Gibt es in Hollywood bald mehr Frauenpower? Findet hier tatsächlich ein Paradigmenwechsel statt? Eine Betrachtung.
Vier Jahre ist es her, da mischten überraschend zwei Frauen das Hollywood-Filmbusiness auf. Die amerikanische Regisseurin Patty Jenkins und die israelische Schauspielerin Gal Gadot legten mit der Comic-Verfilmung „Wonder Woman" zum US-Kinostart ein historisches Einspielergebnis hin: über 100 Millionen Dollar! Weltweit hat „Wonder Woman" bis heute fast eine Milliarde Dollar in die Kassen des Warner-Studios gespült. Überraschend war nicht nur, dass dieser Coup zwei Frauen gelang, sondern vor allem, dass ein großes Hollywood-Studio einer weiblichen Regisseurin ein Budget von 200 Millionen Dollar anvertraute und ihr grünes Licht gab, die Titelrolle mit einer relativ unbekannten Schauspielerin zu besetzen.
Gal Gadot erinnert sich: „Das war schon etwas ganz Besonderes. Patty und ich waren sehr nervös, wie der Film am Boxoffice wohl abschneiden würde. Am Tag vor der Weltpremiere haben wir noch miteinander telefoniert und uns gegenseitig Mut gemacht. Als dann die ersten, hervorragenden Einspielergebnisse gemeldet wur-den, konnten wir unser Glück kaum fassen. Was für eine Riesen-Überraschung! Das war Freude pur!"
Erfolg sorgt allmählich für ein Umdenken
Die Freude war ganz auf unserer Seite. Denn Patty Jenkins hatte mit Gal Gadot nicht nur die beste Wonder Woman der Filmgeschichte gefunden, sondern auch ganz nebenbei den anämischen DC-Comic-Kosmos spektakulär reanimiert. Und damit der Marvel-Comicfilm-Flut eine wirklich fantastische weibliche Superheldin entgegengesetzt. Exorbitante Action-Szenen im Wechsel mit roman-tischen, emotional aufgeladenen Momenten und humorvollen Einsprengseln. Plus interessante Charakterzeichnungen – gefiltert durch weibliche Intuition. Das machte „Wonder Woman" schnell zu einem Genre-Klassiker, der neben Tim Burtons und Christopher Nolans „Batman"-Streifen und Sam Ramis „Spider-Man"-Trilogie durchaus bestehen kann.
Der große Erfolg, den Patty Jenkins mit ihrem Film bei den Fans, den Kritikern und vor allem an der Kinokasse hatte, schien in den Köpfen mancher Hollywood-Produzenten tatsächlich etwas in Gang gebracht zu haben. Endlich werden mehr Frauen für Großprojekte gebucht als je zuvor. Das Disney-Studio bewilligte der neuseeländischen Regisseurin Niki Caro fast 300 Millionen für ihre Live-Action-Verfilmung des Zeichentrick-Klassikers „Mulan".
US-Schauspielerin Margot Robbie konnte bei „Birds of Prey", einem Spin-off des Millionenerfolges „Suicide Squad", die völlig unbekannte Regisseurin Cathy Yan durchboxen. Bemerkenswert an diesen Beispielen ist, dass sehr hohe Produktionskosten vertrauensvoll in Frauenhände gegeben wurden – und sich im Gegenzug natürlich immenser Druck aufbaute, dass diese Filme hohe Gewinne einzuspielen hatten. Die Rechnung ging auf.
Auch „Wonder Woman 1984", die zweite Zusammenarbeit des neuen Hollywood-Power-Duos Jenkins und Gadot, ist sehr erfolgreich. Allein in den USA konnte der Film – trotz Corona-Beschränkungen – fast 70 Millionen Dollar einspielen, weltweit fast 100 Millionen. Und es stehen noch einige Länder-Starts aus. Auf Sky Cinema wird der Film seit dem 18. Februar gestreamt, soll aber später auch bei uns noch in die Kinos kommen. Kein Wunder also, dass „Wonder Woman 3" bereits bestätigt wurde. Und dass Jenkins und Gadot auch ihr nächstes Projekt – ein Remake von „Cleopatra" – schon in trockenen Tüchern haben. Da „WW 84" in den USA gleichzeitig zum Filmstart auch bei HBO+ gestreamt wurde, bekamen Jenkins und Gadot zusätzlich zu ihren Millionengagen noch je schlappe zehn Millionen Dollar „Kompensation". Das macht Patty Jenkins und Gal Gadot zu den mit Abstand bestbezahlten Playern in Hollywood.
Aber findet in Hollywood tatsächlich ein Paradigmenwechsel statt? Niki Caro scheint daran zu glauben: „Ich habe schon das Gefühl, dass sich da etwas zum Besseren verändert", erzählte sie uns im Interview. „Aber wir Frauen müssen den Druck auch weiterhin aufrechthalten. Ich finde es sehr interessant, dass 2020 bei einigen Filmen mit sehr hohem Budget Frauen Regie führen konnten." Und Caro geht noch einen Schritt weiter: „Wenn ich Regie führe, ermutige ich immer jede Frau, sie selbst zu sein. Kürzlich habe ich einen wunderbaren Brief von einer Kamerafrau bekommen. Sie schrieb mir: ‚Am Set von ‚Die Frau des Zoodirektors‘ habe ich mich zum ersten Mal seit vielen Jahren im Filmbusiness als Frau gefühlt.‘ Diesen Geist will ich bei meiner Arbeit weitertragen."
Mitspracherecht wurde regelmäßig unterdrückt
Gibt es also tatsächlich mehr Chancengleichheit für Frauen in Hollywood? Es bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen der Filmindustrie im Zuge der #MeToo-Bewegung sowie der Equal-Pay-, Diversity- und Inklusions-Kampagnen der vergangenen Jahre nun wirklich und wahrhaftig sensibilisiert worden sind. Dass sich talentierte Frauen nicht länger verleugnen müssen und endlich zum Zuge kommen. Noch einmal Caro: „Diese permanente Selbstverleugnung war eine sehr schmerzhafte Erfahrung für mich. Schon als Teenager war es mein größter Wunsch, Filme zu machen. Leider musste ich schnell feststellen, dass mir niemand dabei helfen würde, diesen Traum zu verwirklichen. Es gab in meiner Heimat Neuseeland keine einzige Regisseurin. Die Filmbranche wurde absolut von Männern dominiert. Damals habe ich sogar ernsthaft darüber nachgedacht, mich als Mann zu verkleiden. Oder mir einen männlichen Vornamen zuzulegen. Nur um irgendwie Filme machen zu können." Sie hat es dann trotzdem an die Spitze der amerikanischen Filmindustrie geschafft. Doch es war ein langer und sehr steiniger Weg.
Ähnliche Erfahrungen haben auch diverse Hollywood-Schauspielerinnen gemacht, die durchaus schon berühmt und kassenträchtig waren. Aber sobald sie Mitspracherecht bei ihren Filmen oder selbst Regie führen wollten, wurden sie von ihren männlichen Kollegen regelmäßig ausgebootet. Hollywoodstars wie Charlize Theron, Reese Witherspoon, Margot Robbie, Sandra Bullock und Elizabeth Banks könnten ein Lied davon singen. Doch statt zu resignieren gingen sie in die Offensive. Sie alle gründeten eigene Produktionsfirmen, um mehr Einfluss und Kontrolle zu haben. Und mehr Erfolg. Und es funktionierte. Elizabeth Banks hat allein mit ihren drei „Pitch Perfect"-Filmen weltweit mehr als eine halbe Milliarde Dollar eingespielt.
Natürlich gab es schon immer Regisseurinnen, die in Hollywood Filme machen konnten. Aber das waren meist Low-Budget-Filme oder Arthouse-Movies, deren Budgets sehr überschaubar waren. Wie zum Beispiel „Lost in Translation" (2003) von Sofia Coppola, „Can You Ever Forgive Me" (2018) von Marielle Heller oder „Lady Bird" (2017) und „Little Woman" (2019) von Greta Gerwig. Viele waren sich sicher, dass Gerwig für „Lady Bird" bei der Oscar-Verleihung 2018 in der Kategorie Beste Regie als Siegerin vom Platz gehen würde. Doch weit gefehlt. Diese Ehre wurde jedoch 2010 der US-Filmemacherin Kathryn Bigelow zuteil. Sie bekam als erste und bislang einzige Frau der Filmgeschichte den Regie-Oscar für ihren Irakkrieg-Thriller „Tödliches Kommando – The Hurt Locker". Damit schlug sie sogar den haushohen Favoriten (ihren Ex-Ehemann) James Cameron mit seinem Film „Avatar – Aufbruch nach Pandora" aus dem Feld. Eine Sensation. Damals. Seitdem hat Bigelow noch zwei Filme gemacht, die aber eher unter „ferner liefen" rangierten. Große Ausnahmen in Sachen Boxoffice waren Lorene Scafarias „Hustlers" (2019) mit Jennifer Lopez (rund 160 Millionen weltweit) und Sam Taylor-Johnsons SM-Schnulze „Fifty Shades of Grey" (2015) mit rund 570 Millionen Einspielergebnis. Seitdem sind diese beide Filmemacherinnen wieder so gut wie weg vom Fenster.
Laut der Anneberg Inclusion Initiative der University of Southern California, die unter anderem die Repräsentation von Frauen vor und hinter der Kamera dokumentiert, gibt es dennoch Anlass zur Hoffnung: 2018 waren nur 3,8 Prozent der erfolgreichsten 100 Filme von Frauen gemacht, 2019 schon 7,3 Prozent. Tendenz steigend. Langsam aber sicher scheint sich die Filmbranche tatsächlich zu verändern. Vor allem in der zurückliegenden Dekade. Sechs der zehn umsatzstärksten Filme aller Zeiten unter weiblicher Regie kamen nach 2010 in die Kinos.
„Auch Frauen machen schlechte Filme"
Doch machen wir uns nichts vor: Solange Hollywoods Lieblingsfarbe dollargrün ist, wird jeder Filmemacher – und erst recht jede Filmemacherin – nach dem Einspielergebnis bewertet. Jenkins und Co sind da lediglich Vorreiterinnen in eigener Sache. Wenn bei solch kommerziell ausgelegten Filmen Quantität und Qualität zusammenkommen – wie schön! Aber leider ist dem oft nicht so.
Lassen wir zum Schluss noch die iranisch-französische Filmemacherin und Comic-Zeichnerin Marjane Satrapi zu Wort kommen, die durch ihre Comic-Autobiografie „Persepolis" weltberühmt wurde. Letztes Jahr drehte sie das sehenswerte Bio-Pic „Marie Curie – Elemente des Lebens". Sie meint: „Ich habe in Bezug auf den aktuellen Diskurs, wie es um uns Frauen in der Filmindustrie bestellt ist, sehr gemischte Gefühle. Es ist sicher gut, dass darüber so offen gesprochen wird. Wenn wir allerdings – wie bei der Oscar-Verleihung 2020 geschehen – von sogenannten Frauen-Filmen sprechen, finde ich das kontraproduktiv. Man spricht ja auch nicht von Männer-Filmen. Wir Frauen müssen aufpassen, dass wir nicht in ein noch tieferes Loch fallen als das, aus dem wir gerade heraus sind. Nicht jeder Film, den eine Frau gemacht hat, ist gut. Auch Frauen machen schlechte Filme. Filme habe keine Geschlechtsmerkmale. Oder Hautfarben. Oder Migrations-Hintergründe. Solche Kategorien schaffen doch nur Ghettos. Ein Film ist entweder gut oder schlecht. Abgesehen davon haben mediokre Männer hundert Jahre lang viele mediokre Filme gemacht. Ist jemand daran gestorben? Also, was soll’s!"