Die Pandemie verlangt uns einiges ab. Kein Wunder, dass sich viele nach Ablenkung sehnen. Verlage berichten von einer enormen Nachfrage – insbesondere im Segment der auf Thrill und Kombinationsgeschick setzenden Escape- und Rätselgames. Auf was sollten Einsteiger achten? Und welche Spiele sind empfehlenswert?
In Corona-Zeiten wird in Familien, WGs und Paarhaushalten so viel gespielt wie lange nicht. Dass der Boom neben Konsolen- und PC- auch analoge Spiele betrifft, bestätigt unter anderem eine aktuelle Umfrage des renommierten Instituts für Demoskopie Allensbach. Demnach vergnügen sich rund 33 Millionen Deutsche zumindest ab und an mit Gesellschaftsspielen, 5,6 Millionen tun das sogar regelmäßig – Tendenz steigend. Die Umsatzmeldungen der Spieleverlage unterstreichen den Trend. Bereits die Halbjahreszahlen 2020 wiesen ein Plus von rund 20 Prozent gegenüber dem (ohnehin respektablen) Vorjahr aus. Angesichts der erneuten Lockdown-Wochen seit November sowie des traditionell starken Weihnachtsgeschäfts dürfte sich diese Entwicklung noch verstärkt haben (entsprechende Branchenzahlen liegen derzeit noch nicht vor). Ein Segment verzeichnet dabei besonders starke Zuwächse: Escape- und Rätsel-Games. Hierbei geht es in der Regel darum, als Kleingruppe einen kriminalistischen, mystischen oder magischen Vorfall innerhalb einer bestimmten Zeit zu lösen. Und wie? Indem verschiedene Zwischenrätsel und die Zusammenhänge etwa zu einem Mordfall aufgedeckt werden. Statt um Würfelglück und Jeder-für-sich-Mentalität geht es um Kombinationsgabe und Teamgeist.
Mithilfe von Rätseln aus einem Raum fliehen
Wer in diese Art von Spielen neu einsteigt, sollte dabei folgende, in der jeweiligen Beschreibung ersichtliche Aspekte beachten. Erstens: die Spieldauer. Es gibt Spiele, die innerhalb von 15 Minuten zu schaffen sind und sich daher perfekt für eine kurze Pause oder eine schnelle Runde zwischendurch eignen. Für die meisten sollte man jedoch längere Zeit einplanen, etwa eine bis eineinhalb Stunden. Krimi-Dinner hingegen haben regelrechten Eventcharakter und können locker den gesamten Abend füllen. Zweitens: die Spieleranzahl. Im Vorfeld sollte klar sein, wie viele Personen teilnehmen. Ein Spiel für sechs Leute zu kaufen, ergibt wenig Sinn, wenn nur zwei anwesend sind. Andersherum gilt freilich dasselbe. Gut zu wissen: Mal von Krimidinnern, die mindestens fünf, eher sechs Mitwirkende bedingen, sind die meisten Spiele für zwei bis vier Personen konzipiert, einige wenige lassen sich auch alleine spielen. Allerdings fehlt hier natürlich der Charme des gemeinsamen Rätsellöserfolges. Drittens: die Story hinter dem Spiel. Gerade bei dieser Gattung macht die zum Spielen animierende Geschichtskulisse einen Gutteil der Spannung aus. Und hier kommt es auch auf das Alter der Spieler und den eigenen Geschmack an: Mal geht es um einen durchgeknallten, aber eher harmlosen Professor, der bei der Erfindung eines klebrigen Schleims gestoppt werden muss, mal um Pyramidenforscher, die auf jahrtausendealte Rätsel stoßen, mal um ein rasch zu reparierendes U-Boot-Leck in der Tiefsee, mal um einen flüchtigen Killer in der Tiefgarage oder eine einsame Waldhütte, in der eine Psychopathin haust. Klingt gruselig – und wird durch passende Musik noch gruseliger. Entsprechende Links zum Audiostreamen werden oft mitgeliefert. Viertens: das Schwierigkeitslevel. Der vermutlich wichtigste Punkt. Denn sowohl Unter- als auch Überforderung sorgen für lange Gesichter. Ständig zu den Auflösungen zu blättern, macht auf Dauer keinen Spaß, ebenso wenig wie „durchzumarschieren", ohne viel grübeln zu müssen. Daher sollten Käufer unbedingt auf die Levelangabe „leicht", „mittel" oder „schwer" achten – oder wahlweise auf die Spielbeschreibung respektive die Altersangabe. Spiele, bei denen es um viele Denkaufgaben geht, haben in der Regel den Verweis „ab zwölf Jahren". Steht dort ein „ab 16 Jahren" deutet das weniger auf eine noch schwerere Art der Rätsel als auf eine tendenziell blutrünstigere oder anderweitig makabre oder gewalttätige Handlung hin. Gut zu wissen: Viele Spiele können nur einmal zum Einsatz kommen, da mitunter bestimmte Karten- oder Heftteile zerschnitten, gefaltet, beschrieben oder beklebt werden müssen – und danach unbrauchbar sind.
Das gilt etwa für die mit mittlerweile mehr als zehn Millionen verkauften Exemplaren extrem erfolgreiche „Exit – Das Spiel"-Reihe von Kosmos, die brettspielgewordene Version der ebenfalls sehr beliebten Escape-Rooms. Während es bei Letzterem in der Regel darum geht, als Gruppe mithilfe diverser Rätsel aus einem meist aufwendig dekorierten, echten Raum zu gelangen, sieht die Brettspielvariante für den Küchentisch so aus: Nachdem die Grundgeschichte vorgelesen ist, tickt die Zeit. Innerhalb 60 Minuten zieht die Spielgruppe „im Kopf" in verschiedene Räume. Dabei hilft, dass diese in der Regel auf einem Spielplan skizziert sind. Auf jeden Fall hangelt man sich von Rätsel zu Rätsel (mal sind es codierte Zeichen, mal in einem Bild versteckte Hinweise, mal „seltsame Gegenstände", die beigelegt sind und dechiffriert werden müssen) und deckt so immer weitere Geheimnisse auf, um schließlich aus der verlassenen Hütte zu entfliehen, den Mörder im Zug zu überführen oder sonst wie den Fall zu lösen. Allein bei Kosmos gibt es mittlerweile 20 davon, und dank dem überschaubaren Preis unter 15 Euro sind hier auch Folgekäufe gut vorstellbar. Für 2021 sind indessen weitere Sequels versprochen.
Ein Giftanschlag auf Könige soll verhindert werden
Wobei auch die Mitbewerber gute Vertreter ins Rennen schicken. Das Ravensburger-Programm weist mittlerweile drei durchaus aufwendiger gestaltete Geschichten in seiner „Escape the Room"-Reihe auf. Noris bündelt mehrere Abenteuer in einer „Escape-Room"-Box, von der auch schon mehr als ein halbes Dutzend veröffentlicht sind. Auch schön: die mittlerweile vier Brettspielfälle von „Hidden Games", die als Live-Escape-Room-Anbieter in vier Städten groß wurden. Ars Edition wiederum bietet eine Handvoll unterschiedlicher Krimispielversionen für Kinder und Erwachsene an. Wobei sich die Episode „Blutige Spur" eindeutig an zumindest Jugendliche wendet. Schließlich schlüpfen die Spieler in die Rolle eines Spezialisten für verzwickte Kriminalfälle. Als solcher verfolgen sie die Spur einer Reihe von Paketen, die Körperteile eines nicht identifizierbaren Leichnams enthalten. Im weiteren Verlauf gelingt es, den Absender ausfindig zu machen und ihn in einem abgelegenen Landhaus zu stellen. Doch, soviel sei hier verraten, es läuft nicht rund, und schnell finden sich die Spieler mit einem verräterisch tickenden Metallband um ihr Genick in einer dunklen Abstellkammer wieder. Auch jetzt sind wieder Teamgeist, Kreativität und Kombinationsgeschick gefragt, um sich aus dieser Situation zu befreien. Dabei helfen 50 spannende Karten, die im Übrigen auch reichlich interaktiven Rätselspaß an ungewohnten Orten oder unterwegs ermöglichen.
Escape-Spiele gibt es mittlerweile auch in Puzzle-, Adventskalender-, Online- oder Buchform. Unter dem Titel „Escape Adventures" ist davon sogar eine ganze Buchspielreihe, die sich insbesondere für Einsteiger zwischen zehn und 13 Jahren eignet, erschienen. Zu Beginn bekommen die jungen Leser eine kurze, aber verständliche Einführung in den Spielmechanismus sowie den Hinweis, dass gelegentlich Schere, Papier und Stift benötigt werden und eine Doppelseite aus der Buchmitte herauszutrennen ist. Dann geht es los, im Buch „Von Königen und Alchemisten" etwa in die Vergangenheit. Konkret soll ein Giftanschlag auf mehrere Könige während einer mordswichtigen Friedensverhandlung verhindert werden. Schritt für Schritt rätseln sich die Spieler durch das Buch, wobei eine große Karte hilft, die beschriebenen Orte besser wiederzufinden. Ferner steht ein Krämerladen zur Verfügung, so sie denn genug Münzen gesammelt haben, um dort einkaufen zu können. Am Ende muss man die Frage nach dem Attentäter durch geschicktes Kombinieren und Prüfen von Alibis beantworten – was am besten mit vereinten (Denk-)Kräften gelingt.
Für ältere und technikaffinere Spieler ist „Chronicles of Crime" ein echter Tipp. Aufregend: Hier findet ein Großteil in einer Smartphone-App statt. Durch zukaufbare 360-Grad-Virtual-Reality-Einsichten der Tatorte kann dieses Erlebnis sogar noch gesteigert werden. Bei dieser smarten Kombination aus analogem und digitalem Spiel ist jedenfalls alles – jede Ortstafel, jede Hinweis- und jede Charakter-Karte – mit einem QR-Code versehen. Per Scan kann das Scotland-Yard-Team, dem die Spieler angehören, Zeugen befragen, Experten um ihre Meinungen bitten, und vieles mehr. Interaktivität vom Feinsten! Alle Erkenntnisse können dann dank Spielbrett und Karten analog visualisiert werden, während die App im Hintergrund weiter ihren Dienst leistet und einen atmosphärischen Soundtrack abspielt. Sobald die Gruppe glaubt, den Fall gelöst zu haben, fährt sie (auf dem Spielbrett) ins Präsidium und klärt den Fall (hoffentlich) auf. Damit ist aber noch lange nicht Schluss, schließlich warten noch vier weitere Fälle mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. Wer gar nicht genug bekommt, greift zu den beiden Nachfolgespielen. In „Noir" geht es ins Los Angeles der 20er-Jahre und in „Welcome to Redview" schlüpfen die Spieler in die Rolle von Kindern, die im Jahr 1985 bizarren Geschehnissen auf der Spur sind.
Wer ist der Mörder? Bis auf den darf niemand lügen
Eine ganz spezielle Form der Rätsel-Spiele stellen indessen Krimi-Dinner dar, bei dem jeder Mitspieler in eine vorgegebene Rolle schlüpft. Und genau das macht auch den Reiz dieser Untergattung aus. Je nach Lust und Laune können sich die Teilnehmer nämlich verkleiden (witzig auch, wenn Frauen Männerrollen übernehmen und umgekehrt), den Raum dekorieren (passend zur Handlung) und sich am mehrgängigen Essen verkünsteln. Zwischen den Speiserunden ist dann jeder Charakter angehalten, seine nur ihm oder ihr via individuellem Booklet zugänglichen Informationen zum Tathergang im lockeren Gespräch „anzubringen" – wobei es zu durchaus witzigen und konfrontativen Diskussionen kommen kann. Für einen guten Spielfluss sorgen die in mehreren Spielrunden immer wieder eingestreuten neuen Erkenntnisse. Wichtig: Bis auf den Mörder – einer aus der Gruppe – darf niemand lügen. Praktisch: Das Spiel geht (nur) so lange alle Lust darauf haben. Und bis jeder einen echten Verdächtigen im Blick hat und sich schließlich festlegt. Dann folgt im Stile eines Poirot-Finales die Auflösung, wie genau sich die Tat zugetragen hat. Und wer das Opfer auf dem Gewissen hat.