Charlotte Weise (28) aus dem spanischen Tarragona bloggt sehr erfolgreich über nachhaltigen und veganen Lebensstil, Body Positivity und Beziehungen. Den Begriff „Sinnfluencer" meidet sie trotzdem. Ein Interview über Hass auf Social-Media-Plattformen, Schönheitswahn und die „grüne Blase", die sie manchmal aufregt.
Liebe Charlotte, alleine auf Instagram folgen Dir über 154.000 Abonnenten. Für welche positiven Dinge möchtest Du Deine hohe Reichweite nutzen?
Ich versuche, die Menschen mit meiner Lebensfreude anzustecken und nebenbei für die Themen Veganismus, faire Mode, Umweltschutz, Selbstbewusstsein und vieles mehr zu sensibilisieren und vor allem ohne erhobenen Zeigefinger zu inspirieren. Ich bekomme jeden Tag so viele Nachrichten von Menschen, bei denen ich es schon geschafft habe, dass sie jetzt selbstbewusster, fröhlicher und umweltbewusster sind. Das macht mich sehr glücklich!
Du stellst nicht in erster Linie Produkte vor, sondern bloggst auch zu wichtigen Themen wie Sustainability, Body Positivity oder Beziehungen. Würdest Du Dich selbst als Influencerin bezeichnen?
Ja ich bezeichne mich so, weil ich „Sinnfluencerin" anderen Bloggern gegenüber als überheblich wahrnehme. Jeder hat seine Themen und bewegt etwas. Unter „Social Media Creator" können sich die meisten nichts vorstellen, also belasse ich es einfach bei dem gängigen und mittlerweile bekannteren Begriff. Dann weiß jeder, was gemeint ist.
Der Begriff Influencer wird in letzter Zeit – etwa durch die „Bildschirmkontrolle" von Oliver Pocher – leider teilweise negativ besetzt. Findest Du es schlimm, dass alle in einen Topf geworfen und schlechtgeredet werden?
Ja, leider ist in der Gesellschaft das Schubladendenken sehr verbreitet, und sobald eine Influencerin als nervig abgestempelt wird, sind es direkt alle. Aber jeder der mich kennt, weiß ja, dass ich sinnvollen Content mache und viel bewege.
Wie sahen Deine ersten Schritte als Bloggerin aus – hast Du damals schon über Fair Fashion, Naturkosmetik und veganes Essen berichtet?
Ich habe 2015 mit Instagram begonnen, weil mein Freund Felix fürs Modeln damit anfangen musste und es nicht alleine machen wollte. Ich bin da einfach reingerutscht. Damals habe ich mein vegetarisches und veganes Essen gezeigt und dass ich zu Hause tanze und Hula Hoop mache. Ich benutze schon immer Naturkosmetik, und daher war das auch ein Bereich, den ich gezeigt habe. Die faire Mode war davor nie Thema bei mir, aber durch Instagram habe ich mich dann auch damit beschäftigt. Bis 2015 habe ich immer gedacht, dass faire Mode sehr öko aussieht. (lacht)
Wie kam schließlich der Erfolg? Und wie sind Brands auf Dich aufmerksam geworden?
Ich wurde von Lavera und Co damals direkt angeschrieben, und so haben die ersten Kooperationen begonnen. Irgendwann hatte ich eine Anfrage von einer Agentur, die mir geholfen hat zu verhandeln, und dann wusste ich auch welche Preise ich nehmen kann und was alles dazugehört. Ich habe jahrelang kostenlos oder für sehr wenig Geld Firmen unterstützt und ihre Produkte gezeigt. Mittlerweile kenne ich meinen Wert und kann davon leben.
Warum hast Du entschieden, über einen nachhaltigen und veganen Lebensstil, Fair Fashion und Naturkosmetik zu bloggen?
Das war nie geplant, sondern hat sich so ergeben, weil ich so lebe. Ich esse seit acht Jahren zu 100 Prozent fleischlos und seit vier Jahren vegan.
Wie sieht Dein Kaufverhalten heute aus – kaufst Du das meiste neu von nachhaltigen Marken, beziehungsweise bekommst es zugeschickt? Oder kaufst Du auch viel gebraucht oder leihst und tauschst Dinge?
Ich habe schon immer viele Klamotten von meiner Familie und von Freundinnen im Schrank. Ich habe bei vielen Kleidertauschpartys mitgemacht, bei Kleiderkreisel oder auf dem Flohmarkt eingekauft. Ich liebe Secondhand-Läden. Als Influencerin bekomme ich viel faire Mode zugeschickt, daher kaufe ich mir so gut wie nichts mehr. Ich miste regelmäßig aus und verschenke es an meine Freundinnen.
Kaufst Du manchmal auch mal Marken, die nicht „fair" produzieren, herkömmliche Kosmetik oder nicht-vegane Produkte?
Dadurch, dass ich viel zugeschickt bekomme, kaufe ich so gut wie nichts mehr, aber wenn wir was kaufen, dann ist es zu 99 Prozent fair, beziehungsweise öko. Wir kaufen fast nur Bio-Lebensmittel und benutzen Naturkosmetik, aber ich mache auch mal Ausnahmen. Zum Beispiel kaufe ich meine Haarreifen oder Haargummis noch bei H und M. Und ich esse auch noch vegetarische Dinge wie Croissants oder Schokolade.
Welche Themen regen Dich am meisten auf?
Ehrlich gesagt regt mich sehr oft die grüne Blase auf, in der ich mich auch ein wenig befinde. Wir sind alle sehr privilegiert und alles dreht sich nur darum, alles perfekt zu machen. Die meisten Menschen auf der Erde können sich keine faire Mode oder Bio leisten und haben ganz andere Sorgen. Und es wird immer von allen erwartet, direkt alles perfekt zu machen. Wenn jemand außerhalb der Blase eine Gucci-Jacke trägt und einen Coffee-to-go-Becher hat, ist die Person in vielen Augen direkt ein schlechter Mensch. Jeder hat seine Bubble, sein Leben – und jeder macht es anders. Dieses mit dem Zeigefinger auf andere zeigen stellt alle Veganer und Veganerinnen direkt in ein Nervensägen-Licht! Und das tun leider sehr viele. Sobald eine Firma etwas in Richtung grün verändert, wird sie direkt für alle Dinge öffentlich gebasht, die sie noch nicht richtig macht, anstatt den guten Schritt zu feiern. Das finde ich superschade, da sich so viele Firmen nicht trauen, etwas zu verändern. Dabei ist es so wichtig für die Erde, dass alle etwas ändern und nicht nur diejenigen, die eh schon Ökos sind, sondern dass noch mehr so werden. Es bringt keine weltweite Veränderung, wenn allen direkt Greenwashing vorgeworfen wird.
Was nervt Dich bei Instagram?
Natürlich nerven mich die Hater auch extrem. Menschen, die auf meinen Account kommen und einfach drauflos haten. Neulich hat mir wieder einer geschrieben, dass er weiß, wo ich wohne, und dass er mich aus nächster Nähe erschießen möchte. Sowas macht mich einfach nur sprachlos. Wie kann man so sein? Warum sind Menschen so? Ich bekomme fast täglich Hate und habe deshalb die Kommentarfunktion unter meinen Beiträgen eingeschränkt. Es können nur noch Menschen kommentieren, die mir auch folgen. Das hält viel Mist ab.
Du zeigst offen Hate-Nachrichten. Wie oft bekommst Du solche Messages?
Jeden Tag leider. Ich finde es von fremden Menschen bescheuert, aber das nimmt mich nicht mehr mit. Ich bekomme am Tag im Schnitt um die 2.000 Nachrichten und davon sind 99 Prozent positiv. Nur leider bleibt dieses eine Prozent immer hängen.
Wie verarbeitest Du solche Nachrichten?
Das sind sehr böse Nachrichten, und damit muss man erst umgehen lernen. Das Schlimmste ist aber, wenn andere Blogger gegen einen bashen. Ohne dass sie mit einem reden, posten sie einen in die Story und rufen somit ihre Follower und Followerinnen dazu auf, etwas zu tun. Dann bekommt man je nach Reichweite der Person eine krasse Welle ab, die mehrere Wochen andauern kann. Unter jedem Post steht dann Mist. Das beeinflusst Kooperationen und kann sogar Kunden dazu bringen, die Kooperation abzusagen. Die Blockier-Liste wird länger, und die Nerven liegen blank. Viele Gerüchte, viel Hass und Hetze. Oft kennt man die Personen und man ist einfach nur sprachlos darüber, wie Menschen so bösartig sein können. Aktuell habe ich auch wieder sowas erlebt und deshalb mache ich gerade eine Woche Instagram-Pause. Es wurde ein Beitrag über mich von einer Bloggerin geschrieben, den dann ganz viele andere Blogger geteilt haben und ihr in den Kommentaren zugesprochen haben. Sowas verletzt vor allem, wenn man die Kommentatoren kennt und teilweise die Menschen echt mochte. Die Person hat ohne vorherigen Dialog mit mir gehandelt und alles hinter meinem Rücken öffentlich gemacht. Sie hat meinen Namen nicht zu dem Post geschrieben, aber ihn in privaten Nachrichten jedem genannt, und in den Kommentaren stehen überall meine Kürzel. Aus diesen Gerüchten, die die Person über mich verbreitet, resultierte sogar, dass andere Blogger sich kein eigenes Bild gemacht haben, sondern bei Aktionen mit mir nicht mitmachen wollten. Eine, die bei einer aktuellen Blogger-Aktion dabei war, hatte sogar einen Shitstorm, weil sie mit mir zusammen die Aktion gemacht hat. Sowas muss man sich mal vorstellen … Wie viele Wellen das schlägt und wie viele Menschen unter so etwas leiden, anstatt dass man das unter sich ausmacht. Ich werde nie verstehen, wie man so sein kann.
Wie gehst Du mit Hatern selbst um? Hast Du auch schon welche angezeigt?
Ich hatte jetzt schon den fünften Shitstorm und habe daraus gelernt, dass ich mich zu Themen wie Rassismus, Depressionen und Impfen nicht mehr äußere. Sobald man etwas Politisches sagt, kann einem alles im Mund verdreht werden. Bei 150.000 Menschen auf meinem Account treffen einfach zu viele Meinungen aufeinander. Ich bin ein Mensch, der ehrlich seine Meinung sagen möchte und sich schon immer gegen Ungerechtigkeiten ausspricht. Ich gehe auf Demos gegen Rechts und fordere meine Follower auf, wählen zu gehen, Petitionen zu unterschreiben und zu spenden. Leider werde ich in Zukunft vieles weglassen müssen, da ich einfach keine weiteren Shitstorms mehr haben möchte. Es raubt sehr viel Zeit und Kraft und bringt Niemandem etwas. Ich wurde neulich schon beschimpft, da ich nur noch wichtige Beiträge reposte, anstatt selbst etwas zu sagen. Sowas kann nur von Menschen kommen, die nicht wissen, wie es ist, eine öffentliche Person zu sein. Die meisten öffentlichen Menschen äußern sich nie zu diesen Themen. Ich war mutig, naiv und dumm, dass ich es immer wieder getan habe. Aber ich habe jetzt daraus gelernt. Es wird immer Extremismus geben, und diese Menschen schauen meine Story an und nehmen dann alles auseinander. Es wird gehatet, wenn du nichts dazu postest und wenn du etwas dazu postest, ist es auch falsch. Egal wie, du bekommst es immer ab. Mittlerweile haten die Menschen schon gegen Leute, die aus Versehen die „falschen" Dinge geliked haben. Alles wird kontrolliert, und es werden nur die Fehler gesucht. Vor allem in der grünen Blase wird gerne permanent darauf hingewiesen, was gerade nicht umweltbewusst ist: Baden, Plastikverpackungen, Autofahren, ein zu großes Haus und vieles mehr. Superschade! Ich habe gestern einen angezeigt und ich werde mir auch nicht weiter Rufmord gefallen lassen. Mittlerweile kann man viel gegen Cybermobbing tun, und es ist wichtig, dass man es tut. Oft blockiere ich die Menschen und hoffe einfach, dass sie wegbleiben und nicht direkt wieder fünf Fake-Accounts eröffnen, um mir doofe Dinge zu schreiben, damit sie sich besser fühlen und meinen Tag ruinieren.
Hetze und Hass-Kommentare/-Mails sind ja ein großes Problem in den sozialen Medien. Nach einer Welle von Hass hat sich kürzlich Kasia Lenhardt, eine junge Influencerin, umgebracht, und es gingen Bilder mit den Worten „Words can kill" durch Instagram. Wie müsste man Deiner Meinung nach generell gegen Cybermobbing vorgehen?
Meiner Meinung nach sollte bereits in der Schule beigebracht werden, wie man Social Media nutzt. Als Selbstschutz und auch um zu wissen, dass man damit Menschen verletzen kann.
Leider ist es gar nicht so einfach, Menschen anzuzeigen. Ich hatte das vor Kurzem gerade über Hate Aid. Der Screenshot von dem zum Beispiel bösen Kommentar muss klare Richtlinien erfüllen, um rechtssicher zu sein. Alles ist noch sehr kompliziert … Aktuell ist der einfachste Weg, die Person bei Instagram zu melden und mit Menschen über die Belastung zu sprechen. In schlimmen Fällen Anzeige bei der Polizei erstatten. Ich wäre definitiv für Strafen bei Personen, die nur Hass verteilen.
Welche negativen Seiten hat Social Media noch? Ist durch die sozialen Medien auch ein viel stärkerer Druck nach Selbstoptimierung entstanden?
Ich finde: auf jeden Fall! Social Media kann viel Gutes bringen, aber auch viel Schlechtes. Viele Menschen vergleichen sich mit der perfekten Welt, die gezeigt wird. Deshalb zeige ich viel unperfektes und mehr Realität. Ein unaufgeräumtes Haus, ein dicker Bauch nach dem Essen und vieles mehr. Ich finde es wichtig, auch immer wieder darüber zu sprechen, wenn Dinge eben gerade nicht toll sind. Das Leben besteht nicht nur aus einer happy Beziehung, Smoothies und Tanzen. Sich mit anderen zu vergleichen, ist nie gut, da wir alle anders sind – und das ist auch gut so. Wir sollten alle das Beste aus uns herausholen und uns das Leben so schön gestalten, wie es geht.
Welche Tipps würdest Du Menschen geben, die unter ihren vermeintlichen „Makeln" leiden?
Hol das Beste aus dir raus! Zieh dir Klamotten an, die dir schmeicheln, schmink dich so, wie es dir gefällt und lächle dich morgens im Spiegel an. Du bist genug! Es gibt Klamotten in allen Größen! Deshalb quetsch dich nicht in eine zu enge Jeans und fühl dich schlecht, sondern kauf sie dir größer oder zieh Sportklamotten oder ein Kleid an. Die Ausstrahlung kommt von innen, egal ob du 50 oder 75 Kilo wiegst. Das alles macht keinen Unterschied! Auf der Waage steht eine Zahl, die nichts über dich aussagt! Deshalb verkauf sie am besten und ernähre dich lieber gesünder und beweg dich mehr und genieß einfach das Leben ohne Druck durch Diäten und Co.
Wie stehst Du zum Thema Beauty-OPs?
Ich finde Beauty-Eingriffe total in Ordnung, solange sie im Rahmen bleiben, zum Beispiel bei Segelohren, krummer Nase oder starkem Leiden durch eine zu kleine Brust et cetera. Hyaluron in der Lippe ist ein starker Trend, das muss jeder handhaben, wie er es für richtig hält. Es ist allerdings gefährlich, wenn junge Menschen sich alles machen lassen – Gesichtsmodelage, Fettabsaugen, Po aufspritzen – und nicht dazu stehen und ihre Followerinnen dann denken, es wäre alles echt und wollen auch so aussehen und können es nicht erreichen. Da finde ich Transparenz sehr wichtig und auch die Aufklärung, dass wir eben nicht alle gleich aussehen müssen und lieber das Beste aus uns herausholen sollten. Die Eingriffe sind teuer und auch immer mit einem Risiko verbunden. Der Trend geht gerade in eine gefährliche Richtung, das finde ich sehr schade. Es tut mir in der Seele weh, täglich die Nachrichten von jungen Menschen zu lesen, die nie nackt sind, weil sie sich schämen und sich hässlich finden. Alle möchten Tipps wie sie daran arbeiten können. Ich freue mich dann umso mehr, wenn es einigen gelingt, etwas zu verändern.
Womit bist Du aktuell beschäftigt? Und was wird uns als Nächstes auf Deinem Blog erwarten?
Am 1. April kommt meine eigene Kollektion mit Kaufdichglücklich raus, und ich möchte mehr Kampagnen und mehr im TV machen. Ein Kochbuch steht vielleicht auch noch an. Und sobald die Corona-Zahlen wieder niedriger sind, werde ich wieder Events mit meinen Followern veranstalten.