Sechs Monate vor der Bundestagswahl sind die meisten Fragen offen. Was fest steht, sind der Wahltermin und dass die „Sie kennen mich"-Ära von Angela Merkel zu Ende geht. Damit wird am 26. September über einen Wechsel im Kanzleramt entschieden.
Klarheit hat bislang nur die SPD geschaffen. Kandidat und Programm stehen zu einer derart frühen Zeit fest, dass Kanzlerkandidat Olaf Scholz schon mal in der Rolle eines Schattenboxers gesehen wurde, der ohne Gegner im Ring steht. Ob die Lehre, die die SPD aus der Vergangenheit gezogen hat, aufgeht, darüber ist viel diskutiert worden. Wie bei allen Entscheidungen liegt die Antwort in der Zukunft.
Die Ausgangslage hat sich wochenlang kaum verändert. Die Umfragewerte sind im Wesentlichen so stabil, dass sie wie einzementiert vorkommen können. Da wurden schon leichte Veränderungen um einen Punkt bei der Sonntagsfrage abgeklopft, ob sich nicht Trends ablesen ließen. Inzwischen deutet sich aber an, dass es mehr Bewegung in das bislang eher statisch wirkende Bild kommt.
Umso gespannter richtet sich derzeit der Blick auf den 14. März. Die beiden Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg stehen zwar unter jeweils sehr besonderen landesspezifischen Bedingungen, trotzdem gelten sie als Stimmungstests.
Malu Dreyer muss in Rheinland-Pfalz gewinnen und die SPD in Baden-Württemberg ein zweistelliges Ergebnis liefern, sonst dürfte die Motivation der Sozialdemokraten trist aussehen. Eine Wiederwahl von Winfried Kretschmann im Ländle würde dagegen nur bedingt Aufschluss geben über die grünen Ambitionen im Bund. Besonders angespannt blickt die CDU auf diese Wahlen, die unter dem Eindruck der sogenannten Maskenaffäre stehen.
Unabhängig von den aktuellen Entwicklungen haben sich die Grünen zum erklärten Hauptgegner so ziemlich aller anderen Mitbewerber gemausert. Die Union hat sich schon länger darauf eingeschossen. Zum einen wildern die Grünen längst im liberal-konservativen Milieu. Zum anderen geht es der Union aber auch darum, den möglichen neuen Partner in einer neuen Form Großer Koalition so kleinzuhalten, wie es irgend geht. Dass Schwarz-Grün die Option nach dem 26. September schlechthin ist, gilt landläufig als ausgemacht. Was sich allerdings auch als etwas verfrühte Festlegung herausstellen könnte.
Nervosität und Dynamik nehmen erkennbar zu
Wie überhaupt die bloße Fortschreibung der derzeitigen Umfragesituation ein halbes Jahr vor dem Wahltermin noch weniger aussagekräftig ist als es in der Vergangenheit war. Ziemlich unklar ist, wie ein Wahlkampf unter Corona-Bedingungen läuft. Einiges an digitalen Formaten ist zwar bereits in den Landtagswahlkämpfen getestet worden, ob die Erfahrungen auf einen Bundestagswahlkampf übertragbar sind, ist offen. Sollten Impfungen und Testen greifen, zudem wie im letzten Sommer die rein äußeren Bedingungen ebenso zur Entspannung beitragen wie das zunehmend stärker genutzte Homeoffice, würden auch Formen des Straßenwahlkampfs und Open-Air-Kundgebungen möglich sein und womöglich nach den Zeiten rigider Kontaktbegrenzungen sogar eine gewisse Renaissance erfahren. Für Strategen ist der Hybridwahlkampf unter diesen Bedingungen eine ganz neue Herausforderung.
Die Anfälligkeiten digitaler Wahlkämpfe sind schon in normalen Zeiten ein zunehmendes Problem, das sich verschärfen dürfte.
In Erwartung einer besonders hohen Briefwahl-Beteiligung sind bereits deutlich mehr Mittel zur Verfügung gestellt worden. Die Beliebtheit früher Stimmabgabe per Briefwahl hat aber bereits bei den letzten Wahlen deutlich zugenommen, Wahlkämpfer haben damit ihre Erfahrungen.
Was neben den extremen Pandemie-Rahmenbedingungen diese Wahl so besonders macht, ist die Gewissheit, dass es im Kanzleramt auf jeden Fall zu einem Wechsel kommen wird. Bislang ist nur die Ambition von Olaf Scholz geklärt. Für die Grünen scheint Annalena Baerbock gesetzt, die Union ringt noch. Die Wähler blicken derweil, wie es scheint, weniger auf einen Wahlsonntag in einem halben Jahr. Ihnen wäre im Moment schon geholfen, sie wüssten, wie sie sich auf Ostern einstellen können.