen den Dreien herrschten seit einiger Zeit unüberbrückbare Differenzen.
Unter anderem stritten sie um Kandidaten für den Aufsichtsrat der Fußball-AG und um den möglichen Verkauf weiterer Anteile. Nicht einmal auf einen Termin für eine außerordentliche Mitgliederversammlung konnten sich die drei verständigen. Bei der Versammlung sollte es unter anderem um einen Abwahlantrag gegen Vize Schulz gehen. Den hatte der HSV-Ehrenrat – unterstützt von sämtlichen Vereinsgremien – eingebracht mit der Begründung, das Handeln von Schulz sei nicht mehr tragbar. Alle Gremien hätten das Vertrauen in Schulz verloren, hatte der Ehrenrat mitgeteilt. Konkreter wurde der Antrag nicht, und Schulz wies die Vorwürfe tags später in einem Facebook-Post zurück. Mit dem nun erfolgten Rückzug des Präsidiums ist die außerordentliche Mitgliederversammlung hinfällig.
Jansen, der seit Januar 2019 Präsident des Hamburger SV war, genießt die Rückendeckung aller Gremien und auch die von Investor Klaus-Michael Kühne. Der Riss zwischen Jansen und seinen beiden Mitstreitern ist aber keineswegs neu. Schulz und Schaefer waren noch als Mitglieder des Teams von Bernd Hoffmann in das Präsidium eingezogen. Hoffmann wurde 2018 zum Präsidenten gewählt, aber im März 2020 vom Aufsichtsrat beurlaubt. Jansen wurde daraufhin der neue starke Mann des Vereins. Der Riss zwischen ihm und seinen beiden Stellvertretern wurde dann im Laufe der Zeit immer stärker sichtbar. Bis zum 30. Juni muss der Aufsichtsrat wieder von fünf auf sieben Personen aufgestockt werden. Erhalten bleiben wird Jansen aber dennoch: Trotz seines Rücktritts als Präsident wird er im Aufsichtsrat bleiben. Zumindest vorerst.
Höhepunkt einer Schlammschlacht
Und während der Hamburger SV derzeit sportlich in dieselbe Spirale wie in den vergangenen Jahren rutschen könnte, zeigt sich erneut, dass bei den Rothosen auch innerhalb der Vereinsspitze immer wieder altbekannte Fehler gemacht werden. Der Rücktritt des Präsidiums-Trios – er war der Höhepunkt einer Schlammschlacht, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten hinter den Kulissen abgespielt und hochgeschaukelt hatte. Doch wie soll es jetzt in der Führungsetage weitergehen? Jansens Gegenspieler Schulz forderte die Mitglieder derweil in einem Video auf, zur für den Sommer nach dem Ende der Zweitliga-Saison geplanten Versammlung „zahlreich zu erscheinen", wenn das neue Präsidium gewählt wird: „Dort habt Ihr die Möglichkeit, zu gestalten und mitzuwirken. Nutzt diese Möglichkeit zum Wohle unseres Vereines." Dieses Wohl des Vereins könnte dann aber wieder in die Hände von Marcel Jansen fallen. Wie das „Hamburger Abendblatt" berichtet, will der Ex-Nationalspieler mit neuen Mitstreitern kandidieren. Bei Thomas Schulz gilt eine erneute Kandidatur als unwahrscheinlich. Moritz Schaefer als Dritter im Bunde will sich bislang nicht öffentlich dazu äußern, ob er sich abermals zur Wahl stellt.
Auch ohne aktives Präsidium müssen in den kommenden Wochen wichtige strukturelle Fragen beantwortet werden. Vor allem sportlich zeigt sich dieses Wirrwarr innerhalb des Vereins derzeit auf dem Platz. Die Rede ist zwar immer davon, dass Profis so etwas nicht tangiert oder zumindest tangieren darf – meistens gehen sportliche Krisen aber auch immer mit Krisen im Management und der Führungsetage einher. Ruhe hatte der HSV auf diesen Positionen noch nie für eine lange Zeit. Der Hamburger SV hat in diesem Jahr erneut die Chance, auf die Bühne der 1. Bundesliga zurückzukehren. Aber es scheint so, als könnte der Verein es erneut vermasseln. Derzeit rangiert der Verein nur auf dem vierten Platz. Die Fans werden sich ein wenig an „Dinner for one" erinnert fühlen. Da wird auch Jahr für Jahr dasselbe Theaterstück gespielt. Der Hamburger SV ist auf dem besten Weg, die Vergangenheit erneut zu wiederholen.