„Hilf ihm! Hilf ihm!" So dröhnt es immer wieder durch Yossarians Gedanken. Doch wem soll er helfen? Und wer ist Yossarian überhaupt? Er ist eine Figur, die 1961 in einem Roman, 1970 in einem Film und nun in einer Hulu-Miniserie zum Leben erweckt wurde. Titel: jeweils „Catch-22".
Captain John Yossarian ist in Roman und Erstverfilmung noch ein Melancholiker, bei dem nie komplett klar wird, wie sein Innerstes ausschaut. Das passte perfekt zum satirischen und teils surrealen Ansatz, den Romanautor Joseph Heller präsentierte und den Regisseur Mike Nichols später filmisch umsetzte.
In der 2019 von Hulu produzierten Miniserie ist Yossarian der moralische Ankerpunkt der bizarren Szenerie. „Catch-22" ist per Kanal Starzplay auch bei Amazon Prime hinzuzubuchen.
Es ist irgendwann im Zweiten Weltkrieg und John Yossarian (Christopher Abbott; „Girls") ist am Verzweifeln. Der B25-Bombenschütze fristet sein Soldaten-Dasein auf einem Air-Force-Stützpunkt im italienischen Pianosa und fühlt sich verfolgt, da man versuche, ihn zu töten. Er will dem Krieg entrinnen und zurück in die Heimat. Von den Kampfhandlungen kann aber nur entbunden werden, wer sich für verrückt erklären lässt. Wer jedoch dem Krieg entfliehen möchte, kann gar nicht verrückt sein – wird also nicht kampfunfähig geschrieben. Das ist der titelgebende „Catch-22", der Haken an der Sache; der Teufelskreis, dem man nie entkommen kann.
Vom Kampf entbunden wird, wer „Verrückt" ist
Die Buchvorlage und später auch der Film wählten eine szenische und assoziative Erzählweise, in der die Charaktere immer wieder auf- und abtauchen; in der ihre Geschichten immer wieder miteinander verweben, zum großen Teil jedoch auch unabhängig voneinander funktionieren. Dies ist sicherlich der größte Unterschied zu dem Sechsteiler, der unter anderem von George Clooney produziert und inszeniert wurde.
Die Hulu-Serie ist, von einigen Rückblenden abgesehen, linear und stringent erzählt. Wer also die verschachtelte Erzählweise der mit dunklem und bösem Humor gespickten Antikriegs-Saga mochte, wird von der deutlich dramatischeren und zugänglicheren Variante erst mal überrascht sein.
Doch den Inszenierern gelingt es sehr gut, im Laufe der Folgen einen eigenen Erzählrhythmus und somit eigenen Sog zu entwickeln. Das ist wohl vor allem dem facettenreichen Spiel des Hauptdarstellers Christopher Abbott zu verdanken, der damit ein würdiger Nachfolger von Alan Arkin ist. Der bald 77-Jährige und spätere Oscarpreisträger („Little Miss Sunshine") verkörperte Yossarian in der 70er-Verfilmung als individualistischen Sonderling, der alles und nichts gleichzeitig zu durchschauen schien. Abbott wiederum legt seinen Captain als mitfühlenden und beliebten Kollegen an, dem nach und nach die Freunde wegsterben.
Denn Colonel Cathcart (Kyle Chandler; „Godzilla II: King of the Monsters") lässt die Anzahl der nötigen Flugeinsätze immer weiter erhöhen, die man benötigt, um seinen Fronteinsatz beenden zu können. Das macht er unter anderem, um Lieutenant Scheisskopf (George Clooney) zu beeindrucken. Cathcart wiederum steht symbolisch für den Catch-22, da er ein dem Vaterland ergebener Patriot ist, der sich jedoch immer wieder selbst widerspricht und so die eigene Unlogik entlarvt.
Auch Soundtrack und Kameraarbeit überzeugen
Einer der Hauptkritikpunkte sowohl im Roman als auch in der Erstverfilmung ist die Herangehensweise von First Lieutenant Milo Minderbinder (Daniel David Stewart; „The Middle"). Dieser startet als Leiter des Offizierskasinos und hat ein solch glückliches Händchen mit dem Handel, dass er später ein eigenes Unternehmen gründet – das Syndikat. Die satirische Anklage des Super-Finanzjongleurs als eigentlichem Profiteur des Krieges ist in der Miniserie etwas verwässert. Doch auch hier wird schonungslos gezeigt, dass Minderbinder einfach mit jedem ein Geschäft macht, der genügend Geld bietet – im Notfall auch mit der deutschen Gegenseite.
In dem munteren Charakter-Kaleidoskop mischt unter anderem noch Major Major Major (Lewis Pullman; „Top Gun: Maverick") mit, der seinen Namen dem Humor seines Vaters zu verdanken hat. Wegen genau dem – seinem Namen – wird er wegen einer offensichtlichen Verwechslung schließlich auch zum Major befördert. Auch dabei: Bordschütze Snowden.
Wenn man weiß, was mit ihm geschieht, versteht man, wem Yossarian helfen soll, weswegen er traumatisiert ist und auch, warum er nach Hause möchte.
Auch wenn das Ende abgewandelt und deutlich weniger optimistisch als in den Ursprungsgeschichten ist: Die Miniserie „Catch-22" überzeugt neben den renommierten und bekannten Darstellern auch mit toller Kameraarbeit, exquisiter Ausstattung und einem famosen Soundtrack, in dem es viel alten Swing zu hören gibt. Natürlich bleibt auch die Kernaussage erhalten – sich gegenseitig abzuschlachten, weil Autoritäten in unstimmigen Systemen dazu anstacheln, ist irrsinnig.